- Berlin
- Krankenhausstreik
Streiken, bis es wehtut
Trotz Versuchen, Arbeitsniederlegungen zu verbieten, sind die Klinikbeschäftigten der Hauptstadt im Ausstand
»Wir werden bleiben, bis die einstweilige Verfügung zurückgenommen wurde«, ruft die Klinikbeschäftigte aus der Sitzblockade vor der Vivantes-Geschäftstelle an der Aroser Allee heraus am Montagmittag. »Ich bin sehr aufgebracht, dass man mit so unlauteren Mitteln unser Streikrecht beschneidet«, erklärt Silvia Habekost, Anästhesie-Pflegekraft am Vivantes Klinikum Friedrichshain, dem »nd«.
Gerade hat das Berliner Arbeitsgericht den am Montagmorgen begonnenen Streik von Vivantes-Mitarbeiter*innen vorläufig untersagt. Die Entscheidung gelte zunächst bis zur mündlichen Verhandlung Dienstagmittag, hieß es. Ein Streik könne nur durchgeführt werden, wenn es Notdienstvereinbarungen über die medizinische Versorgung der Patient*innen gebe, lautet die Begründung des Gerichts. Es folgt damit seiner Entscheidung vom Freitag, gegen die die Gewerkschaft Verdi direkt geklagt hatte.
Etwa 800 bis 1000 Krankenhausbeschäftigte hatten sich vor der Vivantes-Zentrale in Berlin-Reinickendorf zusammengefunden, mehrere Hundert nehmen spontan an der Sitzblockade teil. Aufgrund der aufgeladenen Situation sind auch die drei Spitzenkandidaten der rot-rot-grünen Senatsregierung, Franziska Giffey (SPD), Klaus Lederer (Linke) und Bettina Jarasch (Grüne) vor Ort. Sie wollen sich für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch einsetzen. Bisher unterstützt nur die Die Linke eindeutig die Forderungen der Krankenhausbeschäftigten.
Bereits am frühen Morgen hatten sich an allen Standorten der landeseigenen Kliniken von Vivantes und Charité zahlreiche Beschäftigte an vor Ort eingerichteten Streikposten eingefunden. Vor dem Urban-Klinikum in Kreuzberg stehen um 8.30 Uhr etwa 60 Klinikbeschäftigte, um gegen die in ihren Augen seit Jahren unhaltbaren Arbeitsbedingungen zu protestieren. »Ich habe noch nie so chaotische Zustände gesehen«, erklärt dort die Krankenpflegerin Moni kopfschüttelnd dem »nd«. Ihren ganzen Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen. Sie steht im herbstlich regnerischen Wind inmitten der Streikversammlung am Urbanhafen und trägt eine Fahne der Verdi-Gewerkschaft. Auf ihre Warnweste hat sie geschrieben: »Auch du könntest Opfer des Pflegenotstands werden! Für einen Tarifvertrag Entlastung«.
Seit 40 Jahren arbeite sie als Krankenschwester und seit vier Jahren am Urban-Krankenhaus in der Unfallchirurgie, erzählt die Pflegerin – »dauerunterbesetzt«, fügt sie hinzu. »Wir gehen erschöpft und frustriert nach Hause, weil wir unseren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden und auf die Patienten nicht eingehen können«, berichtet die erfahrene Pflegekraft. »Wir heulen vor Überlastung, und weil wir hier lebensbedrohliche Situationen für unsere Patienten erfahren müssen.«
Sie sei wütend auf ihre Arbeitgeber, die so gar nicht auf die Klagen der Beschäftigten reagieren, auch wenn diese schon lange auf die Situation hinweisen würden. Stattdessen hatte das Arbeitsgericht Berlin auf Betreiben der Vivantes GmbH am Freitag verfügt, dass die angekündigten Arbeitsniederlegungen in Teilbereichen der Kliniken untersagt seien, weil es keine Notdienstvereinbarungen gebe. Gegen das Urteil hatte die Gewerkschaft Verdi geklagt. Sie hatte Vereinbarungen angestrengt, um einen Streik gewährleisten zu können, die Vivantes Geschäftsführung hingegen den üblichen Betriebsablauf festlegen wollen, erklärte der zuständige Gewerkschafter Tim Graumann.
Die Forderungen von Tausenden Pflegekräften und anderen Klinikmitarbeiter*innen bleiben trotz der Verbotsversuche an diesem Montag eindeutig: Es braucht für die ausgebrannten Krankenhausbeschäftigten einen Tarifvertrag Entlastung und für die Beschäftigten in den vor Jahren ausgegliederten Tochterunternehmen der landeseigenen Kliniken eine Bezahlung nach Tarif des Öffentliches Dienstes (TVÖD). Um den Druck auf die Führungen der landeseigenen Kliniken zu erhöhen, darüber in Verhandlungen zu gehen, hatte die Berliner Krankenhausbewegung diesen im Mai ein 100-Tage-Ultimatum gestellt. Dieses war am vergangenen Freitag abgelaufen. Bereits Mitte vergangener Woche hatten die Beschäftigten und Verhandlungsführer*innen erklärt, dass es an allen Klinikstandorten Arbeitsniederlegungen und geschlossene Stationen geben würde.
Sie fühle sich degradiert, sagt Moni, wenn sie mit Überlastungsanzeigen bei ihrem Arbeitgeber nichts erreiche. »Jeden Tag nehmen wir den Frust mit nach Hause, jeden Tag stirbt ein Stück vom Engagement«, meint sie. Verständnis für die Klinikleitungen habe sie keines mehr. »Wir müssen streiken, weil nur das wirklich wehtut«, sagt die Pflegerin.
Neben ihr steht ihr noch junger Kollege Leander, der als Medizinstudent im Urban-Krankenhaus Dienste absolviert. »Als ich hier meinen ersten Spätdienst gemacht habe, hatte ich nur zwei Leasingkräfte an meiner Seite, die beide nicht eingearbeitet waren«, erzählt der junge Mann. Er selbst sei nicht ausreichend ausgebildet, sagt er: »Niemand hat Zeit für eine ausreichende Praxisanleitung, man lernt nur Medikamente geben und Infusionen legen.« Er wolle aber Menschen so versorgen, wie er selbst gepflegt werden möchte, sagt der junge Mann.
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