Wie auf dem Standesamt

Die nd.Genossenschaft ist mit der Gründungsversammlung in Berlin auf den Weg gebracht

Einstimmig und coronakonform: Verabschiedung des Satzungsentwurfs für die nd.Genossenschaft
Einstimmig und coronakonform: Verabschiedung des Satzungsentwurfs für die nd.Genossenschaft

Kolleginnen und Kollegen huschen am Samstagnachmittag noch schnell durch die Redaktionsräume, holen dies und das, drucken Vollmachten aus, tragen Kartons in den Münzenbergsaal des Redaktionssitzes am Franz-Mehring-Platz 1. Alle sind ein bisschen aufgeregt. Es ist der Tag, an dem die nd.Genossenschaft gegründet werden soll, die das »nd« ab 1. Januar 2022 herausgeben wird. Weil alles schnell gehen musste und sehr kurzfristig zur Gründungs- und ersten Generalversammlung eingeladen wurde, stellt sich die Frage: Wer kommt eigentlich alles?

Wie geht es weiter?

Der gestern gewählte Gründungsvorstand reicht die erforderlichen Unterlagen zur Prüfung beim Genossenschaftsprüfverband ein. Nach Abschluss der Gründungsprüfung erfolgt die Eintragung der Genossenschaft ins Genossenschaftsregister. Das wird voraussichtlich in etwa drei Monaten sein.
Ab dem 1. Januar 2022 bringen wir unsere Publikationen als Genossenschaft heraus.

Kann ich Mitglied werden?
Ja! Da die Genossenschaft noch nicht eingetragen ist, beteiligen sich neue Mitglieder in dieser Phase mit der Beitrittserklärung. Diese können Sie bei uns anfordern. Die Mitgliedschaft kommt mit der erfolgreichen Prüfung und Eintragung durch den Genossenschaftsprüfverband zustande.

Hier erhalten Sie mehr Infos:
Tragen Sie sich in unsere E-Mail Liste unter www.nd-genossenschaft.de ein oder schreiben Sie uns eine Nachricht an genossenschaft@nd-online.de oder nd.Genossenschaft, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin

Auch im Saal, wo die Stühle corona-konform aufgestellt sind, ist es ein wenig hektisch. Weil ein Handy verloren ging, müssen Telefonnummern von Kollegen erfragt werden, die nicht dabei sein können, aber aus der Ferne mit abstimmen wollen. Es ist die größte Belegschaftsversammlung vor Ort seit Beginn der Pandemie. Manche Kolleg*innen, die noch nicht lange beim Unternehmen sind, begegnen sich zum ersten Mal live.

»Das ist ein großer Moment für das ›nd‹, das künftig uns gehört«, sagt Ines Wallrodt aus der Verhandlungsgruppe, die die Versammlung eröffnet. Ein anstrengender Prozess neigt sich seinem Ende zu – um zugleich ein neuer Anfang zu sein für das »nd«, das sich schon so oft und grundlegend gewandelt hat. Und wieder einmal ging es ums Ganze: die Existenz und das Erscheinen der Zeitung für die nächsten Jahre sowie den Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze. Und die Loslösung von den bisherigen Gesellschaftern, der Linken und der Communio eG, die diesen Schritt im März angekündigt hatten. Wochenlang wurde über Finanz- und Personalpläne sowie Starthilfen für die Genossenschaft verhandelt und gestritten. »So etwas geht nicht ohne Konflikte«, fasst Wallrodt zusammen. »Aber das ist Demokratie.«

Allein durch den Wandel der Geschäftsform von der GmbH zur Genossenschaft ändert sich nicht der Inhalt der Zeitung, die die Leserinnen und Leser sechsmal wöchentlich in der Hand halten oder online zur Kenntnis nehmen. Aber sie geht den letzten Schritt in die Unabhängigkeit – zunächst mit einer Interimsstruktur für wenige Monate, bis das Vorhaben beim Prüfungsverband für kleine und mittelständische Genossenschaften für gut befunden ist und es richtig losgehen kann.

Eine Genossenschaft zu gründen ist kein Feuerwerk der Sensationen, und im nd-Gebäude weicht das feierliche Gefühl erst einmal bürokratischen Notwendigkeiten. Versammlungsleiter und Protokollführer müssen gefunden, das Gründungsvorhaben geschildert, die Errichtung der Genossenschaft erklärt, die Satzung beschlossen werden. Manch formaler Akt ist schnell erledigt, aber die Diskussion über die Frage, ob die linkspluralistische Ausrichtung der Zeitung, deren Herstellung wesentlicher Zweck der Genossenschaft sein wird, gemäß dem Redaktionsstatut oder lieber expliziter formuliert in die Satzung eingehen soll und an welcher Stelle genau, dauert ihre Zeit. Das ist wichtig, geht es doch darum, wer sich vom Zweck der Genossenschaft angesprochen fühlen soll, aber im Zweifelsfall auch ausgeschlossen werden kann, sollte sich ein Mitglied als politisch nicht tragbar erweisen.

Neue Formulierungen müssen im Detail, die Satzung als Ganzes abgestimmt werden, bevor es wieder feierlicher wird. Die ersten Genossenschaftsanteile werden von den Anwesenden persönlich und für Kolleg*innen, die ihnen Vollmachten übertragen haben, gezeichnet. »Das ist wie auf dem Standesamt«, sagt ein Kollege, der weiß, wovon er spricht. Nur dass man wohl auf dem Standesamt nicht Schlange steht. »Das ist der Run auf die niedrigen Mitgliedsnummern«, kommentiert ein anderer. Allerdings wollen manche ihre Lieblingszahlen erwischen und lassen dafür anderen den Vortritt. Die Anspannung ist verflogen und es fängt an Spaß zu machen, das Genossenschaftswesen. Nicht zuletzt, weil es aus vielen Pausen besteht, in den geplaudert und geraucht wird. »Soll ich jetzt für dich auch den Anteil zeichnen?«, fragt eine Kollegin in ihr Telefon, um sicherzugehen, wie weit der Auftrag geht.

Als sich die Mitarbeiter*innenversammlung der Genossenschaft in Gründung endlich konstituiert hat, gibt es den ersten großen Beifall. Dann geht es wieder an die Arbeit: die Wahl der neuen Gremien. Auch das ist anstrengend – zumindest für die provisorische Wahlurne, die zwischenzeitlich neues Klebeband zur Verstärkung braucht. Politik-Ressortleiterin Jana Frielinghaus, Marketingmitarbeiterin Daniela Schmidtke und Politikredakteur Daniel Lücking werden in den Aufsichtsrat gewählt, der den Gründungsprozess kontrollieren wird. Ines Wallrodt aus der Chefredaktion, Layouter Georg Ramsperger und Matthias Ritter vom Abo-Service bilden den Vorstand, der den Auftrag erhält, alles für die Registereintragung Notwendige zu veranlassen. Und nach mehr als vier Stunden werden die Sektflaschen geöffnet: auf alle, die zum Entstehen der nd.Genossenschaft beigetragen haben, auf weitere anstrengende, aber spannende Monate und die Hoffnung, mit der Unterstützung vieler künftiger Genossinnen und Genossen bestehen und das »nd« noch besser machen zu können. »Wir alle haben natürlich Bammel vor der riesigen Verantwortung. Aber wegdrücken geht nicht, dafür ist das ›nd‹ als linke Zeitung zu wichtig«, so das neue Vorstandsmitglied Ines Wallrodt.

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