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Vom Schmerzmittel zur Überdosis
US-Pharmakonzerne stimmen milliardenschwerem Vergleich wegen aggressiver Opioid-Vermarktung zu
Sind die USA tatsächlich dabei, ihre Opiod-Krise zumindest in einigen Fragen zu bewältigen? In Sachen Entschädigung der Bundesstaaten und örtlichen Behörden scheint das fast so. Denn diese haben Forderungen an Pharmahändler und -hersteller gestellt, um ihre Ausgaben für Abhängige von Schmerzmitteln und illegalen Drogen erstattet zu bekommen. In dieser Woche teilte eine Gruppe von damit befassten Generalstaatsanwälten mit, dass drei Pharmagroßhändler und der Hersteller Johnson & Johnson bereit wären, insgesamt bis zu 26 Milliarden US-Dollar zu zahlen. Einem entsprechenden Entwurf müssen nun die Bundesstaaten, Städte und Landkreise noch endgültig zustimmen.
US-Herstellern wie Medikamentenhändlern wird die rücksichtslose Vermarktung von Opioiden vorgeworfen. Das sind hochwirksame Schmerzmittel, allerdings mit erheblichem Suchtpotenzial. Weil dies allerdings verschleiert wurde, landeten viele Patienten am Ende bei illegalen Drogen. Damit, so argumentieren jetzt die Kläger, sei ein wesentlicher Grundstein für die Opiod-Epidemie in den USA gelegt worden. Sie hat laut US-Behörden zwischen 1999 und 2019 zu etwa 500 000 Toten durch Überdosen von verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln und illegalen Drogen geführt. Seit Ende der 90er Jahre wurden Ärzte animiert, vor allem Oxycontin vom Hersteller Purdue Pharma auch bei kleinsten Anlässen und Eingriffen zu verschreiben: bei Rückenproblemen, der Entfernung von Weisheitszähnen oder bei Sportverletzungen sogar von Teenagern. Warnungen vor Abhängigkeitsrisiken gibt es erst in jüngster Zeit. Pro Jahr kam es so zu rund 200 Millionen Rezepten für Opiate. 2018 hatten allein 53 Millionen US-Amerikaner zwischen 12 und 18 Jahren Opiate eingenommen. Zu der hohen Zahl der Verschreibungen trug allerdings auch bei, dass im US-Gesundheitswesen Schmerzmittel teureren Therapien vorgezogen werden.
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Zunächst haben jetzt die drei größten Arzneimittelhändler der USA - McKesson, Cardinal Health und AmerisourceBergen - nur im Bundesstaat New York einem milliardenschweren Vergleich zugestimmt. Sie willigten ein, insgesamt 1,18 Milliarden Dollar (umgerechnet rund eine Milliarde Euro) zu zahlen. Das hatte in dieser Woche Generalstaatsanwältin Letitia James mitgeteilt.
Mit den Milliardenbeträgen sollen unter anderem Hilfsprogramme finanziert werden, der Zahlungszeitraum wird großzügig über 18 Jahre gestreckt. Verhandelt wird der jetzige Vergleich bereits seit zwei Jahren, damit könnten nun fast 4000 Klagen und diverse Verfahren auf einen Schlag beigelegt werden. Die beteiligten Unternehmen müssten keine weitere Strafverfolgung fürchten.
Johnson & Johnson als einem der Hersteller wird vorgeworfen, die Vorteile von Opioiden überbewertet und Risiken heruntergespielt zu haben. Die Pharmahändler sollen den Vertrieb zu wenig kontrolliert haben, was zur massenhaften Verbreitung der Schmerzmittel über illegale Kanäle geführt habe.
Johnson & Johnson kündigte Ende Juni an, nach mehreren Klagen in den USA aus Herstellung und Verkauf von Opioid-Schmerzmitteln endgültig aussteigen zu wollen. In einem der Prozesse hatte das Unternehmen bereits einer Entschädigungszahlung von 230 Millionen Dollar zugestimmt. Dem voraus gingen andere Verurteilungen, wegen mutmaßlich asbestverseuchtem Babypuder oder einem Medikament, das unnormales Brustwachstum bei Männern verursachen soll. Auch mit dem Corona-Impfstoff des Unternehmens läuft nicht alles optimal: Gewarnt wird auch in Deutschland vor einem Kapillarlecksyndrom, das in »sehr seltenen Fällen« aufgetreten ist, in den USA vor der Nervenkrankheit Guillain-Barré-Syndrom. Zuvor waren auch bei diesem Vakzin vor allem bei jüngeren Frauen Blutgerinnsel aufgetreten.
Einzelne Vergleiche mit anderen Firmen wurden schon zuvor erzielt. Im Fokus stand anfangs Purdue Pharma, Hersteller des Schmerzmittels Oxycontin. Inzwischen durchläuft das Unternehmen ein Insolvenzverfahren. Ebenfalls in diesem Monat hatten sich mehrere US-Staaten mit der Sackler-Familie, den Eigentümern von Purdue, auf Schadenszahlungen von 4,5 Milliarden US-Dollar geeinigt. Etliche Bundesstaaten stimmten aber gegen die Schlichtung, da sie kein Schuldeingeständnis der Sacklers enthält. In den Jahrzehnten zuvor hatte sich Purdue durch Millionenspenden Zugang zur Medizinerausbildung in den gesamten USA verschafft sowie in Krankenhäusern spezielle »Schmerzprogramme« installiert. Den eigenen Vertrieb setzte das Unternehmen unter starken Druck, höhere Verkaufszahlen zu erreichen. Ärzten wurde in gesponserten Veranstaltungen vermittelt, Oxycontin in höheren Dosen und für immer längere Zeiträume zu verschreiben. Im Zuge der Einigung sollen nun Dokumente der Firma veröffentlicht werden, die deren Marktstrategie offenlegen. Familie Sackler selbst musste alle Besitzanteile an Purdue Pharma abgeben.
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