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Libanon steht immer näher am Abgrund
Ein Jahr nach Katastrophe im Beiruter Hafen leiden Millionen im Zedernstaat unter Wirtschaftsmisere
Armut, Korruption, Energieknappheit, politisches Chaos: Nach dem verheerenden Unglück im Hafen der libanesischen Hauptstadt Beirut vor einem Jahr hat sich die humanitäre Krise im Land weiter verschärft. Auf Initiative der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich und der Uno tagte am Mittwoch in Paris eine internationale Geberkonferenz, um neue Nothilfen für den Libanon zu beschließen. Es war bereits die dritte Veranstaltung dieser Art binnen drei Jahren. Nach Einschätzung der Regierung in Paris hat sich vor allem in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Abwasser-Management die Situation weiter zugespitzt. Die Uno beziffert den akuten Hilfebedarf des Libanon auf 301 Millionen Euro.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat auf dem Treffen Hilfsgelder in Höhe von 100 Millionen Euro binnen eines Jahres sowie kurzfristig 500 000 Corona-Impfdosen zugesagt. Deutschland beteiligt sich mit 40 Millionen Euro. Wie auch Macron mahnte Außenminister Heiko Maas (SPD) Reformen im Libanon an und kritisierte dessen politische Eliten. Die Gelder sollen ausschließlich direkt in Hilfsprojekte fließen.
Am 4. August 2020 waren in einem Lagerhaus des Beiruter Hafens ungesichert gelagerte 2700 Tonnen Ammoniumnitrat detoniert. Es war eine der größten nichtnuklearen Explosionen überhaupt. Sie verwüstete den Hafen und angrenzende Stadtviertel. Mehr als 200 Menschen kamen ums Leben, über 6500 weitere wurden verletzt. Das daraus resultierende politische Erdbeben führte zum Rücktritt der diskreditierten Regierung. Die Suche nach einer neuen Führung ist mehrfach am Konkurrenzkampf der verfeindeten Parteien um Posten gescheitert. Das Prinzip des konfessionellen Proporzes erschwert eine Regierungsbildung zusätzlich.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat ein Jahr nach der Beiruter Explosion schwere Vorwürfe gegen hochrangige libanesischen Beamte erhoben, die es versäumt hätten, für eine sichere Lagerung der Chemikalien zu sorgen. Vertreter der Regierung, des Zolls, der Armee und der Sicherheitsbehörden sollen laut HRW von den tödlichen Gefahren gewusst, aber nicht gehandelt haben. Der Bericht der NGO stützt sich auf Interviews und offiziellen Schriftverkehr. Bisher musste sich kein einziger Verantwortlicher für das Unglück vor Gericht verantworten. Die Organisation empfiehlt deshalb eine unabhängige Untersuchung des UN-Menschenrechtsrates.
Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef fordert dringend mehr Hilfe für Familien in Beirut. Deren Lage habe sich durch Rezession und Pandemie weiter verschlechtert. Fast alle seien auf Hilfe von außen angewiesen, es fehle an Zugang zu Nahrungsmitteln, medizinischer Versorgung und Medikamenten. Nach Angaben der Weltbank leben bereits mehr als die Hälfte der rund fünf Millionen Libanesen in Armut. Hilfsorganisationen wie Caritas International warnen vor einer »riesigen Auswanderungswelle«.
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