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Widerstand im Tal der Unbeugsamen
Im nordostafghanischen Pandschir-Tal formiert sich eine Allianz gegen die Taliban
Rund 120 Kilometer lang, von schroffen, bis zu 6000 Meter hohen Berggipfeln umgeben und mit einer Fläche von 3500 Quadratkilometern etwa so groß wie die Mittelmeerinsel Mallorca: Das Pandschir-Tal (Das Tal der fünf Löwen) gilt seit Jahrzehnten als das unbezähmbare Kernland des afghanischen Guerillakrieges. An der nur schwer zugänglichen und vom Rest des Landes abgeschlossenen Gebirgsregion, rund 150 Kilometer nordöstlich der afghanischen Hauptstadt Kabul gelegen, bissen sich erst die Sowjets und später die Taliban die Zähne aus. Beiden gelang es in den vergangenen 40 Jahren nie, das mit einer einzigen Zufahrtstraße gut zu verteidigende Tal vollständig zu unterwerfen. Daran hat sich bis heute nichts geändert: Nach der kampflosen Machtübernahme der Taliban in Afghanistan bleibt die von rund 150 000 Menschen - überwiegend Tadschiken - bewohnte Region, die letzte Provinz, die nicht unter Kontrolle der Islamisten steht.
Und wie schon vor Jahrzehnten regt sich auch diesmal der Widerstand im Pandschir-Tal. Noch am Sonntagabend - unmittelbar nachdem Präsident Aschraf Ghani das Land Hals über Kopf verlassen hatte - kamen Milizenführer und Kämpfer zu einem Treffen zusammen, um eine Koalition gegen die neuen Machthaber zu gründen. Angeführt wird die Allianz vom bisherigen Vizepräsidenten Amrullah Saleh und Milizenführer Ahmad Massud. Der aus Kabul geflüchtete Saleh erklärte am Dienstag via Twitter, dass er sich nach Präsident Ghanis Flucht als legitimer Führer des Landes betrachte, und rief dazu auf, sich dem Widerstand anzuschließen. »Ich werde mich niemals und unter keinen Umständen den Taliban-Terroristen beugen«, hatte er schon am Wochenende über den Kurznachrichtendienst verbreitet. Der 32-jährige Ahmad Massoud ist der Sohn des legendären afghanischen Widerstandskämpfers Ahmad Schah Massud. Der charismatische Mudschahedin tadschikischer Abstammung organisierte in den 1980er Jahren vom Pandschir-Tal ausgehend den Widerstand gegen die sowjetische Invasion Afghanistans und gilt als Nationalheld.
Im folgenden Jahrzehnt kämpfte der auch als »Löwe von Pandschir« bekannte Feldkommandeur - mit Unterstützung aus Tadschikistan - als einer der Führer der Nordallianz gegen die Taliban, Tausende flüchteten damals ins Pandschir-Tal. Im September 2001 - nur zwei Tage vor den Terroranschlägen vom 11. September - wurde Massud während eines Interviews von zwei Al-Qaida-Attentätern ermordet, die sich ihm gegenüber als Journalisten ausgegeben hatten und einen in einer Kamera verstreckten Sprengsatz explodieren ließen. »Ich und meine Kameraden sind bereit, unser Blut zu vergießen«, schrieb sein Sohn nun am Montag in der französischen Zeitschrift »La Règle du Jeu«. »Wir rufen alle freien Afghanen, alle, die die Sklaverei ablehnen, auf, sich unserer Bastion Pandschir anzuschließen«, so Ahmad Massud, der nach dem Tod seines Vaters in London studierte, dann nach Afghanistan zurückkehrte und die Geschäftsführung der auf Bildungsprojekte spezialisierten Massud-Stiftung übernahm.
Unterstützt wird die Anti-Taliban-Bewegung von einem weiteren einflussreichen Feldkommandeur der Widerstandsbewegung gegen die Taliban: Der usbekische General Abdul Raschid Dostum, zwischenzeitlich einer der Gegenspieler Ahmad Schah Massuds in der Nordallianz und afghanischer Ex-Vizepräsident, soll 10 000 Kämpfer entsandt haben. Nach einem Bericht der »New York Post« hält sich Dostum nach seiner Flucht vor den Taliban in Usbekistan auf, andere Quellen nennen die Türkei als Zufluchtsort. Darüber hinaus haben sich tadschikische Soldaten der afghanischen Armee der Bewegung angeschlossen, auch der ehemalige Verteidigungsminister Bismillah Mohammadi hält sich im Tal auf. Mitte der Woche baten die Kämpfer westliche Staaten um Waffenlieferungen, meldete die »Washington Post«.
Doch die Erfolgsaussichten für den Widerstand bewerten Experten als gering. Berichte, wonach die Anti-Taliban-Kämpfer den Bezirk Tscharikar in der Provinz Parwan erobern konnten, bestätigten sich nicht; durch Tscharikar verläuft die strategisch wichtige Verbindungsstraße zwischen Masar-e Scharif und Kabul. Zudem fehle Unterstützung aus dem Ausland, analysiert der russische Asienexperte Alexej Malaschenko. »Ich für meinen Teil bin mir mehr als sicher, dass Russland dies nicht unterstützen wird, ebenso wenig wie die Chinesen. Wer also dann?« Der Widerstand werde auf das Tal beschränkt bleiben, ist er sich mit anderen Spezialisten einig. Dafür spricht auch, dass die Widerständler im Gegensatz zur Situation von vor 20 Jahren nicht das Gebiet kontrollieren, das sie benötigen würden, um eine Nachschublinie über die Nordgrenzen Afghanistans zu eröffnen.
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