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Klärungsstelle als Nadelöhr
Frauenhäuser kritisieren Änderungen bei Unterbringung von in Not Geratenen
Die neue Auflage in dem Bewilligungsbescheid der Senatsverwaltung kam überraschend. »Man wird verpflichtet, die Frauen vor der Tür stehen zu lassen«, ärgert sich Gabriele Kriegs, Leiterin des Frauenhauses der Caritas. Sie sieht zukünftige Änderungen für die hauptstädtischen Frauenhäuser und Vereine zur Unterstützung von Frauen in der Hauptstadt kritisch. Eine zentrale Klärungsstelle soll demnach der erste Anlaufpunkt für Schutz suchende Frauen und Kinder in Berlin werden. Die dafür geplante Zielgröße von 15 Plätzen zur Erstaufnahme von Frauen sowie ein unbekanntes Konzept für die noch nicht bestehende Clearingstelle bereitet vielen Frauenhäusern Sorgen. Ihr Hauptproblem: In Zukunft sollen sie Frauen ausschließlich aufnehmen, wenn sie über die Stelle vermittelt wurden. Mit einem offenem Brief wenden sich Vertreterinnen der Schutzeinrichtungen nun an die Öffentlichkeit.
In ihrem Brief fordern sie eine Aufhebung der Maßnahme und die Aufrechterhaltung unbürokratischer Aufnahmen in Schutzeinrichtungen. Dies müsste allein aus Sicherheitsgründen weiterhin möglich sein. Auch das angestrebte Ziel von 15 Plätzen sei viel zu gering, so Angelika May, Mitarbeitende des Vereins Frauenzimmer e.V. zu »nd«. Den Betroffenen sei nicht geholfen, wenn sie durchgehend wechselnde Beraterinnen, Zufluchtsorte und Meldeadressen hätten, sagt May. Die Reform würde nur weitere Komplikationen für ein funktionierendes System bedeuten. Aus ihrer Sicht versuche die Senatsverwaltung, mehr Kontrolle in dem Feld zu gewinnen. Während des ersten Lockdowns in der Corona-Pandemie wurden zwei Hotels von der Senatsverwaltung angemietet und zu Unterkünften für betroffene Frauen umfunktioniert. An die Frauenhäuser erging die Auflage, nur noch Personen aus den Stadthotels aufzunehmen. Dies sei an unzureichender Vermittlung gescheitert und habe dazu geführt, dass 20 Zimmer leer stehen mussten.
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Angelika May befürchtet, dass die zukünftige Clearingstelle zum »Nadelöhr« werde. Obwohl sie es dem Senat anrechnet, die Rund-um-die-Uhr-Unterbringung von Frauen zu verbessern, könne sie keinem Projekt zustimmen, das noch nicht existiert und erprobt sei. Man würde in die Abhängigkeit eines unbekannten Trägers und eines noch nicht vorhandenen Konzepts gezwungen.
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Laut der Sprecherin der Senatsverwaltung für Gleichstellung, Anna Theresa Lorenz, käme man hingegen mit dem Projekt dem »Wunsch der Träger des Berliner Hilfesystems für von Gewalt betroffene Frauen« nach. Wann genau die Clearingstelle den Betrieb aufnehmen kann, sei aus »verschiedenen Gründen« noch nicht klar, so Lorenz. Ziel sei es, ein Schutz- und Beratungsangebot zu schaffen, das rund um die Uhr verfügbar ist. Auch deutlich mehr langfristige Lösungen wolle man finden – laut Senatsverwaltung halte sich rund die Hälfte der Schutz suchenden Frauen maximal zwei Wochen in den Berliner Notunterkünften auf. Außerdem sollen Aufenthalte in anderen Bundesländern ermöglicht werden. »Alle betroffenen Träger sind in die Konzeption der Clearingstelle eingebunden, so dass deren Belange Berücksichtigung finden können«, erklärt Lorenz.
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»Die wissen gar nicht, wie das funktioniert«, entrüstet sich hingegen Gabriele Kriegs von der Caritas. Die Unterbringung in anderen Bundesländern hält sie für eher problematisch. Jedes Bundesland finanziere seine Frauenhäuser anders. Aus bürokratischen Gründen könnte es mehrere Wochen dauern, bis eine Unterbringung in einem anderen Bundesland möglich wäre. Es sei unklar, wie eine einzige Clearingstelle übergreifend für die Vermittlung von bis zu insgesamt 900 Betten in den Schutzeinrichtungen zuständig sein soll, meint Kriegs. Hinzu kämen Anrufe von der Polizei, von Beratungsstellen, Frauenhäusern, Jugendämtern und Privatpersonen. Diese müssten dann noch geprüft und Kontakte weitervermittelt werden. »Kein Mensch hat je gesagt, dass 15 Plätze ausreichen«, meint Kriegs. Besonders besorgniserregend findet sie die Tatsache, dass es schon Gerüchte gibt, wo sich die neue Clearingstelle befinden wird. »Da sind Frauen ja dann nicht mehr sicher«, sagt sie zu »nd«.
»Die Istanbul-Konvention erfordert, dass der Zugang zu Hilfe einfach ist«, betont Angelika May. Die in Deutschland seit dem 1. Februar 2018 geltende Konvention ist ein »Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt«. Die Ratifizierung der Istanbul-Konvention habe schon viele positive Veränderungen gebracht, meint May. Dazu gehört das Schließen der Nachtlücke bei der Hotline der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG) und der Versuch, Frauenplätze rund um die Uhr zu schaffen. Auch Kriegs hält eine Clearingstelle als ergänzendes Hilfesystem prinzipiell für sinnvoll, nur eben nicht als einzige Anlaufstelle. »Unsere jahrelange Arbeitserfahrung sollte wertgeschätzt werden«, sagt Kriegs zu »nd«.
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