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Geflüchteter schlief auf dem Fußboden
Willkommensinitiative kritisiert Verhältnisse im Ankunftszentrum in Berlin-Reinickendorf
Kollabiert das Aufnahmesystem für Asylsuchende erneut wie im Sommer 2015? Diese These legen die Recherchen der Hilfsorganisation »Moabit hilft« sowie des Berliner Flüchtlingsrates nahe. »Seit geraumer Zeit« müssten neu ankommende Asylsuchende acht Stunden und länger im Ankunftszentrum im Bezirk Reinickendorf - der ersten und einzigen Anlaufstelle für Geflüchtete in Berlin - »auf ihre Aufnahme warten«, teilte »Moabit hilft« in der vergangenen Woche via Facebook mit. »Die Menschen werden von der Security darauf hingewiesen, dass man am nächsten Tag wiederkommen sollte.« Mit anderen Worten: Sie würden wie 2015 ohne Lebensmittel und U-Bahn-Ticket und auch ohne den zwischenzeitig obligatorischen Coronatest auf die Straße geschickt. Gegenüber »nd« sprach Diana Henniges davon, dass ihr Verein eine dreiköpfige afghanische Familie, die aus dem griechischen Elendslager Moria nach Berlin gekommen waren, vom Sonntag bis Montag sowie eine dreiköpfige Familie aus Moldau von Samstag bis Donnerstag untergebracht habe, weil es kein staatliches Angebot gab.
Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat ergänzt, er habe am Mittwoch mit einem Flüchtling aus Guinea gesprochen, der die vier zurückliegenden Nächte zwar im Ankunftszentrum auf dem Gelände der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik beherbergt worden war. Dieser habe aber in der Notunterkunft nur auf dem Fußboden übernachten können.
Das Ankunftszentrum im Reinickendorfer Ortsteil Wittenau ist seit zwei Jahren die Anlaufstelle für neu ankommende Asylsuchende. Hier werden sie auf Corona getestet, erhalten Impfungen, Nahrung, Sozialberatung und Obdach für wenige Tage. Hier werden sie als Asylsuchende registriert, bevor sie den eigentlichen Asylantrag stellen können und auf andere Wohnheime verteilt werden. Alles unter einem Dach anzusiedeln war eine der Lehren Berlins aus dem Chaos an der Turmstraße im Jahr 2015.
Daniel Tietze (Linke), Staatssekretär in der Berliner Sozialverwaltung, räumt gegenüber »nd« ein, dass es einen Engpass gegeben habe. Die Flüchtlingszahlen steigen ihm zufolge derzeit an und die Neuankömmlinge reisen unüblicherweise oft nachts und am Wochenende an. »Es ist aber absolut nicht hinnehmbar, dass Flüchtlinge nicht oder nur durch ehrenamtliche Initiativen versorgt werden. Darum haben wir seit Mittwoch in einem zuvor leerstehenden Gebäude 200 Betten aufgestellt, damit die neu ankommenden Geflüchteten nachts dort schlafen können. Sie werden verpflegt und nicht wieder weggeschickt«, so der Staatssekretär von Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke). Im Bezirk Pankow soll Tietze zufolge ein weiterer Standort eingerichtet werden.
In einer internen Mail des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), die »nd« vorliegt, spricht eine Abteilungsleiterin von täglichen »Ankünften im mittleren und hohen zweistelligen Bereich« im Monat Juli, nachdem zuvor während der Corona-Pandemie deutlich weniger Menschen gekommen waren. Das LAF bereite sich darauf vor, dass die Zugangszahlen in naher Zukunft auf diesem höheren Niveau bleiben werden, das jedoch um ein vielfaches unter den Zahlen von 2015 liegt. Eine Besonderheit sei, so die Abteilungsleiterin, dass sehr viele Neuankömmlinge sogenannte Asylfolgeantragsteller sind. Das heißt, sie hatten schon einmal in Deutschland Asyl beantragt. Der Antrag war abgelehnt worden, und sie kommen erneut.
Georg Classen vom Flüchtlingsrat behauptet, das LAF behandle seit rund einer Woche Folgeantragsteller anders als Erstantragsteller: So würden Folgeantragsteller nur auf Feldbetten untergebracht. Sie erhielten keine Leistungen für Ernährung, medizinische Versorgung, S-Bahn-Tickets oder Bargeld. Das geschehe mehrere Tage lang, bis das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Folgeantrag annehme. Um Folgeantragsteller sofort zu identifizieren, sei die Polizei in das Ankunftszentrum eingezogen, die vor allen anderen Behördengängen die Fingerabdrücke der Neuankömmlinge mit der Asyldatenbank abgleiche, so Classen.
Staatssekretär Tietze sagt dazu, Menschen, deren erster Asylantrag abgelehnt wurde, hätten formal keinen Anspruch auf Leistungen oder Unterbringung durch das LAF, bis ihr neuer Asylantrag eingereicht sei. »Formal gelten sie bis dahin aus obdachlos. In der Lebensrealität setzt das LAF aber keinen Menschen auf die Straße.«
Georg Classen bezeichnet diese Auffassung als rechtswidrig. Das Bundesverfassungsgericht habe bestätigt, dass das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum in jedem Fall sicherzustellen ist, solange ein Mensch bedürftig ist und sich hier aufhält. In den Augen von Classen ist es »ein Skandal«, dass eine linke Senatorin Asylsuchenden das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum abspreche.
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