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Neues Fenster ins All
Seit fünf Jahren wird das Universum mithilfe von Gravitationswellen beobachtet. Überraschende Erkenntnisse über Neutronensterne und Fragen zu Schwarzen Löchern
Astronomen waren Jahrtausende auf das sichtbare Licht angewiesen, das sie von den Objekten des Weltalls erreichte. Diese Boten aus der Ferne enthalten zahlreiche Informationen, wenn man sie richtig zu lesen versteht. Insbesondere die Spektralanalyse brachte im 19. Jahrhundert den großen Durchbruch zur Erkenntnis der chemischen Zusammensetzung, der Temperaturen und anderer physikalischer Kenngrößen der Sterne. Doch das sichtbare Licht ist nur ein winziger Ausschnitt aus dem Spektrum elektromagnetischer Wellen, jener Teil, den wir mit unseren Augen wahrnehmen können. Jenseits dessen schließen sich als längere Wellen Infrarot- und Radiostrahlung an, als kürzere Ultraviolett- sowie Röntgen- und Gammastrahlung.
Die Radioastronomie öffnete im 20. Jahrhundert das erste »neue Fenster« ins All. Erst dank der Raumfahrt gelang es dann, auch die anderen von der Erdatmosphäre zurückgehaltenen Bereiche des Spektrums zu erfassen und die heutige Allwellenastronomie zu entwickeln.
Dieser Text stammt aus unser Wochenendausgabe. nd.Die Woche nimmt Geschehnisse in Politik und Gesellschaft hintergründig unter die Lupe. Politische und wirtschaftliche Analysen, Interviews, Reportagen und Features, immer ab Samstag am Kiosk oder gleich mit einem Wochenendabo linken Journalismus unterstützen.
Einstein hatte aus seiner Relativitätstheorie allerdings noch ein weiteres »Fenster« vorhergesagt: die Gravitationswellen. Beschleunigte Massen im Raum deformieren demnach die Raumzeit und diese Störung breitet sich wellenförmig aus. Da der Effekt sehr winzig ist, würde man ihn aber wahrscheinlich niemals nachweisen können, meinte Einstein.
Seit Jahrzehnten bemühten sich die Forscher, geeignete Instrumente zu entwickeln, um derartige Wellen aufzuspüren. Mit klassischen Fernrohren haben die Detektoren allerdings nichts mehr gemein. Vielmehr verwendet man sogenannte Laser-Interferometer, mit denen hochpräzise Abstandsmessungen in zwei zueinander senkrechten Richtungen vorgenommen werden. Laserstrahlen durchlaufen dabei über Spiegel Strecken von einigen Kilometern. Ein Gravitationswellenereignis sollte die Länge der beiden Laufstrecken geringfügig verändern, was zur Verschiebung der Wellenberge und -täler des Laserstrahls führt (Interferenz). In den USA arbeiten die beiden LIGO-Observatorien, und ein weiteres namens Virgo befindet sich in der italienischen Toskana.
Werden nun gleichzeitig bei diesen räumlich weit voneinander entfernt liegenden Detektoren Signale empfangen, geht man davon aus, dass es sich nicht um eine Fehlmessung handelt. Genau dies geschah am 14. September 2015 und wurde 2016 öffentlich bekannt gemacht. LIGO hatte für die Dauer von 0,2 Sekunden ein starkes Signal empfangen, das von einer Quelle in 1,3 Milliarden Lichtjahren Entfernung stammte. Die Forscher, unter anderen auch aus Hannover und Potsdam, interpretierten das Signal als das Ergebnis des Verschmelzens zweier Schwarzer Löcher mit jeweils etwa 30 Sonnenmassen, die mit der halben Lichtgeschwindigkeit aufeinander zugerast waren. Die Energie von rund drei Sonnenmassen wurde dabei in Form von Gravitationswellen freigesetzt. Doppelsysteme von Schwarzen Löchern hatte man bis dahin überhaupt nicht gekannt. Auch Schwarze Löcher mit solchen Massen waren nicht erwartet worden.
Doch bei dieser einen Messung blieb es nicht. Noch 2015 empfingen alle drei Detektoren weitere Signale, die auf die Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher von 9 beziehungsweise 14 Sonnenmassen hindeuteten. 2017 wurde ein 100 Sekunden andauerndes Signal als Resultat des Verschmelzens zweiter Neutronensterne gedeutet. Interessant war in diesem Fall, dass vom Fermi Gamma-Ray Space Telescope fast zeitgleich ein Röntgenblitz aufgefangen wurde. Damit war es möglich, die Gravitationswellenquelle von Chile aus in verschiedenen Spektralbereichen zu beobachten. Das kann zum besseren Verständnis der Neutronensterne sowie des Entstehungsmechanismus schwerer Elemente wie Gold, Platin und Uran beitragen. Bereits 2017 erhielten die geistigen Väter des LIGO Rainer Weiss, Barry Barish und Kip Thorne den Nobelpreises für Physik.
Inzwischen sind insgesamt 50 Gravitationswellenereignisse nachgewiesen, die eine Fülle neuer Fragen aufgeworfen, aber auch zahlreiche Erkenntnisse gebracht haben. Dazu zählen zum Beispiel vorläufige Bestimmungen der Massenverteilung Schwarzer Löcher in Doppelsystemen, was wiederum nach wissenschaftlichen Erklärungen verlangt. So wird zum Beispiel vermutet, dass die massereichen Schwarzen Löcher möglicherweise bereits Resultat früherer Verschmelzungen sein könnten. Auch der noch widersprüchliche Wert der Hubble-Konstanten, der angibt, mit welcher Geschwindigkeit das Universum expandiert, könnte durch künftige Gravitationswellenmessungen geklärt werden.
Kritiker, wie etwa eine Gruppe um den dänischen Forscher Andrew D. Jackson bemängelten schon nach den ersten Messungen, dass es keine Möglichkeiten gibt, unabhängige Überprüfungen der LIGO/Virgo-Daten vorzunehmen. Doch dies wird sich bald ändern. In Japan wird nämlich 2022 der Kamioka-Gravitationswellendetektor (KAGRA) in Betrieb gehen, während die LIGO/Virgo-Detektoren aufgerüstet werden, um eine höhere Messempfindlichkeit zu erreichen. Für die komplizierte Datenanalyse kommt dann möglicherweise sogar Künstliche Intelligenz zum Einsatz.
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