Zynismus nach Wiener Art

Österreichs Innenminister plädiert für Abschiebezentren der Europäischen Union rund um Afghanistan

  • Stefan Schocher, Wien
  • Lesedauer: 4 Min.

Eines kann man Karl Nehammer (ÖVP) gewiss nicht vorwerfen: Wankelmütigkeit. Während die Taliban in der Vorwoche in Afghanistan Stadt um Stadt, Provinz um Provinz überrannten, während von Flucht und Evakuierung die Rede war, wiederholte Österreichs Innenminister stoisch sein Mantra: Dass man an Abschiebungen nach Afghanistan festhalten werde.

Nun, nach dem Fall Kabuls und inmitten der internationalen Panik um die Rettung bedrohter Menschen und inmitten des Ringens um den künftigen Umgang mit dem Taliban-Regime, gibt es immerhin eine Nuancierung von Seiten Nehammers: »Abschiebezentren rund um Afghanistan« lautet die neue Formulierung im Repertoire des Ministers. Im Wortlaut klingt das dann folgendermaßen: »Wenn Abschiebungen aufgrund der Grenzen, die uns die Europäische Menschenrechtskonvention setzt, nicht mehr möglich sind, müssen Alternativen angedacht werden.« Und er betont: »Es gibt keinen Grund, warum ein Afghane jetzt nach Österreich kommen sollte.« Das sagte Nehammer zur »Welt«. Solche Abschiebezentren will er auch der EU schmackhaft machen.

Österreichs regierende ÖVP scheint wild entschlossen, die harte Linie in der Sache auf Gedeih und Verderb durchzuziehen, aller internationalen Kritik zum Trotz. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), ein alter Fuchs im Diplomatie-Dschungel, aber zugleich dann eben doch vor allem Beamter und Parteisoldat, betont: »Faktum ist, dass wir weiterhin Staatsbürger aus Afghanistan abschieben.« Man müsse in dieser Debatte »differenzieren«, sagt Schallenberg. Denn viele der afghanischen Flüchtlinge in Österreich seien von Pakistan oder anderen Staaten aus nach Österreich gekommen, hätten schließlich Jahre in anderen Staaten verbracht. »Man möge bitte verstehen«, so der Außenminister, der sich derzeit auch um die Evakuierung von 25 Österreichern aus Kabul zu kümmern hat, »dass wir nicht ganz grundsätzlich in Erwägung ziehen, für alle Fälle Abschiebungen auszuschließen«.

Solchen diplomatischen Umschreibungen gingen allerdings weit weniger diplomatische Taten voraus: Als die afghanische Botschafterin in Wien, Manizha Bakhtari – eine hoch gebildete Frau mit strahlendem Ego – es Anfang August gewagt hatte, gegenüber Medien für eine Aussetzung von Abschiebungen nach Afghanistan einzutreten, machte Wien daraus einen diplomatischen Affront. Die Diplomatin wurde ins Außenministerium zitiert. Man sei »überrascht« über die Aussagen Bakhtaris, hieß es zur Begründung. Zuvor habe es »anderslautende Signale gegeben«.

All das aber ist nicht Theater für die Weltbühne, sondern viel eher Sommeroperette für das heimische Publikum. Angesichts anhaltender Kritik an der fragwürdigen Haltung von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zu rechtsstaatlichen Institutionen, einer drohenden Anklage wegen Falschaussage vor dem Parlament, ausufernden Korruptionsskandalen um seine Volkspartei und nicht zuletzt auch wachsender parteiinterner Kritik puscht Kurz seit einiger Zeit das Migrationsthema. Der Mord an einem 13-jährigen Mädchen in Wien Ende Juni, für den vier afghanische Staatsbürger beschuldigt werden, machte dann das Thema Afghanistan zur Vorlage. Da hatte Kurz dann in Folge die Linie festgelegt, der seine Minister bis zuletzt folgen sollen: »Einen Abschiebestopp nach Afghanistan wird es mit mir nicht geben.«

In Berlin wird gestritten, wer die Schuld am Desaster in Afghanistan trägt. Dabei sind andere Fragen wichtiger

All das färbt ab auf die Koalition mit den Grünen. Wirkliche Folgen hatte die Migrations- und Asylpolitik, bei der die ÖVP klar den Ton angibt, für die Koalition bisher aber in keiner Weise. Dafür verantwortlich zeichnet vor allem die grüne Fraktionsvorsitzende Sigrid Maurer. Maurer sah noch vor wenigen Tagen im Thema Abschiebungen nach Afghanistan »keine Frage, die politisch ausgedealt wird«. Das Schweigen der Grünen in der Angelegenheit hat vor allem einen Grund: Mit dem Thema lassen sich in Österreich keine Punkte sammeln. Mitte Juli sprachen sich immerhin 79 Prozent der Österreicher für Abschiebungen nach Afghanistan aus.

Jetzt aber ist die Faktenlage selbst für die Aussitzer erdrückend: Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) sagte, dass angesichts der Situation in Afghanistan »faktisch und aus rechtlichen Gründen« keine Abschiebungen mehr stattfinden könnten. Das wisse die ganze Bundesregierung. Für den omnipräsenten Gesundheits- und Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) hat sich das Thema Abschiebungen erledigt. Und der landesweit prominente grüne Bürgermeister von Innsbruck, Georg Willi, machte in einem offenen Brief an Nehammer und Schallenberg das Angebot, Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen. Zugleich plädierte er für die Einrichtung eines Schutzkorridors für Flüchtlinge nach Europa.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!