Sanfter Kampf mit der Feder

Der Lyriker Thorwald Proll hat eine Trilogie von »gebrauchten und neuen Gedichten« zusammengestellt

  • Jochen Knoblauch
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Lyriker und Autor Thorwald Proll, Jahrgang 1941, kann im nächsten Jahr auf 50 Jahre lyrisches Schaffen zurückblicken. Er betrieb mit seiner Frau 35 Jahre lang die Hamburger Buchhandlung Nautilus - und trotzdem klebt ihm ein Ereignis wie Hundescheiße am Schuh: der Kaufhausbrandstifter-Prozess in Frankfurt am Main von 1968, wo er gemeinsam mit Andreas Baader, Gudrun Ensslin (kurze Zeit später Gründer*innen der Roten Armee Fraktion, RAF) und Horst Söhnlein zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Ein Stück BRD-Geschichte. Allerdings war Proll schnell klar, dass er irgendwie für den bewaffneten Kampf nicht geeignet ist.

Seinen Gefängnisaufenthalt verarbeitete er in dem 1972 bei Luchterhand erschienen Gedichtband »sicherheit und (m)ordnung«. Seine politische Haltung war er nicht bereit aufzugeben, aber er führte seinen Kampf jetzt mit der Feder. Der Vormärz-Dramatiker Grabbe, die Dadaist*innen und die lyrischen Expressionist*innen waren jetzt seine Vorbilder. Keine Systemkritik ohne feinen Humor, keine Kulturkritik ohne Selbstkritik - und sein eigener »Verlag auf hoher See« wurde Kult.

Am 22. Juli wird Proll achtzig Jahre alt, und alle Feierlichkeiten werden vermutlich recht still ablaufen - und das nicht nur wegen Corona. In Deutschland beschäftigt sich der Lyrikmarkt eher mit der Naturlyrik und abgehobenem Selbstmitleid, weniger mit Alltagswitz, lyrischem Rock ’n’ Roll und feiner Systemkritik.

Nur ein toter Lyriker ist ein guter Lyriker, wie etwa Erich Mühsam. Auch Peter-Paul Zahl (1944-2011) ging in den Zeitläufen schon unter, obwohl er seinerzeit Gedichtbände in Auflagen von 10 000 Exemplaren und mehr veröffentlichte.

Bevor es also jemand anderes macht, schreitet Proll selbst zur Tat, eben »Den Taten« auf der Spur, wie ein Gedichtband von 1977 betitelt ist. Von 2019 bis heute erschienen drei Bändchen mit dem Untertitel »gebrauchte und neue Gedichte«. Sie umfassen jeweils von ihm ausgewählte Gedichte aus vorangegangenen Publikationen und in der Mehrheit neue, unveröffentlichte Gedichte, die Proll selbst unter anderem als »spät-bakunistisch« bezeichnet.

Ein wesentlicher Teil seiner früheren Bücher waren die sogenannten »Prollagen«, Fotokollagen im Stil der Dadaist*innen, auf die Proll bei den neuen Publikationen leider verzichtet. Sein Plakat »Kurt Schwitters getarnt als Kassierer, der sich verspätet hat und zur Arbeit eilt, bei einem seiner letzten Banküberfälle« ist legendär und wird heute von der Library of Congress im Internet präsentiert.

Die drei Bände »Radikalinski«, »An (k)einem Tag wie jeder andere« und »Pars pro toto« stehen sicherlich auch in der Tradition der älteren, »gebrauchten« Gedichte und ihrer Entstehung. Aber Proll kennt keine Brüche in seiner lyrischen Arbeit, eine Kontinuität, die nur selten zu finden ist. Und so geht es in dem Gedicht »Der schnellste hieß Lahm« eben garantiert nicht um Fußball und auch »Thor des Monats« hat andere Intentionen.

Es hat wohl auch weniger mit Altersweisheit zu tun, denn mit einem permanenten, nicht verloren gegangenen Lebensgefühl, wenn er schreibt: »sei eine Schwalbe / übe entkommen«. Der sanfte Proll schaut dem mächtigen Falken ins Auge und weiß Bescheid. Und wir wissen alle, dass in dem Wort Sanftmut auch das Wort Mut vorkommt.

Thorwald Proll: Radikalinski. Gebrauchte und neue Gedichte. Trikont/Dialog Edition, 60 S., br., 10 €. Thorwald Proll: An (k)einem Tag wie jeder andere. Gebrauchte und neue Gedichte 2. Trikont/Dialog Edition, 57 S., br., 10 €.

Thorwald Proll: Pars pro toto. Gebrauchte und neue Gedichte 3. Trikont/Dialog Edition, 57 S., br., 10 €.

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