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Gedenken an Opfer eines rassistischen Mordes
Hamburg: Zu seinem 36. Todestag wird eine Erinnerungstafel für den von Neonazis erschlagenen Mehmet Kaymakçı aufgestellt
Als Mehmet Kaymakçı am Abend des 24. Juli 1985 noch in die typisch deutsche Eckkneipe »Bei Ronnie« im Stadtteil Langenhorn im Norden Hamburgs ging, konnte er nicht ahnen, auf wen er dort treffen würde: die drei Naziskins Frank-Uwe P., Mario B. und Bernd M., alle drei zur Tatzeit um die 20 Jahre alt. Laut Polizeibericht stritten sich die Drei mit dem Maurer über Einwanderungspolitik: Es gebe zu viele »Ausländer« wie ihn in Deutschland, sollen sie zu ihm gesagt haben.
Als Kaymakçı nachts die Kneipe verließ, folgten sie ihm ein paar Straßen, bis sie ihn am Kiwittsmoorpark in der Straße Hohe Liedt angriffen. Sie fielen zu dritt über den 29-Jährigen her, schlugen und traten auf ihn ein, auch als er schon am Boden lag, bis zur Bewusstlosigkeit. Dann schleiften sie ihn hinter ein Gebüsch am Rand des Parks. Dort zertrümmerten Frank-Uwe P. und Bernd M. Kaymakçı mit einem 94 Kilo schweren Steinblock den Schädel.
Bislang erinnert am Tatort oder in dessen Nähe noch nichts an die Bluttat. Aber es tut sich etwas, seit der jetzige Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz im Herbst 2018 als Bezirksabgeordneter der Grünen auf einen auf dem lokalen Onlineportal »Hamburg Global« veröffentlichten Beitrag des nd-Autors aus dem Jahr 2012 stieß. Darin habe er »einen Handlungsauftrag« für seine Fraktion gesehen, »eine angemessene Form der Erinnerung an diese Tat sicherzustellen«, sagte Werner-Boelz zu »nd«. Im Stadtteil Langenhorn hatte es bis dahin »meines Wissens nach«, so der Bezirksamtsleiter, keine Erinnerung oder Diskussion zu dem Mord gegeben. Im Januar 2019 habe die Bezirksversammlung den von ihm initiierten Antrag für einen Gedenkort »einstimmig beschlossen«. Er war von den Fraktionen von Grünen, SPD, Linke und CDU sowie der FDP-Gruppe gemeinsam eingebracht worden. Die Bezirksversammlung Hamburg Nord genehmigte 5000 Euro für eine Gedenktafel, die an der Straße Hohe Liedt aufgestellt werden soll.
»Es wird auf jeden Fall eine würdige Veranstaltung zur Anbringung der Gedenktafel geben«, erklärte Werner-Boelz bereits 2019. Nach seinem Amtsantritt als Bezirkschef im Februar 2020 veranlasste er, dass seine Behörde Kontakt mit Hinterbliebenen herstellte. Durch das Engagement und die Unterstützung der Initiative, die sich um das Gedenken um den nur fünf Monate nach Kaymakçı ebenfalls von Rechten ermordeten Ramazan Avci kümmert, gelang es, Verbindung zu in der Türkei und den Niederlanden lebenden Familienangehörigen Kaymakçıs aufzunehmen. Aufgrund der Corona-Pandemie waren die Einweihung der Tafel und die Gedenkveranstaltung zum 35. Todestag von Mehmet Kaymakçı 2020 nicht möglich. Daher wird diese nun am Samstag nachgeholt.
Es gab aber 2020 eine kleine Gedenkkundgebung, zu der die Ramazan-Avci-Initiative gemeinsam mit Gülüstan Avcı, der Witwe von Avcı, und Faruk Arslan, Überlebender des Brandanschlags von Mölln 1992, eingeladen hatte. In ihrer Einladung zitierten sie den Auschwitz-Überlebenden Primo Levi mit den Worten: »Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.« Familienangehörige konnten pandemiebedingt zwar nicht vor Ort sein, es wurde aber ein Grußwort von Kaymakçıs in den Niederlanden lebender Großnichte Dilan Sıkı verlesen. Sie erklärte, »selbst nach Jahrzehnten« könne man in den Gesichtern seiner Familienmitglieder »noch Schmerz und Trauer sehen«. Der Schmerz rühre auch daher, dass die Mörder mit milden Strafen davongekommen seien.
Die Täter wurden 1986 wegen »Körperverletzung mit Todesfolge« und »Mordversuchs« angeklagt. Das Hamburger Landgericht verurteilte zwei von ihnen zu acht und einen zu sieben Jahren Haft nach Jugendstrafrecht. Der Richter ignorierte die Verbindung der Angeklagten zu Neonazigruppen und auch die Tatsache, dass mindestens einer von ihnen wegen Naziparolen und Körperverletzungsdelikten aktenkundig war.
Michael Werner-Boelz sprach vor einem Jahr am Kiwittsmoorpark. Er betonte die Notwendigkeit der Erinnerung an die Opfer rassistischer Gewalt in Hamburg. Denn in der Hansestadt habe es auch später wiederholt rassistisch motivierte Morde gegeben. Der Bezirksamtsleiter erinnerte unter anderem an Süleyman Taşköprü, der am 27. Juni 2001 in Hamburg-Bahrenfeld durch den NSU ermordet wurde. Beim Blick auf die Geschichte des Landes und der Stadt Hamburg sei immer wieder festzustellen, »dass zumindest Teile der staatlichen Institutionen bei der Verfolgung rechtsextremistischer Straftaten versagen«. Das sei insbesondere bei der Mordserie des NSU so gewesen.
Auch die Bezirksversammlung Nord positioniert sich klar. Alle Fraktionen, außer der AfD, erklärten gemeinsam, sie freuten sich über das Voranschreiten der Planungen für einen »würdigen Gedenkort für Mehmet Kaymakçı«. Mit der feierlichen Einweihung im Beisein Verwandter des Toten wolle man »gemeinsam erinnern und ein deutliches Zeichen gegen Rassismus, Ausländerhass und Rechtsextremismus setzen. Denn rassistische, menschenfeindliche Haltungen haben keinen Platz in Hamburg-Nord.«
In Absprache mit Angehörigen bereiten Werner-Boelz und die Initiative zum Gedenken an Ramazan Avcı und Faruk Arslan seit Monaten für diesen Samstag, den 36. Jahrestag der Ermordung Kaymakçıs, die Gedenkveranstaltung vor. Bei der Einweihung der Gedenktafel werden zwei Neffen des Toten anwesend sein.
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