Haben künftige Rentnergenerationen steuerliche Vorteile?
Eine Nachbetrachtung zum Urteil des Bundesfinanzhofs zur Doppelbesteuerung von Renten
Im nd-Ratgeber vom 9. Juni 2021 wurde über das Verfahren berichtet mit dem Hinweis, dass unser langjähriger Autor und Steuerexperte Dr. Rolf Sukowski auf dieses Thema noch näher eingehen werde. Nachfolgend seine umfassende Nachbetrachtung zur Vorgeschichte und zu Folgen des Urteils.
Finanzverwaltungen wiesen die Einsprüche meist zurück
Seit 2005 gelten neue Regelungen zur Besteuerung von Alterseinkünften. Diese Umstellung hatte bei zunehmend mehr Rentnerinnen und Rentnern zu Sorgen und Einsprüchen gegen Steuerbescheide geführt, da in bestimmten Fällen eine zweifache und damit doppelte Besteuerung vermutet wurde - sowohl durch die jetzige Besteuerung der Rentenbezüge als auch durch die frühere Besteuerung des Einkommens, aus dem die Beiträge gezahlt wurden.
Die Finanzverwaltung hat Einsprüche meistens zurückgewiesen mit dem Hinweis »Beweisen Sie bitte den von Ihnen vorgebrachten Sachverhalt.« Insgesamt soll es wohl 140 000 Einsprüche gegeben haben, Ausgang offen. Das Bundesfinanzministerium hat verlauten lassen, für die laufenden Verfahren werde man »eine pragmatische Lösung« finden. Ob sich diese Lösung auf dem Konto niederschlägt, ist mehr wie fraglich.
Welche steuerrechtlichen Vorgänge stecken dahinter?
Bis 2004 wurden die Renten lediglich mit ihrem Ertragsanteil versteuert. Dies ist vereinfacht gesagt, die Differenz zwischen eingezahltem Beitrag und ausgezahlter Rente. Dieser Ertragsanteil der Rente war abhängig vom Renteneintrittsalter und lag bei ca. 27 bis 35 Prozent der Bruttorente. Damit mussten die meisten Rentnerinnen und Rentner keine Steuern zahlen.
Im Gegenzug konnten die Rentenversicherungsbeiträge auch nur in einem geringen Umfang als Sonderausgaben steuerlich geltend gemacht werden. Die Steuerbelastung war im Erwerbsleben also höher und im Ruhestand niedriger.
Mit dem Systemwechsel ab 2005, der auf einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) vom März 2002 beruhte, sollte sich die Belastung umkehren. Ursache für dieses Urteil war eine Klage wegen der bis dahin unterschiedlichen Besteuerung von gesetzlichen Altersrenten und Beamtenpensionen. Letztere wurden schon immer voll versteuert. Das BVerfG sah darin einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz.
Die Ungleichheit hinsichtlich der Beitragszahlung sah das BVerfG anscheinend nicht, denn nicht selbstständig Beschäftigte bekommen nur die Hälfte ihrer Beiträge als steuerfreien Arbeitgeberanteil.
Die Folgen der sogenannten nachgelagerten Besteuerung
Es kam zur sogenannten nachgelagerten Besteuerung. Die Abzugsfähigkeit der Rentenversicherungsbeiträge nach § 10 Abs. 3 EStG wurde ab 2005 deutlich erhöht auf zunächst 60 Prozent der Arbeitnehmeranteile und dann jährlich mit +2 Prozent auf inzwischen 90 Prozent im Jahr 2020. 2025 soll mit 100 Prozent die volle Abzugsfähigkeit erreicht werden.
Das bedeutet: Im Erwerbsleben sank schrittweise die Belastung mit Lohnsteuer bzw. Einkommensteuer. Daraus folgt die Logik aus Sicht der Finanzverwaltung: Im Erwerbsleben erfolgt zunächst eine Steuerentlastung durch einen niedrigeren individuellen Steuersatz. Im Ruhestand erfolgt dann die Belastung. Da die Alterseinkünfte deutlich unterm Niveau des Arbeitseinkommens liegen, sei die Entlastung in Summe höher als die künftige Belastung.
Um jetzt eine Doppelbesteuerung nachzuweisen, müsste also die erhaltene Steuerminderung im Erwerbsleben (rückwirkend für das gesamte Berufsleben oder zumindest ab 2005) verglichen werden mit der (künftigen) Steuerbelastung im Ruhestand. Da der Rentenbezug mit dem Tod endet, spielt die eigene Lebenserwartung dabei keine ganz untergeordnete Rolle. Auch Rentenerhöhungen in den folgenden Jahren müssten prognostiziert werden. Ein Teil der Beiträge fließt in die Verwaltung und nicht in Rentenansprüche, andererseits zahlt der Bund einen Steuerzuschuss aus Bundesmitteln.
Daraus ist bereits ersichtlich, dass eine solche individuelle Berechnung und damit Nachweisführung nahezu unmöglich sein dürfte. Der Gesetzgeber hat daher 2005 eine Pauschallösung gewählt. Der steuerpflichtige Teil der Altersrente wurde für die damaligen Bestandsrenten mit 50 Prozent festgelegt und für jede weitere Rentnergeneration (Kohorte) steigt seitdem dieser Anteil um 2 Prozent, ab 2020 um einen Prozentpunkt pro Jahr (§ 22 EStG). Wer ab 2020 eine Altersrente bezieht, hat einen Besteuerungsanteil von 80 Prozent, die Neurentner aus 2021 einen Anteil von 81 Prozent.
Dazu kommt, dass alle Rentenerhöhungen dem steuerpflichtigen Teil zugeschlagen werden. Der steuerfreie Teil der Rente wird festgeschrieben, und der steuerpflichtige Teil erhöht sich um die jährlichen Rentenanpassungen. Die ursprüngliche Proportion zwischen steuerfreiem und steuerpflichtigem Anteil (2005 50:50) verschiebt sich dadurch jedes Jahr. Der steuerfreie 50-Prozent- Anteil an der Rente des Jahres 2005 beträgt heute nur noch ca. 35 Prozent der Bruttorente des Jahres 2020.
Nach jetziger Rechtslage ist 2040 die volle Steuerpflicht erreicht, aber ...
Mit der Kohorte des Rentenjahrgangs 2040 ist dann nach jetziger Gesetzeslage die volle Steuerpflicht erreicht. Die Generation mit Rentenbezug ab 2040 wird bis dahin die Möglichkeit haben, 35 Jahre die gezahlten Rentenbeiträge als Sonderausgaben in höherem Umfang und die letzten 15 Jahre sogar in vollem Umfang steuermindernd geltend zu machen.
Diese Rentnerkohorte wird jedoch mit Sicherheit das gleiche Problem haben wie die jetzigen Rentner. Die Steuerminderungen im Erwerbsleben sind verausgabt worden und liegen nicht als Rücklage für künftige Steuerzahlungen auf dem Konto oder unterm Kissen. Deshalb hat die Debatte um Rentenbesteuerung auch eine psychologische Komponente. In meiner Beratungspraxis wird dies deutlich - bei nicht selbstständig Beschäftigten steckt der Nettolohn im Haushaltsbudget und die Freude ist groß, wenn das Finanzamt nachträglich durch eine Erstattung dieses Budget wieder auffüllt. Bei Rentnern ist auch Netto in der Haushaltskasse, nur dass hier das FA nachträglich davon wieder etwas wegnehmen will. Auf völliges Unverständnis stößt dann zusätzlich noch, wenn das FA mit seinen Forderungen erst nach mehreren Jahren kommt und noch saftige Zinsen (6 Prozent pro Jahr) kassiert.
Bei pauschalen Lösungen liegt bekanntermaßen die Tücke im individuellen Detail. Das Erwerbsleben hat Höhen und Tiefen, auch einkommensseitig. Es gibt Zeiten, da werden zwar Rentenpunkte gut geschrieben, aber es gab keine adäquaten Rentenbeiträge als abzugsfähige Sonderausgaben (z.B. Erziehungszeiten, Arbeitslosigkeit). Die Lösung wäre eine auf die einzelne Person zugeschnittene Berechnung. Allerdings bleibt die Lebenserwartung und damit die Rentenbezugsdauer als große Unbekannte in dieser Rechnung. Selbstständige haben doppelt so hohe Beitragszahlungen zu leisten, denn der Arbeitgeberanteil muss mitfinanziert werden. Dann gibt es noch die Erwerbsbiografien mit einem Wechsel zwischen selbstständiger und nicht selbstständiger Beschäftigung. Wer kann das alles mathematisch exakt für sich nachrechnen?
Was machten die beiden Kläger vor dem BFH geltend?
Die beiden Kläger, zwei Freiberufler - ein ehemaliger Steuerberater und ein Zahnarzt - waren der Auffassung, dass eine doppelte Besteuerung (Zuvielbesteuerung) für sie zuträfe. Dass es sich dabei nicht um Fälle von Mustermann handelte, zeigt die Tatsache, dass einer der Kläger noch 22 private Rentenversicherungen abgeschlossen hatte.
Der BFH hat unter anderem festgestellt: »Der Senat hält daran fest, dass sowohl der zum 01.01.2005 eingeleitete Systemwechsel zur grundsätzlich vollen Einkommensteuerpflicht von Leibrenten und anderen Leistungen der Basisversorgung als auch die Grundsystematik der gesetzlichen Übergangsregelung verfassungsgemäß ist.«
Gleichzeitig betonte der BFH: »Einem Steuerpflichtigen, der nachweisen kann, dass es in seinem konkreten Einzelfall zu einer doppelten Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen kommt, kann allerdings aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Anspruch auf eine Milderung des Steuerzugriffs in der Rentenbezugsphase zustehen. Eine solche doppelte Besteuerung ist nicht gegeben, wenn die Summe der voraussichtlichen steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse mindestens ebenso hoch ist wie die Summe der aus versteuertem Einkommen aufgebrachten Altersvorsorgeaufwendungen.« Vereinfacht gesagt: Jeder Rentner muss mindestens so viel Rente steuerfrei erhalten, wie er an Beiträgen aus versteuertem Einkommen eingezahlt hat.
Es wurde also nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass es unter bestimmten Bedingungen zur doppelten Besteuerung kommen könnte, nicht jedoch in den beiden zur Verhandlung gestandenen Fällen. Aber aufgrund der derzeitigen gesetzlichen Regelung und der ihr zugrunde liegenden Berechnungen des Bundesministeriums der Finanzen könnten zukünftige Rentenjahrgänge von einer »doppelten Besteuerung« zunehmend betroffen sein. Ganz so schlecht kann also die Reform von 2005 für die bisherigen Kohorten nicht gewesen sein.
Was künftige Rentenjahrgänge erwarten oder nicht erwarten können
Der Blick des BFH geht vor allem in Richtung der künftigen Rentenjahrgänge. Der jetzige Bundesfinanzminister hat eine umfassende Reform angekündigt. Das Erreichen der vollen Besteuerung soll eventuell um 20 Jahre auf 2060 verschoben und die für 2025 vorgesehene volle Abzugsfähigkeit der Beiträge vorgezogen werden.
Wenn das Bundesfinanzministerium das Urteil jetzt begrüßt, dann ist das gelinde gesagt ein Ausdruck von Ignoranz und Arroganz. Denn warum sind diese Änderungen nicht schon längst erfolgt? Die Diskussion um eine mögliche Doppelbesteuerung hat die gesamte Legislaturperiode begleitet.
Ob künftige Rentnergenerationen einen Besteuerungsvorteil haben werden, ist offen. Auf jeden Fall ist eine Reform des Rentenrechts notwendig. Sie soll den Ankündigungen zufolge in der nächsten Legislaturperiode in Angriff genommen werden.
Der Autor ist geprüfter Beratungsstellenleiter und Leiter der Berliner Filiale der Lohnsteuerhilfe für Arbeitnehmer.
Zum Urteil siehe www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE202110106/ bzw. www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE202110105/
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.