- Wirtschaft und Umwelt
- Tarifstreit bei der Bahn
Weselsky: »Wir werden immer stärker«
GDL-Vorsitzender Claus Weselsky sieht die Gewerkschaft auf gutem Weg zur Vertretung aller Eisenbahner und rechnet mit weiteren Streiks
Freitagmorgen endete die insgesamt 55-stündige Arbeitsniederlegung der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Sie bestreikten alle Schienenverkehrssparten. Wie bewerten Sie den Streikverlauf, was haben Sie damit erreicht und wie wird es jetzt weitergehen?
Natürlich versucht die Gegenseite, das jetzt kleinzureden. Aber der Deutschen Bahn (DB) ist es nicht mal gelungen, den Notfahrplan stabil aufrechtzuerhalten. Was wir im Streik erlebt haben, ist eine große Solidarisierung der Eisenbahnerinnen und Eisenbahner. Das bestärkt uns darin, den Kampf für einigermaßen annehmbare Lohnerhöhungen sowie den Widerstand gegen Betriebsrentenkürzungen und verschlechterte Schichtplanungen mit aller Kraft fortzusetzen. Am Dienstag gibt es eine Protestaktion vor dem Bahntower am Potsdamer Platz. Falls es kein verhandlungsfähiges neues Angebot der Bahn geben sollte, wird bis zur nächsten Arbeitsniederlegung nicht viel Zeit vergehen. Das erwarten auch die Kollegen von uns.
Claus Weselsky ist seit 2008 Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Geboren 1959 in Dresden, absolvierte er dort in den späten 1970er Jahren bei der Deutschen Reichsbahn Ausbildungen als Schienenfahrzeugschlosser und als Lokführer.
In diesem Beruf arbeitete er danach bis 1992, als er Funktionär bei der neugegründeten GDL wurde. Hier war er Vizechef des Bezirks Dresden, ab 1999 des Bezirks Berlin-Sachsen-Brandenburg. 2002 wechselte er in die Zentrale in Frankfurt am Main. Weselsky ist CDU-Mitglied und sitzt im Aufsichtsrat der DB Regio.
Ihre Streikfähigkeit und Durchsetzungsmacht beim rollenden Personal steht außer Frage. Aber können die neuerdings von der GDL vertretenen Mitglieder in Bereichen wie Fahrdienstleitung, Werkstätten und Infrastruktur bereits einen nennenswerten Beitrag zu den Arbeitskämpfen leisten?
Eindeutig ja. Zu Beginn der Arbeitsniederlegung am Dienstag um zwei Uhr hatten wir Stillstand in sechs Stellwerksbezirken, und auch danach ist es immer wieder zu einzelnen Ausfällen gekommen. Die Gegenseite konnte das dann weitgehend puffern, etwa durch den Einsatz von verbeamteten Mitarbeitern. Natürlich sind die Lokführer das Rückgrat für unsere Tarifmacht. Aber die neuen Mitglieder aus diesen Berufsgruppen sind bereits jetzt eine willkommene Ergänzung.
Bahnstreiks sind naturgemäß bei den betroffenen Reisenden nicht sonderlich populär. Dennoch wird neben Frust und Schimpftiraden auch oftmals Verständnis geäußert. Welche Bedeutung hat die Akzeptanz in der Bevölkerung für Ihr weiteres Vorgehen und wie wollen Sie diese steigern?
Natürlich ist uns die Akzeptanz in der Öffentlichkeit wichtig. Und wir unterscheiden klar zwischen der »veröffentlichten Meinung« in den meisten Medien und der tatsächlichen öffentlichen Meinung. Das war schon bei den Streiks 2014/15 so, als der Tenor der Berichterstattung eine deutliche Ablehnung suggerierte, aber meine Kollegen und ich, die wir ja viel unterwegs waren in dieser Zeit, etwas ganz Anderes erlebt haben. Und auch heute verzeichnen wir viel Akzeptanz und auch viele Solidaritätsbekundungen anderer Gewerkschafter. Aktuell befremdet mich vor allem die zumeist sehr tendenziöse Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien, die uns immer wieder unterstellen, mit dem Streik keine gewerkschaftlichen, sondern politische Ziele zu verfolgen. Dagegen verwahre ich mich ganz entschieden.
Politische Streiks sind in Deutschland bekanntlich verboten. Man hat den Eindruck, dass die GDL penibel darauf achtet, dass sich der Streikaufruf und die anderen Verlautbarungen ausschließlich auf tarifierbare Forderungen zu Lohnerhöhungen, Corona-Prämie, Betriebsrente und Schichtregeln beziehen. Aber ist dieser Arbeitskampf letztendlich nicht doch hochpolitisch, weil die Drohung der Bahn und der konkurrierenden, zum DGB gehörenden Gewerkschaft EVG immer mitschwingt, Sie mittels Tarifeinheitsgesetz zu marginalisieren?
Unsere Forderungen sind »sauber« und entsprechen allen Prämissen des Arbeitskampfrechts. Wäre das nicht so, hätten wir schon längst eine einstweilige Verfügung am Hals. Natürlich spielt sich das alles in einer hochpolitischen Situation ab, und das Tarifeinheitsgesetz ist dabei nur ein Faktor. Es gibt auf allen Ebenen der Politik, bei Verbänden und auch bei unabhängigen Institutionen wie dem Bundesrechnungshof massive Kritik an der Geschäftspolitik der DB. Auch sagen meine Kollegen, dass sie seit Jahren in einem Unternehmen arbeiten, das sich permanent selbst in Grund und Boden wirtschaftet.
Und sie wissen, was die Ursachen sind: Missmanagement, weltweite Expansionsbestrebungen, mit denen noch immer unglaublich viel Geld verbrannt wird. Und die EVG und ihre Vorhänger haben diesen Kurs immer unterstützt. Das ist eine hochpolitische Gemengelage, weil ja auch der Bund als Eigentümer in der Pflicht wäre, einen Kurswechsel zu erzwingen. Das System Bahn braucht außerdem keine wahnwitzigen Großprojekte in Stuttgart oder Frankfurt am Main, sondern kleinteilige Projekte, wie etwa Y-Trassen, Überholgleise, mehr Weichen und vieles andere mehr.
Und ja, es gibt auch im Konzern eine politische Ebene. Wir waren überrascht, mit welcher Aggressivität das Management in der Schlichtung im Oktober 2020 von uns verlangt hat, alles zu schlucken, immer mit der Drohkulisse des Tarifeinheitsgesetzes. Diese Herausforderung haben wir angenommen und wir drehen den Spieß jetzt um. Wenn die Mitgliederentwicklung der letzten Monate so weitergeht – und das wird sie –, werden wir in absehbarer Zeit, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in den 71 relevanten Eisenbahnbetrieben des Konzerns die Mehrheit und somit die Tarifmacht haben. Schon jetzt sind es mehr als die Hälfte der Betriebe. Da können Bahn und EVG noch so lange behaupten, dass es nur 16 sind. Die Stunde der Wahrheit kommt dann bei der Überprüfung der Mitgliederzahlen durch Arbeitsgerichte.
Natürlich spielt das alles in die aktuelle Auseinandersetzung mit hinein. Aber unser aktueller Arbeitskampf bezieht sich ausschließlich auf tarifliche Ziele, das möchte ich hier nochmals ausdrücklich betonen.
Das Verhältnis zwischen der GDL und der EVG als zerrüttet zu bezeichnen, wäre wohl noch arg untertrieben. Mit der angestrebten Ausweitung Ihrer Tarifmacht auf weitere Berufsgruppen und Ihrer Ankündigung, die EVG aus dem Betrieb hinausdrängen zu wollen, haben Sie mächtig Öl ins Feuer gekippt. Wird dieser Bruch jemals wieder zu kitten sein?
Aus meiner Sicht ist das wohl nicht mehr zu kitten. Seit 2006 bin ich in der Führungsspitze der GDL, zunächst als Stellvertreter von Manfred Schell und seit 2008 als Vorsitzender. Es gab immer wieder Versuche, zu einem gemeinsamen Vorgehen zu kommen, etwa für einen gemeinsamen Branchentarifvertrag für die privaten Konkurrenten der Deutsche Bahn AG. Das ist immer wieder an unzumutbaren Prämissen der früheren Transnet und heutigen EVG gescheitert. Und immer wieder gab es gemeinsame Angriffe der DB-Spitze und der EVG auf unsere Existenz als tarifmächtige Gewerkschaft. Da kann man von mir nicht erwarten, dass ich mir Gedanken über so etwas wie eine friedliche Koexistenz mache.
Aber schwächt dieser erbitterte Streit zwischen Gewerkschaften nicht die Vertretung der Arbeitnehmer bei der DB?
Ich habe nicht den Eindruck, dass wir schwach unterwegs sind und die Interessenvertretung der Beschäftigten schwächen. Ganz im Gegenteil: Wir werden immer stärker, auch durch die Integration neuer Berufe in unsere altehrwürdige Lokführergewerkschaft. Uns blieb 2007 doch gar nichts anderes übrig, als uns aus der Tarifgemeinschaft zu lösen, in der wir nur als Anhängsel betrachtet wurden. Und zur Wahrheit gehört auch: Wir haben für die von uns vertretenen Kollegen stets bessere Ergebnisse als die andere Gewerkschaft erzielt. Und dem Konzern blieb nichts anderes übrig, als diese Ergebnisse dann auch auf deren Mitglieder zu übertragen.
Eine Schwächung der gewerkschaftlichen Vertretungsmacht kann ich darin nun wirklich nicht erkennen. Wir wollen jetzt Verantwortung für die konsequente Vertretung aller eisenbahnrelevanten Kollegen bei der DB übernehmen. Der Vorwurf, wir wollten Privilegien für die Lokführer, führt ins Leere. Wieso sollten wir in dieser Situation ein Zusammengehen mit einer offensichtlich arbeitgebernahen Gewerkschaft ins Auge fassen?
Sie haben die Latte für ein endgültiges Ende des Arbeitskampfes ziemlich hoch gelegt: keine Nullrunde für 2021, kürzere Laufzeit des Tarifvertrages, keine Betriebsrentenkürzung, keine weitere Flexibilisierung der Schichtplanung. Wecken Sie da bei den Kollegen nicht Erwartungen, die im Zuge eines irgendwann notwendigen Kompromisses mit der Bahn nicht erfüllbar sind?
Wir hatten ursprünglich deutlich höhere Forderungen. Die haben wir im Sinne einer Lösung nach unten korrigiert und am Abschluss des öffentlichen Dienstes orientiert. Dass man uns die Ablehnung einer Betriebsrentenkürzung als zusätzliche Forderung anrechnen will, ist schlicht eine Unverschämtheit. Jedenfalls sehe ich für uns keinen Tarifabschluss unterhalb des öffentlichen Dienstes. Denn dafür gibt es keinen vernünftigen Grund.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.