Poesie aus der Dose

Die Dichterin Juliane Liebert stimmt einen zeitkritischen Blues an, verfehlt jedoch die Melodie

  • Björn Hayer
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Lyrik der ersten Jahreshälfte täuscht im Schatten einer anscheinend nie so richtig endenden Pandemie wahrlich keine falsche Heiterkeit vor. Nachdem bereits Jürg Halters »Gemeinsame Sprachen« einen kulturkritischen Abgesang auf die dekadente, aber wohltemperiert sich selbst zersetzende Gesellschaft des Westens bietet, stimmt nun auch Juliane Liebert mit ihren »liedern an das große nichts« in die Long-Winter-Sadness ein. Hotels warten gelangweilt am Strand, bis endlich einer in den blassen Weiten ertrinkt, auch von der Stadt ist wenig zu erwarten. »mach dir keine / hoffnung, es gibt kein entkommen«, klärt uns ein lyrisches Ich schonungslos auf. Von Romantik also keine Spur, das Herz, unser Hoffnungs- und Liebesorgan, ist ohnehin nur »muskulöses / hohlorgan«.

Also alles nur Schwarzmalerei? Kein bisschen Alterität in diesen auch schon in realiter düsteren Zeiten? Ganz so trist sieht es dann doch nicht aus. Denn die 1989 in Halle an der Saale geborene Autorin, die sich vor allem als Journalistin einen Namen gemacht hat, weiß auch, was sie der Wirklichkeit entgegenhalten kann. Nämlich eine entgrenzte, allen Gesetzen der Logik und Physik erhabene Sprache. »ich habe keinen vater / ich habe keine mutter / ich wurde mit 30 geboren/ aus einer top ramen dose/ und einem traum.« Wer oder was hier spricht, entzieht sich unserer Vorstellung. Wir wissen nur: Dieses redende Ich scheint nicht von dieser Welt. Eine blaue Sonne kann mit dem blauen Himmel verschwimmen, aus einem Stück Fleisch wieder ein Tier hervorgehen.

Was uns die Jungpoetin Kraft ihrer Frische und Unkonventionalität zeigt, ist die Künstlichkeit unseres Sprach- und Denksystems, das sich allzu gern in festen Ordnungen bewegt und darin eben auch verfängt. Es gilt daher, das Vorhandene neu zu arrangieren - zum Beispiel die Hände. Sie sind »luftträger, windbeladen, unstet ihr flug«. Weder kann man üblicherweise Luft tragen, noch lässt sich irgendetwas mit Wind beladen. Im Gedicht erschließt Liebert mit solcherlei Paradoxien indessen einen neuen Raum, den der Fantasie.

Mögen ihre Miniaturen vordergründig von einer finsteren Melancholie, bisweilen von einem aussichtslosen Nihilismus künden, eröffnet ihr Spiel mit Worten und Bedeutungen eine geheime, erst zu entschlüsselnde Gegenwirklichkeit. Diese hermeneutische Anstrengung hat ihren Reiz. Allerdings weisen die Gedichte lediglich in nebulösen Andeutungen auf ein Außerhalb, ein Anderswo. Ein Großteil dieser Lyrik verharrt in sich selbst, dreht sich in einem popartigen Sound um die eigene Mitte. Lieberts Ton rüttelt auf, ist manchmal schrill und mitunter komisch. Doch woran es mangelt, ist die Melodie. Viele Poeme ziehen vorüber, ohne sich in uns zu verankern, uns zu begleiten: »und wenn! wir für mücken so etwas sind / wie gewaltige, wandelnde, prall gefüllte / fast immer ärgerliche kuchen, wer sollte // es uns verübeln.«

Dass Fliegen uns vielleicht als Süßteilchen wahrnehmen, kann sein, aber ist irgendwie belanglos. Noch weniger ergibt im Übrigen die Zeilenbrechung Sinn. Es wirkt in diesem Band so, als habe man Prosa oftmals schlichtweg in Verse gepackt. Fazit: Diese, wie der Titel proklamiert, »Lieder ins Nichts« lassen sich anhören und angenehm lesen. Allein vom poetischen Esprit, von der starken Geste in Sprache und Vision hätte man sich mehr erhoffen dürfen.

Juliane Liebert: lieder an das große nichts. Suhrkamp, 88 S., geb., 18 €.

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