Feuertopf und kalte Suppe

So vielseitig Bulgarien ist, so bunt sieht es auch auf seinen Tischen aus. Oft schmoren oder kochen viele gute Sachen – stets langsam – zusammen im selben Topf

  • Carsten Heinke
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Goldstrand an der Schwarzmeerküste war für die Menschen in der DDR so nah und fern wie Costa Brava oder Côte d’Azur für ihre Westverwandten – ein Urlaubstraumziel, das erreichbar war. Mehr Süden und Exotik als Warna, Nessebar und Burgas ging kaum.
Seit sich die Auswahl der Reiseziele so arg vergrößert hat, geriet das schöne Land, wo Aprikosen und Melonen wachsen, für viele Ostdeutsche ein bisschen in Vergessenheit. Woran sich jeder, der mal dort war, sicher gut erinnern kann, sind Bulgariens Gastfreundschaft und seine reiche Esskultur, in der sich Balkan, Orient, wie Mediterraneum treffen und vortrefflich miteinander harmonieren.

Deshalb im Folgenden ein paar Gedächtnisstützen – oder, für Bulgarien-Unerfahrene, Tipps zum Kulinarik-Trip durch eine wahrhaft kunterbunte Landesküche.

Früh: Frisch losgekrümelt!

Was den Deutschen ihre Semmeln, Wecken oder Schrippen sind, bedeutet Banitsa für die Bulgaren. Das wohl typischste Gebäck des Balkanlandes ist meistens herzhaft, selten süß. In jedem Falle ist es immer eine wunderbare Krümelei, die man natürlich mit den Fingern isst. Hergestellt wird Banitsa aus hauchdünnem Strudelteig – also ohne Hefe wie beim etwas robusteren Blätterteig – und dem weißen Salzlakenkäse Sirene. Eine dafür ebenso beliebte Zutat ist Spinat.

Gleichfalls können andere Gemüsesorten, Fleisch oder Obst als Füllung dienen. Gegessen wird die runde, drei- oder viereckige Banitsa meistens zum Frühstück oder zwischendurch als Snack. Deshalb kann man sie in ihrem Heimatland auch überall frisch kaufen. Viele Bäckereien sind sogar ganz darauf spezialisiert.

Zu Hause wird Banitsa vor allem zu Festen und an Feiertagen gebacken. Weihnachten und Silvester schreibt man dazu Wünsche auf kleine Papierstreifen und wickelt sie bei der Zubereitung mit in die Teigschichten. Alle werden mit reichlich Butter oder Öl bestrichen und den gewünschten Füllungen belegt, bevor sie einzeln zusammengerollt und in der Regel – ganz traditionell – schneckenförmig auf das Backblech oder in die Form gegeben werden. Ideale Backtemperatur ist 180 Grad bei Ober- und Unterhitze.

Viele Bulgaren genießen ihr Lieblingsgebäck mit Joghurt oder Boza. Dieses süßlich-prickelnde Bier mit geringem Alkoholgehalt wurde ursprünglich aus Hirse gebraut. Der nächste Verwandte der Banitsa ist der türkische Börek. Auch für den verwendet man zum Backen praktischerweise sogenannten Yufka-, Filo- oder Phyllo-Teig. Man bekommt ihn gebrauchsfertig auch in deutschen Supermärkten.

Als essbares Nationalheiligtum verehren die Bulgaren ihren köstlichen Joghurt. Oft wird er als der beste auf der Welt gepriesen. Das cremige, leicht säuerlich schmeckende Naturprodukt ist von so fester Konsistenz, dass der Löffel darin stecken bleibt. Am allerbesten lässt es sich pur genießen. Manche schwören auf die Beimischung von frischen Früchten oder Honig.

Über den gewaltigen geschmacklichen Unterschied gegenüber anderen europäischen Joghurt-Varianten haben sich schon Viele den Kopf zerbrochen. Liegt es an den speziellen Milchsäurebakterien, dem Verzicht auf jegliche Zusätze oder einfach an der langen Erfahrung der Bulgaren? Immerhin kennen und nutzen sie »kiselo mljako« (saure Milch) schon seit fast 1400 Jahren.

Wegen der großen Popularität wird bulgarischer Joghurt in seiner Heimat nicht nur auf Wochen- und in Supermärkten angeboten. So steht er selbst beim Pizzabäcker um die Ecke im Kühlschrank neben Wasser, Bier und Cola. Als besonders feine Leckerei gelten Joghurts aus der Milch von einheimischen Wasserbüffeln sowie aus der Milch von Schafen.

Lecker, heiß und bunt

Eine bulgarische Spezialität, die vor allem an heißen Sommertagen herrlich mundet, ist der Tarator – eine kalte Suppe aus frischen grünen Gurken, Joghurt, Wasser, Knoblauch, Dill und Öl. Vielerorts wird er mit gemahlenen Walnusskernen verfeinert. Man isst Tarator zumeist als Vorspeise oder, wenn er etwas dickflüssiger geraten ist, als Dip. Nicht nur in vegetarischen Restaurants zählt das Gericht zu den absoluten Gästefavoriten.
Schon eine sättigende Hauptmahlzeit dagegen sind im Ofen geschmorte »Palneni Tschuschki« – aromatische Paprikaschoten, frisch oder getrocknet und gefüllt mit Hackfleisch, Reis, Gewürzen, Zwiebeln und Tomaten oder anderen Gemüsesorten, oft auch mit Ei und Käse.

Frisches buntes Gemüse, gepaart mit weißem Hirtenkäse – das ist Schopska-Salat. Tomaten, Gurken, Paprika, Zwiebeln und Petersilie müssen auf jeden Fall mit dran. Alles andere liegt im Ermessen von Mama, Oma oder Küchenchef. Abgeschmeckt wird mit Sonnenblumenöl, ein paar Spritzern Essig oder Zitronensaft und Salz.

Der Name der traditionellen Rohkostzubereitung, die als Vorspeise auf bulgarischen Tischen beinahe Pflicht ist, stammt aus der Region Schopluk im Dreiländereck von Bulgarien, Serbien und Nordmazedonien. Zu finden ist sie auf allen bulgarischen Speisekarten. Auch in der DDR gehörte Schopska-Salat zu den Standards in den Konsum- und HO-Gaststätten. Hervorragend geeignet ist er übrigens als Beilage zu gegrilltem Fleisch.
Ein wichtiges Gericht der bulgarischen Küche ist der Gjuwetsch. Bei ihm isst das Auge eine gute Portion mit. Denn der leckere und farbenfrohe Schmoreintopf macht nicht nur optisch etwas her. Obendrein wird er zumeist in einem hübschen bunten feuerfesten Tongefäß mit Deckel (türkisch: Güveç) zubereitet, aufgetragen und auch daraus gegessen.

Aber auch Töpfe oder Pfannen aus Metall finden dafür Verwendung. Der Name wie auch das Rezept stammen aus der osmanischen Zeit, haben sich aber über viele Generationen dem Geschmack und den Gepflogenheiten der Bulgaren angepasst.

Die Hauptbestandteile eines Gjuwetsch sind Fleisch, Gemüse und Kartoffeln oder Reis. Bisweilen kommen obendrein noch Eier oder Käse zum Einsatz. Aber auch rein vegetarische Varianten sind nicht unüblich. Gewürzt wird mit Rosenpaprika sowie klein gehacktem Selleriekraut und Petersilie.

Wer zum Gjuwetsch-Essen eingeladen wird oder das Gericht im Restaurant bestellt, sollte unbedingt beachten, dass die farbenprächtige Keramik nach der oft stundenlangen Prozedur im Ofen (mit Fleisch bis zu fünf Stunden) auch auf dem Tisch noch »glüht« beziehungsweise richtig lange wirklich heiß ist. Ursprünglich und in privaten Küchen ist Gjuwetsch immer noch ein praktisches »Reste-Essen«. Ebenfalls in ländlich bunt bemalter Keramik brutzelt und isst man Kawarma, ein meistens scharfer Gulasch aus Schweine-, Hühner-, Hammel- oder Lammfleisch, den man unter anderem mit Bohnenkraut würzt.

Bulgarische Spezialitäten aus Neptuns Reich spielen natürlich an der Schwarzmeerküste sowie entlang der großen Flüsse eine wichtigere Rolle als etwa in der Hauptstadt Sofia. Doch auch im Landesinneren weiß man Fisch und Meeresfrüchte wie köstliche Kalmare mit Salsa Verde und Kirschtomaten oder frische Schwarzmeermuscheln sehr zu schätzen und schmackhaft anzurichten.

Recht populär ist beispielsweise »Palnen Scharan«, mit Walnüssen und Zwiebeln gefüllter Karpfen. Bulgaren essen ihn zum Fest des Schutzheiligen der Fischer – am Nikolaustag. Aber auch Tintenfische aller Art, ob gegrillt oder als Oktopussalat, stehen hoch in der Genießergunst.

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