Imagewechsel bei Philip Morris
Tabakimperium auf Investitionskurs: Inhalationstechnik für Medikamente soll langfristig den Unternehmenserfolg sichern
Der bisherige Marlboro- und Chesterfield-Konzern Philip Morris International (PMI) wird radikal umgebaut, und zwar weg vom Glimmstängel, hin zu einem Unternehmen für »Gesundheit und Wellness«. Offenbar rechnet das US-amerikanisch-schweizerische Tabakimperium mit weiteren staatlichen Maßnahmen gegen die Branche und sieht mittelfristig ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein bei vielen Konsumenten. Mit sinkender Nachfrage nach Zigaretten und ähnlichen Produkten muss also gerechnet werden. In Japan etwa hat auch der Trend zu E-Zigaretten dazu geführt, dass Philip Morris dort den Verkauf von Zigaretten innerhalb der nächsten zehn bis 15 Jahre völlig einstellen will. »Beyond Nikotin« (Jenseits von Nikotin) lautet ein neuer Firmenslogan, der Anfang des Jahres verkündet wurde.
Bisher hatte Philip Morris das Gros von Umsatz und Gewinn mit dem Verkauf von Zigaretten erzielt. In den letzten fünf Jahren stagnierte der Aktienkurs, aber PMI gilt immer noch als eines der wertvollsten Unternehmen an der New Yorker Börse, 150 Milliarden US-Dollar beträgt der Börsenwert. Bis 2025 will man nun mindestens eine Milliarde Umsatz mit Produkten »jenseits von Tabak und Nikotin« machen, das wäre mehr als die Hälfte.
Kürzlich wurde bekannt, dass PMI für fast 1,2 Milliarden Euro den britischen Pharmahersteller Vectura übernehmen will, der auf Inhalationstherapien für Lungenkrankheiten spezialisiert ist. Ende der 90er Jahre aus der britischen Universität Bath in Südwestengland hervorgegangen, ist die Vectura-Group seit 2004 an der Londoner Börse gelistet. Schnell gehörte sie zu den größten britischen Biotechfirmen. Eine Partnerschaft besteht seit 2010 mit dem Pharmakonzern GlaxoSmithKline. 400 Mitarbeiter entwickeln Medikamente gegen Asthma und andere Lungenerkrankungen. Nach Unternehmensangaben haben schon zehn Millionen Patienten Vectura-Inhalationstechnik genutzt, mit der 13 eigene Wirkstoffe verabreicht werden könnten. Zur Kundschaft von Vectura gehören diverse bekannte Pharmahersteller, darunter Bayer und Novartis. Standorte befinden sich unter anderem in der Schweiz und in Bayern. PMI teilte mit, dass Vectura auch nach einer Übernahme weiter unabhängig operieren solle.
Der geplante Unternehmenskauf wird in Großbritannien nicht durchweg goutiert: Von »Heuchelei« war die Rede, es sei nicht hinzunehmen, wenn PMI in Zukunft von Geschäften mit Lungenerkrankungen profitieren würde. Labour-Politiker forderten schon, die Übernahme zu blockieren. Tatsächlich mutet es zynisch an, dass Menschen, die sich möglicherweise auch mit den PMI-Kippen die Lunge zerstört haben, in Zukunft mit PMI-Geräten Medikamente inhalieren.
Offenbar will Philip Morris zusätzlich eine eigene Plattform für Inhalationsprodukte aufbauen. Damit sollen auch Medikamente für andere als Lungenkrankheiten verabreicht werden, darunter Schmerzmittel oder Wirkstoffe gegen Mukoviszidose, eine Erkrankung, die auf einem Gendefekt beruht. Dabei bildet sich in vielen Organen ein zähflüssiger Schleim. Das Leiden kann bisher nur schwer behandelt werden, die Therapiekosten sind extrem hoch. Zudem sieht PMI, ohne weitere Angaben zu machen, auch Potenzial bei der Bekämpfung von Long Covid.
Ein weiterer Übernahmekandidat ist für PMI der dänische Nikotinkaugummi-Hersteller Fertin Pharma. Im Gespräch ist ein Preis von umgerechnet 680 Millionen Euro - er sei bereits mit dem verkaufenden Finanzinvestor EQT ausgehandelt. Fertin Pharma entwickelt pharmazeutische Produkte, die oral eingenommen werden. Die mehr als 850 Mitarbeiter sind in Dänemark, Kanada und Indien tätig.
Die bislang größte Investition, die nichts mit Zigaretten zu tun hatte, war der Tabakerhitzer IQOS, den Philip Morris 2016 auf den Markt brachte. Die kleinen Geräte machten im letzten Quartal bis zu einem Drittel der Umsätze aus. IQOS gilt weltweit als Marktführer in dem Segment. 2020 wurden 80 Milliarden Sticks verkauft. Offenbar leitet PMI auch aus diesem Produkt die Behauptung ab, dass man über ein starkes »Verständnis von Aerosolisation und Atemwegs-Technologie« verfüge, womit die Gewinnabsichten in den neuen Bereichen eine gute Basis hätten. Insgesamt investierte PMI in den vergangenen Jahren schon mehr als acht Milliarden Dollar in rauchfreie Produkte.
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