Blau trifft Grün

Die Azoren im Atlantischen Ozean dienten Portugal einst als Zwischenhalt für koloniale Eroberungen. Heute kommen Touristen zum Wale-Schauen

  • Christiane Flechtner, Azoren
  • Lesedauer: 7 Min.

Schon beim Landeanflug auf die Insel Pico ist die mystische Landschaft mit Kratern und Rissen, tiefen Einschnitten und zerklüfteten Küstenabstrichen zu sehen. Über allem thront der schlafende Stratovulkan Montanha do Pico, der mit 2351 Metern höchste Berg Portugals. Vom Flughafen geht es per Auto ein Stück über die Insel. Zu sehen sind zerklüftete Höhlen und tiefe Krater, knorrige Bäume und riesige Farne: Es ist, als sei man mitten in den Filmdreh des Kinohits »Jurassic Park« geraten - nur mit dem Unterschied, dass es hier keine Dinosaurier gibt.

Die Entstehung Picos und der Nachbarinseln São Miguel, Santa Maria, Faial, São Jorge, Terceira, Graciosa, Flores und Corvo geht auf insgesamt 1766 Vulkane zurück, von denen neun immer noch leicht aktiv sind. Der Archipel gehört zusammen mit Island, Ascension oder Jan Mayen zu den Makaronesischen Inseln. Sie bilden die Spitze eines gewaltigen Gebirges unter Wasser, dem Mittelatlantischen Rücken. An einigen Stellen ragt er mehrere Tausend Meter hoch und aus dem Meer und bildet auf diese Weise die neun Inseln.

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Erstmals wurde das Archipel im 14. Jahrhundert auf Karten erwähnt, ihre Besiedlung begann etwa ein Jahrhundert später. Die Eilande galten als wichtige Zwischenstation für Segelschiffe auf dem Rückweg aus Indien, und auch die Kolonialisierung Brasiliens und Nordamerikas förderten den Ausbau der Häfen. Später, im 19. und 20. Jahrhundert, war der Walfang ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

Es ist nur ein kleiner Schlitz, durch den Anteiro Suarez hindurchsehen kann. In seinem Turm auf den Vulkanhöhen der Insel hat er schon im Morgengrauen Stellung bezogen und sucht mit seinem Fernglas das Meer ab. Der 72-Jährige ist »Vigia«, der Walbeobachter an Land, der mit Geschick die Wale und Delfine erspäht. »Ich bin der absolute Spezialist im Aufspüren von Walen und kann immer Wellen oder Gischt von einem Blas unterscheiden«, sagt er stolz. Früher hat diese Gabe den Tieren das Leben gekostet, denn Suarez war lange Jahre als Walfänger unterwegs. Doch vor 20 Jahren ist er vom Walfänger zum Walspotter geworden - und zählt heute zu den Besten der Azoren - ihm entgeht nicht ein einziger Blas, die weiße Fontäne, die der Pottwal beim Auftauchen aus seinem Blasloch pustet.

Sobald die Touristenboote auslaufen, gibt er per Funk die Position der Tiere durch und koordiniert, fast wie ein Fluglotse, von der Ferne den Verkehr der Boote bei den Walen. Dass der Walfang von großer Bedeutung war, davon zeugen noch die ehemaligen Walfabriken auf den Inseln. In ihnen wurden die friedlichen Riesen zerlegt und verarbeitet - vor allem das Walratöl war als Brennstoff in Öllampen in Leuchttürmen und Straßenlampen gefragt und brachte hohe Gewinne ein. Doch 1982 wurde der Walfang offiziell verboten, die vollständige Umsetzung erfolgte 1986. Heute sind die ehemaligen Walfabriken - etwa die Fabrik in São Roque auf Pico und die »Fábrica da Baleia de Porto Pim« in Horta auf Faial - als Museen geöffnet, damit die blutige Vergangenheit nicht in Vergessenheit gerät. »Es ist doch auch schöner, die Tiere zu beobachten als sie zu töten«, ist Anteiro Suarez überzeugt. Er sitzt oben in seinem Aussichtsturm und gibt den Booten die Richtung durch, in der sie auf Wale stoßen.

Auf dem Boot ist die Stimmung angespannt: »Ihr könnt mehr als 20 Arten von Meeressäugern antreffen, die sich hier in der Küstenregion tummeln«, hatte Frank Wirth den Besuchern vor Auslaufen des Bootes erzählt. Der Deutsche bietet mit Pico Sport seit 1996 Tauch- und Walsafaris an und kümmert sich auch um den Schutz der Haie, Wale und Rochen. Er hat es 2015, gemeinsam mit Fischern und der portugiesischen Regierung, geschafft Schutzgebiete rund um die Insel einzurichten. Davon profitieren auch seine Gäste, die über und unter Wasser vor allem die großen Tiere interessieren. Es ist auch unvergesslich, mit Blauhaien zu tauchen oder einen Mobula-Rochen an sich vorbeiziehen zu sehen.

Doch nun suchen an Deck alle gemeinsam das Wasser mit ihren Augen ab. Das Boot gleitet über die glatte See, und das Hellblau des Himmels stößt an das Tiefblau des Meeres. Ob wohl Delfine oder Wale auftauchen? Es sind kaum zehn Minuten vergangen, da meldet sich auch schon der Walbeobachter. Er habe Pottwale gesichtet, eine ganze Gruppe. Und dann sehen alle die weiße Fontäne. Insgesamt 17 Tiere werden bei dieser Bootsfahrt gezählt - die Touristen bestaunen die friedlichen Riesen des Meeres. Auch über dem Wasser wird das Schiff begleitet: Die Gelbschnabel-Sturmtaucher haben eine ihrer größten Brutkolonien auf Pico. Und während sie tagsüber über dem Meer auf Futtersuche sind, kann man sie nachts mit ihren ganz speziellen heiseren »Aua-Aua«-Rufen hören, wenn sie im Dunkeln zu ihren hungrigen Jungen zurückkehren, um sie zu füttern.

Pico hat aber noch mehr zu bieten als das Meer drum herum: Die nach São Miguel zweitgrößte Insel kann auf ihren 447 Quadratkilometern mit landschaftlichen Superlativen aufwarten: Ein Highlight im wahrsten Sinne des Wortes ist die Besteigung des Pico. Für die rund 1150 Höhenmeter vom letzten Parkplatz bis zum Gipfelkreuz sollte man ohne Pausen mindestens vier Stunden veranschlagen.

Es geht aber auch abwärts - zum Caminho da Gruta das Torres, dem größten Lavatunnel der Azoren. Das sagenhafte Naturdenkmal ist ein spektakuläres vulkanisches Relikt. Von der insgesamt 5150 Meter langen Höhle können Besucher einen 450-Meter-Tunnelabschnitt mit dunklen Tropfsteinen und bizarren Felsformationen erkunden.

Auch die Hochebene ist landschaftlich abwechslungsreich: In den grünen Vulkankratern weiden Kühe, und an den Straßen tauchen Blumen wie Gartenhortensien, Lilien oder Azoren-Glockenblumen alles in ein farbenreiches Bunt. Wenn der Nebel aufzieht, dann scheint er auch die Geräusche zu verschlucken. Dann gibt es nur noch die knorrigen Bäume, die überdimensionalen Farne und den Tau, der Halme und Gräser glitzern lässt.

Dass die Azoren nach wie vor in Veränderung begriffen sind, wird vor allem auf Picos Nachbarinsel Faial deutlich: Ganz im Westen der Insel ist von dem einstigen Leuchtturm nur noch der Turm zu sehen. Alles andere ist 1957 unter Lava und Asche verschwunden. Alles war ruhig und beschaulich, bis der Capelinhos am 16. September 1957 ausbrach. 13 Monate lang spuckte er vulkanische Asche, produzierte glühende Lavaseen und Erdstöße - zerstörte 300 Häuser und machte 2000 Menschen obdachlos. Der verlassene Leuchtturm ist das einzige Gebäude, das den Vulkanausbruch überstand. Erdbeben und unterirdische Eruptionen vergrößerten die Insel innerhalb eines Jahres um 2,5 Quadratkilometer und hinterließen eine einzigartige neue Mondlandschaft, die heute unter Naturschutz steht.

Ein weiterer Ort, den Besucher der Insel Faial nicht verpassen sollten, ist die Marina da Horta: Als erster Jachthafen der Azoren ist diese Marina eine der beliebtesten und bekanntesten auf der ganzen Welt. Weltumsegler legen hier definitiv einen Stopp ein. Die von den Seglern gemalten Bilder an der Hafenmauer erzählen von ihren Routen und Erlebnissen auf dem Meer. Unmittelbar am Jachthafen befindet sich auch »Peter Café Sport«. José Henrique Gonçalves Azevedo hat das traditionelle Café-Restaurant, das als internationaler Treffpunkt fungiert und früher auch die Poststation für die Weltumsegler war, von seinen Vorfahren übernommen. Die Fotos, Wimpel und Fähnchen sind stille Zeichen der Weltreisenden. Eine Etage darüber befindet sich das Scrimshaw Museum, das eine riesige Kollektion von geschnitzten und gravierten Walzähnen präsentiert. Die kunstvollen Arbeiten mit den verschiedensten Motiven stammen vorwiegend von den geschickten Händen der Fischer der Insel.

Zurück auf Pico, lässt man sich zum Sonnenuntergang den auf der Insel hergestellten Wein auf der Zunge zergehen. Die Trauben kommen direkt aus den mit Basaltmauern eingefriedeten Weingärten an der Küste. Die vulkanischen Weingärten mit jahrhundertealter Weinkultur sind einmalig - und gelten heute als Unesco-Weltkulturerbe.

Das Meer mit der untergehenden Sonne vor sich, das Weinglas in der Hand, das Rauschen des Atlantiks und die Schreie der Gelbschnabelsturmtaucher - das brennt sich ins Gedächtnis ein. Das Ende der Welt ist eben einzigartig und unbeschreiblich schön.

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