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US-Linke zwischen Einbindung und lokaler Macht
Kongress der Democratic Socialists of America: Linke Aktivistenorganisation wächst weiter und professionalisiert ihre politische Arbeit
Welche Politik verfolgt die US-Linke in der Biden-Ära – oder: Was machen die Democratic Socialists of America? Ein Teil der Antwort lieferte die am Wochenende zu Ende gegangene Convention der größten Organisation der US-amerikanischen Linken. Wegen der Corona-Pandemie versammelten sich 1500 Delegierte des alle zwei Jahre stattfindenden Quasi-Parteitags in der ersten Augustwoche online, um über Anträge zu inhaltlichen Fragen, organisatorischer Struktur und über die Besetzung des 16-köpfigen Nationalen Politischen Komitees (NPC) abzustimmen. Letzteres führt die Alltagsgeschäfte der Organisation, die parteiähnlich agiert und Kandidaten bei Wahlen antreten lässt, aber auch gewerkschaftliche Basisarbeit betreibt und mit sozialen Bewegungen kooperiert.
»Ich habe mich besonders auf die Rede von India Walton gefreut, sie ist eine unerschrocken auftretende Sozialistin und wird bald eine mittelgroße postindustrielle Stadt verwalten, von denen es in den USA so viele gibt«, sagte NPC-Mitglied Marianela D’Aprile gegenüber »nd«. Die prominente DSA-Politikerin Walton hatte im Juni die Bürgermeistervorwahl in Buffalo im Staat New York gewonnen. Ihre Wahl ist nun sicher, da es keinen Gegenkandidaten gibt. »Es ist unglaublich, dort eine Sozialistin gewinnen zu sehen, wo sie doch sagen, abseits der Großstädte hätte das Label keine Anziehungskraft«, freut sich D’Aprile. Auf rund 95 000 Mitglieder ist die Aktivistenorganisation angewachsen, organisiert in 240 Ortsgruppen, nicht mehr nur in Großstädten. Außerdem gibt es 130 Ortsgruppen der Jugendorganisation Young Democratic Socialists.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Widerstand gegen Donald Trump und die Republikaner-Herrschaft im US-Kongress sowie Bernie Sanders als klarer Anführer der Linken – oder »verbindende Kraft«, wie NPC-Mitglied D’Aprile ihn nennt – hielten die DSA zusammen. Die Organisation ist kampagnenfähiger geworden. Doch nun muss man in einem politischen Umfeld operieren, in dem US-Präsident Joe Biden und die Demokratenmehrheit im US-Kongress viele progressive Organisationen und auch Bernie Sanders durch Übernahme von Teilforderungen in die Regierungsarbeit eingebunden haben – womit sie in den meisten Fällen offene Kritik und Kampagnen verhindern. Trotz des Wechsels der politischen Großwetterlage bleiben die vier Prioritäten der DSA gleich: die Einführung der staatlichen Krankenversicherung Medicare For All, die Wahl DSA-naher Politiker, ein Green New Deal sowie »Arbeit und Gewerkschaft« als Feld. Viele Mitglieder etwa beteiligten sich in den letzten Monaten an der DSA-Kampagne für den von linken Demokraten im US-Kongress vorangetriebenen Protecting-The-Right-To-Organize-Act. Das Gesetzespaket soll die Bildung und Arbeit von Gewerkschaften erleichtern.
Viele Ortsgruppen beteiligten sich zudem an Nachbarschaftshilfen für von der Coronakrise betroffene Menschen sowie an Projekten zur Mieterselbstorganisation. Ein DSA-Komitee gab Hilfe bei Spontanprotesten von Beschäftigten, wenn Arbeitgeber eine Weiterarbeit ohne ausreichende Schutzausrüstung gegen Covid-19 anordneten. »Solidarität und nicht Almosen«, so nennt D’Aprile diese Projekte zur Betroffenendelbstermächtigung. Mittlerweile gibt es 120 gewählte DSA-Offizielle in vielen lokalen Ämtern wie Stadträten, in Staatsparlamenten und im US-Repräsentantenhaus. Zuletzt zogen Ende Juni weitere von der DSA unterstützte Kandidaten in den Stadtrat von New York ein. Aktuell treten DSA-Kandidaten aus taktischen Gründen auf Listen der Demokraten an, doch es gibt das Bestreben, perspektivisch eine eigene sozialistische Arbeiterpartei aufzubauen. Die Idee sei »sehr lebendig«, die Verwirklichung liege aber in »fernerer Zukunft«, so D’Aprile. Vorerst seien viele Ortsgruppen mit dem Aufbau lokaler Macht beschäftigt.
Mehrere DSA-Ortsgruppen sorgten außerdem seit 2019 für die Verabschiedung von lokalen Volksentscheiden, etwa für einen 15-Dollar-Mindestlohn. Auf welche Aspekte des Green New Deal man sich fokussieren sollte und wie die Kampagne »eskaliert« werden kann, nahm wegen der Klimakrise auf dem diesjährigen Treffen großen Raum ein.
38 Anträge statt wie 2019 noch 86 wurden für die Convention eingereicht, dieses Jahr waren ungewöhnlich viele zum Thema Internationalismus darunter. Die meisten Anträge kommen von den größten der mehr als zehn ideologischen Strömungen und ihren Vereinigungen, den sogenannten Caucuses. Die DSA-Arbeit sei »fokussierter« geworden, sagt D’Aprile dazu. Zum ersten Mal seit mehr als zwei Jahrzehnten hat die DSA außerdem ein Programm beschlossen.
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