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Maschinenwinter
Eine Streitschrift von Dietmar Dath über Wissen, Technik und Sozialismus
Hat der Fortschritt Jahreszeiten? Das ist schon mal eine schöne Frage. Eine, die sich hin und wieder vielleicht auch der Feuerwehrmann, die Krankenschwester, die Programmiererin, die Biochemikerin, der Soldat stellen. Vielleicht anders, aber im Kern könnte es stimmen. Leider, dies soll das einzige »leider« bleiben, schreibt Dietmar Dath im Abschnitt 32 seiner Streitschrift, er könne sich kaum vorstellen, dass die seinen Text lesen. Stattdessen täten es vielleicht Ärzte, Physiklehrer, Journalistinnen, Intellektuelle, die sogar Zeit hätten, Sinnfragen zu formulieren. Es ist seltsam, dass der Autor am Ende eines nicht nur sprachlich schönen, sondern auch anregenden kleinen Buches jene Unterteilung vornimmt, die uns in Denkende (Vor- und Nach-) und Tuende unterscheidet. Als stellte sich die Sinnfrage erstens nicht allen – auf unterschiedliche Weise –, und als hinge es zweitens von dem ab, was man tut, ob man sich ihr stellt. Dabei stürzt sie sich doch jeden Morgen mit frischen Kräften auf uns. Gerade jetzt und überhaupt.
Die Rezensenten sind mit der Streitschrift »Maschinenwinter. Wissen, Technik, Sozialismus«, die schon 13 Jahre auf dem Buckel hat, nicht nett umgegangen. Der Tenor: Wissen wir alles schon, schreib uns was Neues. Dath habe stattdessen, sagten sie, »längst handelsübliche Plattitüden« aneinandergereiht. Handelsübliche Plattitüden – schüttelte ein Feuerwehrmann da den Kopf. Und vielleicht sagte die Krankenschwester, läse sie die Rezension: »Ja du, in deiner Redaktionsstube. Mag ja sein, dass du es leid und satt genug bist, voll mit klugem Zeug, das du alles schon gelesen hast und weißt. Nehmen wir mal an, ich finde das Büchlein ganz schlau und lerne sogar was daraus. Bin ich dann handelsüblich? Eine Tussi mit Vorliebe für Plattitüden?«
Dieser Artikel stammt aus OXI - Wirtschaft anders denken. OXI ist eine ökonomiekritische Monatszeitung, die exklusiv für nd-Abonnent*innen in »nd DIE WOCHE« beiliegt. Es liefert ökonomische Hintergründe und Analysen. Mehr über OXI gibt es hier.
Aber für wen schreiben wir Rezensionen, wenn nicht für uns selbst, die wir alles (fast alles) schon kennen? Oder – arbeiteten wir beim Fernsehen – schon mal gedreht haben?
34 Überlegungen sind in dem Buch aneinandergereiht. Geradezu synkopisch, der Punkt sagt: Hier ist erst mal Schluss, aber das ist nicht das Ende. Die Reihenfolge wirkt trotzdem spielerisch, aber dies hat den sehr schönen Vorteil, dass man auch einfach reinlesen kann. Es muss nicht von vorn nach hinten sein, was in einer Welt, die uns von morgens bis abends taktet und rastert und auferlegt, immer erst dies zu tun, bevor das gemacht werden kann, schon mal großartig ist. Darwin und Marx spielen eine wichtige Rolle in den Texten. Der eine, weil er erklärt hat, wie die Arten, also auch wir, entstanden sind, der andere, weil er analysierte, wie die eine Art, also wir, in der bürgerlichen Gesellschaft funktioniert. Und es gibt so etwas wie eine Kernthese: Maschinen haben es ermöglicht, die Arbeitsproduktivität zu steigern (und es scheint eine Möglichkeit ohne Begrenzung), was uns keine Erlösung und bislang kein richtiges Leben im Richtigen, stattdessen unglaublichen Reichtum, unanständige Ungleichheit und unendlich ausgebeutete Peripherien bescherte, mitnichten also eine gleichere, gerechtere Welt. »Moral ist Glückssache und setzt die Deckung der wichtigsten Lebensbedürfnisse voraus; meistens hat man andere Sorgen.«
Und diese Sorgen verhinderten, beschreibt Dath, dass dieses Gute im Menschen – also sein kostbarer Verstand – ausreichend zum Tragen komme. »Wer Gerechtigkeit nicht als Deutscher oder als Linkshänderin fordert, sondern als Gattungswesen, das allseitigen Reichtum schaffen kann, aber aufgrund der Einrichtung der Gesellschaft davon ausgeschlossen ist, diese Fähigkeit im vollen Umfang zu verwirklichen und zu genießen, begibt sich in den Klassenkampf.«
Vielleicht ist es auch das, was die Rezensenten (ja, es waren viele Männer) so hämisch hat werden lassen. Dietmar Dath mäandert in seinen Texten, vollführt Gedankensprünge, die alle nicht zu Ende geführt sind. Der kaut uns gar nicht alles vor. Stattdessen wirken die Abschnitte hin und wieder ein wenig, als hätte hier jemand mit scharfem Verstand in Kombination mit der richtigen Stimulanz die Sau rausgelassen. So wird es nicht gewesen sein. Aber wissen wir das?
Und warum auch sollten die 34 Abschnitte ein Ende haben, wir können ja selber denken. Und da, wo der Text nicht mehr ist als eine Anregung, hier doch mal ein bisschen weiterzulesen oder da mal zu überdenken, mit welchen Parolen man in den vergangenen Jahren so rumgelaufen ist. Weil sie einfach gut klingen, kämpferisch und so, aber die ökonomischen Bedingungen, unter denen die Parolen zur materiellen Gewalt werden müssten, deren Inhalt im Zweifelsfall ins Gegenteil verkehren. Da hat es sich dann doch schon gelohnt, reingelesen zu haben.
Das hat der Autor sehr schön im Abschnitt 9 »Existenzgeld« herausgearbeitet. In einer Warenwirtschaft, schreibt er mit Blick auf jene, die in der einen oder anderen Form bedingungslose Herausgabe von Existenzgeld fordern, sei doch per Definition alles, was man ohne Gegenleistung herausgebe, Müll. Und wenn es kein Müll ist, dann müsse es wohl doch eine Gegenleistung geben. Das Existenzgeld könne ja kein »Schwundgeld« sein, das in einem Gnadenakt sozusagen aus den Bilanzen ausgeklammert würde, um es einer vorher identifizierten Gruppe von Bedürftigen zu geben. Ist also ein wie auch immer geartetes Existenzgeld die Eintrittskarte zum Gemeinwesen (dem kapitalistischen, wohlgemerkt) oder »Ausweis der Minderwertigkeit«?
Nicht, dass man ihm da gleich zustimmen will im Sinne von: Ja, das mit dem bedingungslosen Grundeinkommen ist eine ganz blöde Idee. Im Gegenteil: 34 Abschnitte sind 34 Anreize, gegenzuhalten, anders zu sehen oder eben – weiterzudenken. Und sich auch ein wenig darüber zu amüsieren, wie jemand auf einer oder anderthalb Buchseiten zeigt, was in heutigen Zeiten – da sie doch längst als ausgestorben gilt – Universalgelehrtheit für eine Freude bereiten kann. Bei aller Arroganz, die da auch drin liegt.
Mehr wollte und will »Maschinenwinter« vielleicht gar nicht. Völlig logisch, dass die Feuilletons enttäuscht waren. Dietmar Dath hat ihnen nicht die ganze Welt erklärt. Verdammt.
Dietmar Dath Maschinenwinter. Wissen, Technik, Sozialismus. Eine Streitschrift Suhrkamp edition unseld, 2008
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