Wessen Geschichte?

Das Kunstduo Various & Gould holt Bismarck in Berlin symbolisch vom Sockel

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 2 Min.
Mit buntem Papier ummantelt, wirkt der riesige Bismarck weniger ehrwürdig.
Mit buntem Papier ummantelt, wirkt der riesige Bismarck weniger ehrwürdig.

Bismarck steht im Regen, seine bunte Papierhaut ist schon ein wenig aufgeweicht, durch große Schnitte lugt die alte, gusseiserne Statue hervor. Am heutigen Samstag wird das Denkmal gehäutet und der Papp-Bismarck symbolisch gestürzt. »Der kommt in Scherben runter, wie eine zerbrochene Vase«, erklärt das Kunstduo Various & Gould.

Zusammen mit Menschen vom Kunstraum Savvy Contemporary haben sie im Rahmen des Projekts »Monumental Shadows« (Monumentale Schatten) seit Anfang August die Bismarck-Statue im Berliner Tiergarten mit zahlreichen Schichten aus Papier und Kleister eingewickelt. Vom Gerüst aus ist der sechs Meter hohe Reichskanzler nur mehr etappenweise zu betrachten. Nach dem Sturz des papiernen Denkmals soll sich das umkehren: Auf und unter der Augenhöhe der Betrachter*innen, soll Bismarck von seinem ehrwürdigen Sockel geholt, angefasst und verformt werden können.

Nicht alle finden das eine gute Idee. »Ich bin empört. Das ist meine Geschichte«, hätte einmal eine Passantin nach oben gerufen. Eine Person of Color, die gerade am Denkmal werkelte, habe zurückgerufen: »Das ist auch unsere Geschichte«, erzählt das Duo. Indem Bismarck die deutschen Kolonien politisch absicherte und seinen Schnaps dorthin exportierte, hat er sich selbst – gewaltvoll – in die Geschichte afrikanischer und afrikanischstämmiger Menschen geschrieben. In Deutschland wird Bismarck vielfach eher noch positiv erinnert, für seine Sozialgesetze und seine Bündnispolitik und weniger für seine Rolle in der europäischen Kolonialpolitik und als Vorsitzender der Berliner »Kongokonferenz« von 1884/85.

Die Symbolkraft von Denkmälern - und ihres Falls. Im Zuge der weltweiten Proteste gegen Polizeigewalt wurden auch glorifizierende Monumente der rassistischen Geschichte gestürzt

Die temporäre Aktion »Monumental Shadows« soll hier die Perspektive verändern und den Blick auch auf die Schattenseiten des Reichskanzlers werfen. Für die Zukunft haben Various & Gould bereits weitere Projekte mit Denkmälern, die im Zusammenhang mit der »Kongokonferenz« stehen, geplant, angefangen mit Leopold II. in Brüssel. Dabei wollen sie immer mit Initiativen vor Ort kooperieren und Menschen zusammenarbeiten, die negativ von Rassismus betroffen sind. Für das Berliner Bismarck-Denkmal wünschen sie sich eine langfristige Kommentierung – mindestens.

Bismarck kommt vom Sockel: 21.08., 10–16 Uhr, Bismarck-Statue im Berliner Tiergarten; Performance mit der Papierabformung: 11.09., 16–19 Uhr, Nettelbeckplatz in Berlin.

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