Werbung

Sorge vor neuer Inflation

Die Preise in Deutschland steigen um 3,8 Prozent – wie dauerhaft dies ist, bleibt unter Ökonomen umstritten

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Preise in Deutschland sind im Juli um 3,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen. Eine höhere Inflationsrate hatte es zuletzt im Dezember 1993 gegeben. Wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch weiter mitteilte, stiegen die Verbraucherpreise im Vergleich zum Juni um 0,9 Prozent.

Experten sehen dies vornehmlich als Folge der wieder beendeten Mehrwertsteuersenkung aus der Coronakrise. »Der im Juli 2021 sprunghaft einsetzende Basiseffekt war zu erwarten, da die Weitergabe der Steuererleichterung an Verbraucherinnen und Verbraucher vor einem Jahr bei vielen Gütern zu sinkenden Preisen geführt hatte«, schreibt das Statistische Bundesamt in Wiesbaden. Infolge der Pandemie und geringer Nachfrage waren im zweiten Halbjahr 2020 die durchschnittlichen Preise sogar gesunken. Das niedrige Niveau wirkt sich nun erhöhend auf die Preisentwicklung vieler Waren und Dienstleistungen aus.

Der Mehrwertsteuer-Effekt kam im Juli erstmals zum Tragen, doch bereits im Juni waren die Preise um 2,3 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen. Auch dabei spielten Sondereffekte eine Rolle. Vor allem die Preise für Energieprodukte legten mit teilweise zweistelligen Raten deutlich zu. Dies betraf vor allem Benzin, Diesel und Heizöl, das viele Hausbesitzer bereits im Sommer einkaufen.

Doch es geht um mehr: »Insbesondere bei den Warenpreisen hat sich der unterliegende Preisauftrieb zuletzt deutlich verstärkt«, merken die Analysten der Commerzbank an. Die Preise für Waren insgesamt erhöhten sich überdurchschnittlich um 5,4 Prozent, während sich Dienstleistungen deutlich weniger verteuerten. Wegen der anhaltenden Engpässe bei vielen Vorprodukten dürfte sich der Trend zumindest vorerst fortsetzen, erwarten Bankanalysten. Für eine längerfristig spürbar über zwei Prozent liegende Inflationsrate müssten allerdings die Löhne kräftig anziehen, wofür es bisher – trotz des Streiks der Lokführer – keine Anzeichen gebe.

Einige Statistiker haben sich einen Trick ausgedacht, der für eine niedrigere Inflationsrate sorgt. Bereinigt um die ständig stark schwankenden Energie- und Lebensmittelpreise, weisen sie eine Kerninflationsrate aus, die in Deutschland bei 1,8 Prozent liegt. Vielen Verbrauchern dürften solche Rechenspiele ziemlich egal sein: Sie zahlen schließlich spürbar höhere Preise für Strom, Nahrungsmittel und Miete.
Ein Blick über die Grenzen zeigt, warum auch Ökonomen und Notenbanken gespannt auf neue Zahlen schauen. Im Euroraum stieg die jährliche Inflation im Juli auf noch moderate 2,2 Prozent. Auch wenn die Europäische Zentralbank kürzlich ihre Zielvorgabe ein wenig gelockert hathttps://www.nd-aktuell.de/artikel/1154416.ezb-die-sache-mit-der-richtigen-inflationsrate.html?, liegt der aktuelle Wert nun über der mittelfristigen Zielmarke von 2 Prozent, wie sie alle großen Notenbanken anstreben. Für die Industriestaaten meldet deren Organisation OECD sogar einen Preisanstieg von 4 Prozent, und in den Vereinigten Staaten liegt die Geldentwertung deutlich über 5 Prozent.

Rasant steigende Preise können aber die Nachfrage von Verbrauchern und Unternehmen verringern und damit die wirtschaftliche Erholung nach der Coronakrise bremsen. Eine weitere Sorge betrifft eine mögliche Reaktion der Zentralbanken: Mittelfristig könnten sie sich gezwungen sehen, die Leitzinsen anzuheben, um eine Geldentwertung zu verhindern. Sollte dies in den kommenden Jahren passieren, würde es die hoch verschuldeten Staatshauhalte hart treffen, die derzeit von extrem niedrigen, teils sogar Minuszinsen profitieren.

Vor diesem Hintergrund wird in der Fachwelt heftig über die Frage gestritten, ob die aktuelle Teuerung dauerhaft oder nur vorübergehend sein wird. In der vergangenen Woche sagte die US-Finanzministerin und frühere Notenbankchefin Janet Yellen, die Inflation werde sich bis Ende 2021 wieder auf ein niedriges Niveau einpendeln. Derzeit glauben auch nur wenige Ökonomen, dass die Inflation den Zielwert längerfristig übersteigen wird.

Dennoch gibt es auch Faktoren, die für eine dauerhaft höhere Inflationsrate sprechen. Larry Summers, Wirtschaftsprofessor und einst Berater des US-Präsidenten Barack Obama, warnt vor einer »wirtschaftlichen Überhitzung«. Ausgelastete Kapazitäten – wie heute etwa in der Bauwirtschaft – könnten Preise in schwindelerregende Höhen treiben. Auch die Alterung der Industriegesellschaften und der Mangel an Fachkräften, eine Zuspitzung des Konfliktes USA-China oder Ressourcenknappheit könnten zu Preistreibern mutieren. So übertrifft der HWWI-Preisindex, der alle wichtigen Rohstoffe umfasst, seinen Vorjahreswert um rekordverdächtige 87,2 Prozent. Die »Wirtschaftsweise« Veronika Grimm erwartet zudem, dass die geplanten höheren CO2-Preise und der Mehrbedarf an Strom im Zuge der Energiewende zumindest die Energiekosten noch weiter steigen lassen werden.

Unterm Strich herrscht Ungewissheit. Dafür sorgt auch ein Blick in den Rückspiegel: Bankern und Ökonomen ist weiterhin unklar, warum die historisch einmalige Aufblähung der Zentralbankbilanzen bei gleichzeitig negativen Zinsen nicht wie im Lehrbuch zu größerem Preisdruck geführt hat. »Die elegante Makroökonomik, auf der die allgemeinen Gleichgewichtsmodelle basieren, ist jedenfalls mit ihrem Latein am Ende«, merkt David Folkerts-Landau, Chefökonom der Deutschen Bank, zur Inflationsrate im Juli an.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -