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Hingucker im Industriegebiet
Neue Bebauungspläne sollen Kulturstandort Herzbergstraße sichern
»Ich denke schon, dass das was ändern wird«, sagt Jürgen Rädisch vorsichtig. Gemeint ist der Aufstellungsbeschluss, den das Bezirksamt Lichtenberg für mehrere Bebauungspläne für das Industriegebiet Herzbergstraße dieser Tage gefasst hat. Rädisch ist so etwas wie die gute Seele des Areals »HB55 - Räume für Kunst« an der Herzbergstraße 55. Auf 7000 Quadratmetern Geschossfläche sind in dem 1904 als Margarinefabrik erbauten Ensemble »250 Künstler und ein paar Gewerbetreibende an Bord«, berichtet Rädisch. Außer Musikern sei eigentlich fast alles dabei, darunter auch eine Autowerkstatt und eine Druckerei. »Es ist mittlerweile eines der größten Atelierhäuser Berlins«, berichtet er. Vermietet würden die Räume für sechs Euro pro Quadratmeter, wenn sie saniert sind für 7,50 Euro.
Was Rädisch bisher offiziell nicht machen durfte, sind öffentliche Ausstellungen und Veranstaltungen. Doch die seien wichtig für eine gewisse Kompensation der günstigen Gewerbemieten. Das sollen nun die Bebauungspläne ändern. Ein Streifen beiderseits der Herzbergstraße soll für »höherwertige Nutzungen« zugelassen werden, heißt es im Aufstellungsbeschluss, der diesen Donnerstag der Bezirksverordnetenversammlung zur Kenntnis gegeben werden soll.
Seit Jahren wird um die Entwicklung des Gebiets im Bezirk gestritten. »Dieses Gewerbegebiet hat hohen Verdrängungsdruck, und nicht alle Entwicklungen in diesem Gebiet entsprechen der gewerblichen Nutzung, die vor Ort zulässig ist«, erklärt Stadtentwicklungsstadtrat Kevin Hönicke (SPD). Wichtig sei »vor allem, dass nach vielen Jahren der ungewissen Zustände, gewisser Duldungen oder des Ignorierens nun ein rechtlicher Rahmen besteht«, so Hönicke weiter. Das werde die Zukunft sicherer gestalten.
Seine Amtsvorgängerin und Parteifreundin Birgit Monteiro hatte sich unter anderem in einen erbitterten Kleinkrieg mit der »Fahrbereitschaft« von Kunstsammler Axel Haubrok gestürzt und Zwangsgelder von bis zu einer halben Million Euro angedroht, sollte es dort weiterhin Ausstellungen geben. Im September 2020 unterzeichneten Bezirk und Sammler eine Absichtserklärung, die Ausstellungen wieder möglich machten (»nd« berichtete). Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke), der auch für Kultur zuständig ist, hatte sich sehr stark dafür eingesetzt.
Die neuesten Entwicklungen seien für ihn auch ein Grund, warum er in die Räumlichkeiten des HB55 eingeladen habe, erklärt Grunst am Mittwoch bei einem Pressefrühstück. Dort wird am 3. September auch die Eröffnungsveranstaltung der 14. Langen Nacht der Bilder unter der Schirmherrschaft von Kultursenator Klaus Lederer (Linke) stattfinden. Rund 40 Kunstorte öffnen ihre Türen von 18 bis 24 Uhr. »Das HB55 ist neben der ›Fahrbereitschaft‹ und dem Dong Xuan Center ein Pfeiler der Kulturlandschaft«, sagt Grunst. Die Anmeldung für geführte Kieztouren zu den einzelnen Ausstellungsorten und auch Kunst im öffentlichen Raum zu Fuß und mit dem Fahrrad ist bereits möglich.
»An die 10 000 Besucherinnen und Besucher waren selbst im ersten Coronajahr 2020 dabei«, berichtet Catrin Goksch, Leiterin des Fachbereichs Kunst und Kultur im Bezirk. Neu dabei sind in dieser Ausgabe auch zwei Gastorte aus Marzahn-Hellersdorf, außerdem werden auch zwei digitale Touren angeboten. Lichtenberg eröffne damit den Berliner Kunstherbst, sagt Grunst. »Es ist auch ein Anspruch kommunaler Kulturarbeit, dass wir so etwas eintrittsfrei zur Verfügung stellen«, unterstreicht er den vermittelnden Anspruch der Veranstaltung.
Auf der Fläche des ehemaligen Kulturhauses des VEB Elektrokohle soll im Herbst auch das Kulturzentrum des Dong-Xuan-Centers eröffnen. Was vor vielen Jahren als Großmarkt für die vietnamesischen Händler begann, hat sich längst zum Kristallisationspunkt der ganzen Community in der Stadt entwickelt. Längst hat die tatsächliche Nutzung den engen juristischen Rahmen gesprengt, den der Flächennutzungsplan vorgibt.
»Politisches Ziel muss die Legalisierung der aktuellen Nutzung sein«, sagte Bezirksbürgermeister Grunst im vergangenen Jahr über diese »größte zusammenhängende migrantische Arbeitsstelle in Deutschland«. Davon ist er nicht abgerückt. Die Abschlusserklärung des vor wenigen Tagen zu Ende gegangenen Runden Tisches zu dem Zentrum macht Hoffnung, dass dieses Ziel erreicht werden kann. »Das Bezirksamt Lichtenberg sieht hier die Möglichkeit der Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans der Dong Xuan GmbH«, heißt es in dem Papier. Zweimal jährlich soll sich künftig eine Arbeitsgruppe treffen, der nicht nur diverse Vertreter von Bezirk und Betreiber angehören, sondern auch die Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und Wirtschaft.
Bauplanungsrechtlich heikel sind auch zwei weitere Relikte des einstigen Volkseigenen Betriebs Elektrokohle auf dem Areal. Es sind zwei ehemalige Silotürme aus Beton, die der bekannte Architekt Arno Brandlhuber vor vielen Jahren gemeinsam mit Freunden erworben hatte. »San Gimignano« benannte er das skurrile Ensemble in Anlehnung an die Stadt in der Toskana, wo reiche Familien sich im Mittelalter einen Turmbauwettstreit lieferten. Bei der in der vergangenen Woche vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) veranstalteten Metropolenkonferenz waren sie einer der aufsehenerregenden Veranstaltungsorte, die für die Zukunftsorientierung Berlins stehen sollten.
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