Nicht noch ein Katastrophenschuljahr!

Die Kultusminister wollen am regulären Unterricht festhalten. Das könnte aber unrealistisch sein

Ein drittes Schuljahr im Ausnahmezustand soll tunlichst vermieden werden. Darüber besteht Einigkeit bei den Kultusministern. Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer spricht sich trotz steigender Inzidenzen vehement gegen erneute Schulschließungen aus. Dieser Fehler dürfe nicht wiederholt werden, sagte der CDU-Politiker gegenüber der »Rheinischen Post«. Für ihn sind offene Schulen wichtig für die Bildungsgerechtigkeit und für die psychische Gesundheit von Kindern und Familien.

Und doch ist es auch nach anderthalb Jahren andauernder Coronakrise nicht leicht einzuschätzen, wie die erwartete vierte Welle aufgrund der sich rasch ausbreitenden Delta-Variante die Schulen treffen wird. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warnte kürzlich davor, dass es im Herbst erneut eine sehr hohe Sieben-Tage-Inzidenz geben könnte. Wenn sich die Ansteckungsrate weiter so entwickle, »dann werden wir im September die 400 überschreiten, im Oktober 800«. Angesichts dessen scheint das Ziel eines regulären Unterrichts in den Schulen schwer erreichbar zu sein. Das zeigte sich erst in der vergangenen Woche bei einer Abiturfeier im niedersächsischen Celle, als nach zwei positiv getesteten Fällen das Gesundheitsamt für 300 Teilnehmende eine Quarantäne anordnete.

Hygienekonzepte auf dem Prüfstand

Angesichts der Prognosen stehen die Hygienekonzepte in den Schulen erneut auf dem Prüfstand. Wolfgang Schimpf, Rektor des Max-Planck-Gymnasiums in Göttingen, sieht an seiner Schule kaum mehr Verbesserungsmöglichkeiten. »Wir sind in einem alten Gebäude aus dem 19. Jahrhundert untergebracht, an den Räumlichkeiten können wir nicht viel ändern«, erzählte er dem »nd« kurz vor Beginn der Ferien in Niedersachsen. Wo es geht, gibt es auf den Gängen Einbahnstraßen. Schimpf appelliert trotz eines sehr niedrigen Infektionsgeschehens in der Stadt an seine Schüler, weiterhin Masken zu tragen. Und die Schüler lernen in Kohorten - in voneinander getrennten Gruppen -, womit Kontakte eingeschränkt werden sollen.

Der Gesundheitsschutz an den Schulen kann noch mit Luftreinigern verbessert werden, die Viren filtern. Sie sehen aus wie kleine Kühlschränke und helfen vor allem in Unterrichtsräumen, die sich nicht gut lüften lassen. Der Bund hat dafür im Juni ein neues Programm über 200 Millionen Euro aufgelegt. Das Max-Planck-Gymnasium schaffte sich bereits knapp 50 solcher Geräte an. »Sie sind recht leise«, so Schimpf. Vor allem für die Räume unter dem Dach, die nur schlecht gelüftet werden können, hat die Schule sie beantragt. Jetzt gibt es sie aber auch in anderen Räumen. Ein weiterer Baustein im Hygienekonzept an der Schule: »Wichtig ist auch das Testen, um einzelne Infektionen zu entdecken und Fälle schnell zurückzuverfolgen«, sagte der Schulleiter.

Für Martina Schmerr, Schulreferentin im Vorstand der Gewerkschaft GEW, steht außer Frage, dass die Schule auch weiterhin ein sicherer Ort für alle sein muss. »Wir müssen weiterhin vorsichtig sein und testen; auch die Masken haben sich bewährt«, erklärte sie »nd«. »Wenn die Inzidenzen steigen sollten und es wieder viele Covid-Erkrankungen in den Landkreisen gibt, dann wird es wieder Stufenpläne wie im vergangenen Schuljahr geben müssen.« Das heißt, dass der Präsenzunterricht eingeschränkt oder gar ausgesetzt werden muss.

Heinz-Peter Meidinger, der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, sieht das ähnlich. Er plädiert für eine Sicherheitsphase zu Beginn des neuen Schuljahres, das in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern bereits Anfang August anfängt. »Da braucht es eine Maskenpflicht und viele Tests, um Infektionen insbesondere bei Reiserückkehrern frühzeitig zu erkennen«, sagte er »nd«.

Mehr Ehrlichkeit gefordert

Sollten sich die Befürchtungen bezüglich der vierten Welle bewahrheiten, dann sieht Meidinger große Probleme auf die Schulen zukommen. »Das hieße natürlich, dass es in sehr vielen Klassen Infizierte geben würde. Dann würden wieder ganze Lerngruppen oder sogar Jahrgangsstufen in Quarantäne geschickt werden müssen.« An regulären Unterricht wäre dann auf absehbare Zeit nicht zu denken. Von der Politik verspricht sich Meidinger daher mehr Ehrlichkeit. »Es müsste deutlich gesagt werden: Wir wollen zwar alle mehr Präsenzunterricht, aber es gibt Umstände, unter denen wir das möglicherweise nicht erreichen.«

Auch Schulleiter Wolfgang Schimpf ist skeptisch. Er glaubt, dass sich erst mit einer wirklich weitreichenden Impfkampagne an den Schulen die Lage dauerhaft entspannen werde. Die meisten Lehrer am Max-Planck-Gymnasium seien schon geimpft und auch viele Schüler, die volljährig sind. »Erst wenn eine Herdenimmunität erreicht ist, die Experten ja bei rund 85 Prozent Geimpften oder Genesenen einschätzen, werden wir wohl dauerhaft ohne Einschränkungen in der Schule sein.«

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