- Wirtschaft und Umwelt
- Streiks im Baskenland
Mehr als zwei Jahre im Ausstand
Betriebsrat Ibai Carranza Francisco über den langen Kampf für einen würdigen Tarifvertrag bei Novaltia
In der Filiale des Arzneimittelhändlers Novaltia in Bilbao wird seit nun 751 Tagen gestreikt. Worum geht es?
Früher waren wir hier beim Arzneimittelgroßhändler Vascofar beschäftigt und verfügten über einen akzeptablen eigenen Tarifvertrag. Mit der Finanzkrise begannen die Probleme. Ständig wurde uns erklärt, die Löhne müssten sinken, sonst müsse dichtgemacht werden. Schließlich akzeptierte eine Belegschaft, bei der ein guter Teil vor der Pensionierung stand, harte Einschnitte wie Lohneinbußen um 25 bis 30 Prozent. Zahlungen an die Sozialversicherung blieben aber für die gleich, die bald in Rente gehen würden, damit sie keine Renteneinbußen hinnehmen mussten. Eingeführt wurde ein Zweiklassensystem. Neue Beschäftigte erhalten seither viel weniger Lohn für die gleiche Arbeit. Danach wurden wir von Aragofar aus Aragon übernommen und Novaltia wurde gegründet. Als 2018 Tarifverhandlungen anstanden und wir die doppelte Lohnskala wieder rückgängig machen wollten, wendete die Firma einseitig plötzlich den noch schlechteren spanischen Tarifvertrag an. Das brachte das Fass zum Überlaufen.
Spielt die harte Arbeitsmarktreform der konservativen Volkspartei aus dem Jahr 2012 eine Rolle?
In unserem Fall ist das wegen der Übernahme und der Gründung von Novaltia etwas komplizierter. Aber die Reform, mit der Rechte der Beschäftigten weiter beschnitten wurden, hat dabei geholfen, dass wir zunächst den Prozess zur Tarifvertrags-Frage gewannen, sich die Firma aber in der zweiten Instanz durchgesetzt hat. Das ist sehr ungewöhnlich.
Was sind zentrale Streikforderungen?
Wir wollen wieder einen würdigen Tarifvertrag, die doppelte Lohnskala abschaffen und Lohnsteigerungen erreichen, um den Kaufkraftverlust auszugleichen. Normal ist, dass man mit hohen Forderungen in Verhandlungen geht, die Firma niedrige Angebote macht und man sich dann annähert. Doch Novaltia hat sich in zwei Jahren nicht bewegt. Es wurde mit Kündigungen gedroht und zudem gefordert, unsere Versammlungen vor dem Werk müssten aufhören. Als das nicht geschah, wurden Zugeständnisse wieder zurückgezogen.
Wie hält man einen so langen Kampf durch?
Bedeutsam ist die Streikkasse von ELA, wo die Mehrzahl der Streikenden organisiert ist. Über dieses Mittel verfügt auch die Gewerkschaft LAB, die ihre streikenden Mitglieder ebenfalls trägt. Ohne ökonomische Grundlage steht man das nicht durch. Wichtig ist auch solidarische Hilfe untereinander, durch unsere Familien und aus der Gesellschaft. Negativ ist das Verhalten der Arbeitsinspektion der baskischen Regierung. Die schaut zu, wie das Streikrecht umgangen wird. Das stützt die Firma in ihrer harten Haltung.
Wie hält es Novaltia durch, dass fast die Hälfte der Beschäftigten und die große Mehrzahl in der Produktion streikt?
Vor allem, indem sie das Streikrecht halblegal oder illegal aushebelt. Aus der Verwaltung und der Chefetage springen Leute in der Produktion ein. Massiv werden Überstunden gemacht. Zum Teil wird von 6 Uhr bis 23 Uhr gearbeitet, auch am Wochenende. Zeitarbeitsfirmen werden bemüht. Das war das einzige, was die Arbeitsinspektion bestraft hat, aber auch erst acht Monate später, als die Arbeit längst gemacht war. Zudem wurden Teile der Arbeit auf andere Standorte verlagert.
Ist Ihr Kampf gegen Unternehmer, die derzeit zu glauben scheinen, alles machen zu können, exemplarisch? Da ist ja auch der Fall Tubacex im Baskenland, wo die Belegschaft seit über einem halben Jahr streikt. Sie müssen weiterstreiken, obwohl ein Gericht Kündigungen gekippt hat.
Klar. Wir haben uns kürzlich mit verschiedenen Betriebsräten zusammengesetzt. Überall laufen die gleichen Geschichten ab. Die Bedingungen werden verschlechtert, Leute entlassen, obwohl die Betriebe Umsatz und Gewinn machen. Teure ältere Beschäftigte sollen durch billigere jüngere oder durch Auslagerung ersetzt werden. All das hat die Arbeitsmarktreform ermöglicht.
Wie bewerten Sie es, dass die derzeitige sozialdemokratische Regierung die Streichung der Reform versprochen hat, aber bisher nichts geschieht?
Die Abschaffung der Reform wäre wichtig, denn sie hat die Basis geschaffen, dass man vor Gericht kaum noch Möglichkeiten hat. Unternehmen wurden viele Werkzeuge zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und für Kündigungen an die Hand gegeben.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.