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  • Neue Serie "Paris Police 1900"

Babylon Paris

Die Serie »Paris Police 1900« zeichnet ein Sittengemälde der Zeit um die Jahrhundertwende – und das gelungener als das deutsche Äquivalent

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.

Historische Serienstoffe vor allem des 20. Jahrhunderts, in denen der Aufstieg der politischen Rechten thematisiert wird, haben derzeit eine gewisse Konjunktur. Egal, ob es in der Fantasy-Serie »Penny Dreadful – City of Angels« (2020) um die späten 1930er Jahre in den USA und die oft deutschstämmigen Nationalsozialisten Amerikas und ihre Versuche politischer Einflussnahme geht. Oder wie bei »The Plot Against America« (2020), wo Hauptdarstellerin Zoe Kazan über die von ihr gehassten antisemitischen »America-Firsters« herzieht, oder wie in der rassismuskritischen Fantasy-Serie »Carnival Row« (2019), wo eine Parlamentsdebatte in einem fiktiven London Züge der Brexit-Debatten im englischen Unterhaus trägt: anhand fiktionalisierter historischer Sujets lassen sich kulturindustriell Analogien zum Aufstieg der politischen Rechten herstellen. Überdies haben diese Serien nicht selten didaktischen Charakter, zeigen sie doch einem Massenpublikum, dass etwa der von Donald Trump benutzte Begriff »America First« ursprünglich in den späten 1930ern zum Vokabular der amerikanischen Nationalsozialisten und Antisemiten gehörte.

Ganz ähnlich passiert das auch in der jetzt auf Sky zu sehenden achtteiligen Serie »Paris Police 1900«, die vor dem Hintergrund der Dreyfus-Affäre und des gescheiterten Staatsstreichs der »Ligue des Patriotes« von 1899 angesiedelt ist.

Der damalige Versuch, mittels eines Schulterschlusses von konservativen und reaktionären über monarchistische bis zu antisemitischen Gruppierungen und Parteien die politische Macht in Frankreich zu übernehmen, wurde verhindert. 23 Tage lang verbarrikadierte sich der harte Kern der rechten Verschwörer um Jules Guerin, Gründer und Chef der »Antisemitischen Liga Frankreichs« in der Rue Chabrol, wo er bewaffnet mit einer Handvoll Gleichgesinnter ausharrte, bis er schließlich aufgab. Dieses historische Ereignis ist in der Serie in einen komplexen Krimiplot um einen erst eher unpolitisch wirkenden Mord verknüpft.

Der junge Detektiv Antoine Jouin (Jérémie Laheurte) ermittelt in dem Fall und bekommt bald Probleme mit seinem Kollegen Joseph Fiersy (Thibaut Evrard). Denn der als Schläger verschriene Kollege ist nicht nur für die Aufklärung des Mordes zuständig, sondern interveniert außerdem noch verdeckt im Auftrag seines Vorgesetzten, um eine politische Eskalation rund um den Dreyfus-Fall herbeizuführen. Dem jungen Detektiv steht mit Jeanne Chauvin (Eugénie Derouand) eine junge, mit den Pariser Anarchisten sympathisierende Anwältin zur Seite, die aber zu dieser Zeit trotz bestandenem Jurastudium den Anwaltsberuf als Frau nicht ausüben darf. Hat der im Zuge der Ermittlungen immer weitere Kreise ziehende Mordfall etwas damit zu tun, dass die Tote Polizeispitzel war? Und was hat die in rechten Kreisen so umtriebige Adelsfamilie Sabran mit der Sache zu tun, bei der die Ermordete ebenfalls einmal gearbeitet hatte?

»Paris Police 1900« ist eine aufwendig produzierte historische Serie, die auch viel über die sich zur Jahrhundertwende verändernde Arbeit der Pariser Polizei erzählt, die damals erstmals mit Telefonen arbeitete und als revolutionäre Neuerung eine Notrufnummer einrichtete. Ganze Trupps von Beamten werden in der Serie tagelang in Archive geschickt, um die Adresse einer möglichen Zeugin ausfindig zu machen, die heute jeder PC in einer Minute ausspuckt.

Wobei »Paris Police 1900« neben dieser Geschichte der Polizeiarbeit vor allem ein breites gesellschaftspolitisches Panorama der damaligen Zeit auffächert und mehr als zwei Dutzend Charaktere eine tragende Rolle spielen. Da gibt es die ehemalige Geliebte des französischen Präsidenten Meg Steinheil (Evelyne Brochu), deren Mann als Maler die politische Elite von Paris porträtiert und die als Spitzel geworben wird, um die »Antisemitische Liga« mit Informationen zu füttern und aufzustacheln. Denn im Polizeiapparat gibt es viele Sympathisanten der aufstrebenden Rechten, die ihren behördlichen Einfluss politisch nutzen. Das ist auch in den anderen eingangs erwähnten Serien wie »Penny Dreadful – City of Angels« nicht anders, wo Sicherheitsapparate und aufstrebende Rechte Hand in Hand gehen – eine Parallele zu heutigen Verhältnissen des braunen Sumpfs von Militär bis Polizei, die es nicht nur hierzulande gibt.

Es geht aber in der ziemlich spannend inszenierten Serie auch um die Kämpfe der Anarchisten, um die antisemitischen Pogrome im Pariser Viertel La Villette, um starke Frauen, um gewalttätige Ehemänner, um widerlichen Machismus und Sexismus im patriarchalen Alltag der Wende vom 19. zum 20 Jahrhundert, um Morphium als Modedroge der oberen Zehntausend, um politische Ränkespiele in Militär, Polizei, Geheimdienst und Parlament, um Polizeibrutalität und um die Bedeutung von Klassenunterschieden in der sozial radikal segregierten Gesellschaft der Jahrhundertwende. Im einen oder anderen Feuilleton wurde »Paris Police 1900« schon als französische Variante von »Babylon Berlin« bezeichnet. Wobei diese achtteilige Serie die politischen Konfliktlinien der damaligen Zeit weitaus kritischer und komplexer aufarbeitet als die deutsche Erfolgsserie. Wobei auch »Paris Police 1900« mit einer weiteren, zehn Jahre später angesiedelten Staffel aufwarten wird, wie der produzierende Sender Canal+ bereits angekündigt hat.

»Paris Police 1900« auf Sky

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