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Ab Montag: Streik
Viele Beschäftigte haben den Personalmangel in den Berliner Krankenhäusern satt und sind in den vergangenen Monaten Gewerkschaftsmitglieder geworden. Ein gelungenes Beispiel von Organizing
Vom Krankenhaus kennt man eigentlich nur den großen Neubau. Geht man aber ein paar Schritte, findet man die alten Gebäude. Auch dort sind teils noch Stationen untergebracht. Auf einer Wiese sonnen sich zwei Menschen, sonst ist kaum jemand zu sehen oder zu hören. Monika Sredzki sitzt auf einer Bank. Sie ist klein, trägt ihre langen Haare im Zopf, bequeme Kleidung und flache Stoffschuhe.
»Ich möchte wieder pflegen können«, sagt Sredzki. Und das sagt eigentlich alles aus: was das Problem der öffentlichen Krankenhäuser ist, warum die Pflegekräfte der landeseigenen Unternehmen Vivantes und Charité Streiks angekündigt haben. Und warum Sredzki sich in der Krankenhausbewegung engagiert. Sie heißt eigentlich anders, möchte aber ihren Namen nicht in der Zeitung lesen und auch nicht, in welchem Krankenhaus, auf welcher Station sie arbeitet.
Es ist einige Monate her, da kam ein Gewerkschafter auf ihre Station. Er sprach mit der Stationsleiterin und fragte, ob sich die Beschäftigten nicht für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen wollen. Damals wurden Unterschriften gesammelt für eine Petition, um mit den Leitungen von Charité und Vivantes in Tarifverhandlungen zu treten. Neben einem »TVöD für alle« - also einer Angleichung der Löhne auch für die Beschäftigten der Tochterfirmen der landeseigenen Unternehmen - sollte ein Tarifvertrag Entlastung eingeführt werden. Der fordert vor allem: mehr Personal. 8397 Unterschriften kamen schließlich zusammen, die am 12. Mai an den Senat übergeben wurden. Die Unterschrift der Stationsleiterin war nicht dabei. Aber die von Sredzki.
Der Gewerkschafter kam mitten im Schichtwechsel, erzählt die Pflegerin. Sie hatten wenig Zeit, die Stationsleiterin wollte ihn schnell wieder loswerden. Doch Sredzki hörte zu. »Ich möchte das«, sagte sie zu ihm - und ließ sich informieren. »Ich weiß nicht, warum ich nicht schon früher in die Gewerkschaft eingetreten bin«, erzählt sie heute. Sie habe sich immer gesagt: »Das wird schon.« Aber als Corona kam, »ist das Fass übergelaufen«. Der Berliner Senat plante ein Corona-Krankenhaus auf dem Berliner Messegelände und Vivantes, so erzählt Sredzki, habe sofort zugesagt, Ärzte und Pflegekräfte zur Verfügung zu stellen. »Aber woher sollten die kommen? Sollten die auch noch von unseren Stationen abgezogen werden?« Genutzt wurde das Corona-Krankenhaus letztlich nicht.
Laut Vivantes hat sich zwar die Zahl der Patient*innen erhöht, aber auch die der Pflegekräfte. 2013 beschäftigte das kommunale Klinikunternehmen demnach knapp 15 000 Mitarbeitende, 2017 waren es mehr als 16 000 und 2020 bereits knapp 18 000. Auch die Zahl der Patient*innen, die eine Pflegekraft betreuen muss, habe sich verringert. 2011 sei eine Vollkraft im Pflegedienst im Schnitt für 6,6 Patient*innen zuständig gewesen, 2019 noch für 5,4.
Der Personalschlüssel unterscheidet sich nach den Stationen. Auf der Intensivstation beispielsweise werden besonders viele Pflegekräfte gebraucht. Die Darstellung von Vivantes kann Sredzkis aus ihrer eigenen Erfahrung nicht bestätigen. Auf der Intensivstation soll der Schlüssel ihrzufolge bei 1:2 oder 3 liegen, liege aber meistens bei 1:5. »Da können Menschen sterben.« Auf anderen Stationen seien Pfleger*innen für bis zu zwölf Patient*innen zuständig. Und auf ihrer Station? »Am Anfang hatten wir sieben bis neun Schwestern, jetzt sind es im Frühdienst nur drei.« Sredzki arbeitet seit über 30 Jahren im gleichen Krankenhaus. Sie liebt ihre Arbeit und würde auch rückblickend die Ausbildung noch einmal machen. Aber die Bedingungen, die müssten sich verbessern.
»Ich will nicht immer nur hetzen«
»Ich will nicht immer überlegen: Wo mache ich Abstriche. Ich will auch mal wieder die Haare von Patienten richtig waschen. Mich zu ihnen ans Bett setzen können. Ihnen Mut zusprechen. Nicht immer nur hetzen und sagen ›Ich muss weiter.‹ Dafür braucht es einfach mehr Personal. Ich will das so nicht mehr.«
Als der Gewerkschafter auf ihre Station kam, trat sie von einem auf den anderen Tag bei Verdi ein. Und beteiligt sich seitdem aktiv an der Krankenhausbewegung. Sie geht zu Treffen mit anderen Pflegekräften, auch aus anderen Krankenhäusern. »Das stärkt, zu hören, dass es überall so schlimm ist.« Die Geschäftsführer sagen, mit einem Streik würden die Pflegekräfte die Patient*innen in Gefahr bringen. »Nein«, sagt Sredzki entschieden, »sie sind es, die die Menschen jetzt in Gefahr bringen.« Außerdem: »Warum soll es eine Gefahr für Leib und Leben bedeuten, wenn wir streiken - aber wenn jemand krank ist oder schwanger wird und wir keinen Ersatz bekommen: Das gilt dann nicht als Gefahr für Leib und Leben der Patienten?«
Mehr Personal statt mehr Geld
Den Beschäftigten geht es nicht um mehr Geld. Mit dem Tarifvertrag Entlastung, der ähnlich bereits in Jena umgesetzt wurde, sollen Mindestpersonalausstattungen für alle Stationen und Bereiche festgelegt werden. Die sollen auch berlinweit vergleichbar sein, also beispielsweise soll auf der Onkologie der Charité der gleiche Personalschlüssel gelten wie auf der Onkologie im Vivantes-Klinikum Friedrichshain.
»Wir wollen einfach nur bessere Arbeitsbedingungen«, sagt Sredzki. »Und wenn ihnen die Menschen am Herzen liegen - die Patient*innen genauso wie die Pflegekräfte -, dann müssen Politik und Klinikleitungen jetzt handeln.«
Die Berliner Krankenhausbewegung ist ein Musterbeispiel für gelungenes Organizing - dem offensiven Organisieren der Beschäftigten in den Betrieben. Auf einigen Stationen wuchs der Organisierungsgrad von zehn auf 70 Prozent an, wie Beteiligte berichten. Gemeint ist damit der Anteil der Beschäftigten, die Gewerkschaftsmitglieder sind.
Als Sredzki bei Verdi eintrat, hatte das Organizing gerade erst begonnen. Als erstes half sie, Unterschriften für die Petition zu sammeln. Immer nur in der Mittagspause, vor oder nach der Arbeit. Denn während der Arbeitszeit ist das verboten. Als erstes sprach sie die Kolleg*innen an, von denen sie dachte, »die sind auch abgegessen«. Sie habe erklärt, worum es ging, versucht, sie davon zu überzeugen, Mitglied in der Gewerkschaft zu werden. »Ich habe mir den Mund fusselig geredet.« Manche traten sofort ein. Andere brauchten mehr Überzeugungsarbeit. Die dritte Gruppe winkte resigniert ab.
Als es um die Wahl der Teamdelegierten ging, rannte Sredzki wieder den Kolleg*innen hinterher. Und in den vergangenen zwei Wochen ging es um die Streikabfrage: Die Kolleg*innen sollten verbindlich sagen, ob sie sich am Streik beteiligen. Um dann auch mit Sicherheit zu wissen, ob ausreichend Beschäftigte mitmachen. »Ich habe eine Kollegin, die sagt, das mache doch alles keinen Sinn. Die fragt, wie das finanziert werden soll. Wenn wir streiken, wird sie weiterarbeiten - auch wenn sie eigentlich frei hat. Sie sagt, es muss ja jemand für die Patienten da sein. Da ist das Helfersyndrom besonders stark ausgeprägt.« Auch Sredzki will die Patient*innen nicht im Stich lassen. Aber der Streik ist seit Mai angekündigt. Verschiebbare Operationen können ein anderes Mal stattfinden. Und es soll eine Notfallvereinbarung geben, die Stationen also mit Minimalbesetzung versehen sein.
Organizing-Vordenkerin Jane McAlevey über den politischen Druck auf Gewerkschaften und die Überwindung der Spaltung der Arbeiter*innen
Eigentlich, sagt Sredzki, wolle sie gar nicht streiken. »Wir wollen verhandeln.« Doch die 100 Tage sind verstrichen, ohne dass sich die Arbeitgeberseite bereit gezeigt habe, »sich ernsthaft mit den Forderungen der Beschäftigten auseinanderzusetzen«, sagt Meike Jäger, Landesfachbereichsleiterin bei Verdi Berlin-Brandenburg und Verhandlungsführerin. Mehrere Verhandlungsrunden für die Vivantes-Tochterunternehmen seien ohne Ergebnis verlaufen, ebenso die zwei Termine für den Tarifvertrag Entlastung. Bei einem Gesprächstermin mit dem Charité-Vorstand habe dieser keine Vorschläge gemacht. Er sprach lediglich von einer effektiveren Personalsteuerung und damit noch mehr Flexibilisierung der Beschäftigten, so Jäger. »Das ist nicht das, was wir uns unter Entlastung vorstellen.«
Am Dienstag dieser Woche verkündete die Krankenhausbewegung, ab dem kommenden Montag bis Mittwoch zu streiken. Teils sollen komplette Stationen geschlossen werden. Wie viele Mitarbeiter*innen sich an dem Arbeitskampf beteiligen wollen, war laut Verdi noch unklar. Die Gewerkschaft ging am Dienstag von mehreren hundert Beschäftigten aus.
Unterstützung auch von Patient*innen
Das Berliner Bündnis Gesundheit statt Profite unterstützt den Streik noch in dieser Woche mit einem Solidaritätscamp von Freitag bis Sonntag. Daran beteiligen sich auch Patient*innen, die, so das Bündnis, von den schlechten Arbeitsbedingungen genauso betroffen sind wie die Beschäftigten. Thomas Schmidt, Patient in einer Berliner Klinik, sagt: »Als Patient*innen können wir schlecht streiken, aber wir wollen die Beschäftigten ermutigen dies zu tun. Für sich selbst, aber auch für uns. Denn es ist der Normalbetrieb und nicht der Streik, der unser aller Gesundheit gefährdet.«
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