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Deutscher Stahl soll konkurrenzfähig bleiben und umweltfreundlicher werden - mit staatlicher Förderung

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 6 Min.

In Brandenburg an der Havel kann besichtigt werden, was der deutschen Stahlindustrie blühen könnte. Mit dem Ende der DDR endete auch die erfolgreiche Ära des Stahl- und Walzwerkes Brandenburg (SWB). Zehntausend Menschen arbeiteten früher hier. Doch nach der Wende war die klassische Siemens-Martin-Technik auf dem globalen Markt nicht mehr wettbewerbsfähig. Mit dem letzten Abstich am 13. Dezember 1993 wurde das Werk stillgelegt. Heute ist von den ehedem zwölf Öfen nur noch einer vorhanden - als Industriemuseum.

Jahrzehntelang galt eine hohe Stahlproduktion als Ausweis für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Heute haben andere Werkstoffe den Stahl ersetzt. Und mit dem Ende der Steinkohleförderung im Ruhrgebiet ist die ganze Montanindustrie hierzulande weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Doch der Eindruck täuscht: Deutschland ist weiterhin der größte Stahlerzeuger in der Europäischen Union. 2020 wurden nach Angaben des Wirtschaftsverbandes Stahl rund 36 Millionen Tonnen Rohstahl produziert. Tendenz steigend: Im April lag die Produktion um 31,5 Prozent (!) über der Vorjahresleistung. Bankanalysten empfehlen den Kauf von Stahlaktien.

Global ist Deutschland allerdings nur ein mittelgroßer Spieler, steht an sechster Stelle der Ländertabelle. Mit der Abwanderung der »schmutzigen« Industrien nach China und Asien - und später Osteuropa - entstanden neue Stahlgiganten, die heute dort die Luft verpesten. Der rasante ökonomische Aufstieg hatte den Stahlbedarf in Bauwirtschaft und Industrie in die Höhe getrieben. Von den 1864 Millionen Tonnen Rohstahl, die im vergangenen Jahr weltweit hergestellt wurden, stammen 1053 Millionen aus China. Die globale Nummer zwei, Indien, kommt gerade mal auf 99 Millionen Tonnen.

Ein Problem für die Konkurrenz in Asien, Europa und den USA ist China vor allem deshalb, weil es nicht sämtlichen Stahl zu Hause verbraucht, sondern auch eine Exportoffensive gestartet hat. Allerdings waren es 2020 lediglich gut 50 Millionen Tonnen, die ausgeführt wurden. Und China führt hochwertige Stähle ein: laut der Nachrichtenagentur Xinhua im vorigen Jahr rund 20 Millionen Tonnen. Insofern scheint die »rote Gefahr«, die von Lobbyisten in Europa und den USA gerne an die Wand gemalt wird, eine Übertreibung zu sein.

Von Peking üppig bezuschusst, sind vor allem Massenstähle aus China trotz vergleichsweise hoher Transportkosten weltweit wettbewerbsfähig. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump reagierte darauf mit Strafzöllen. Für bestimmte Stahlprodukte aus China und Europa wird seit 2018 ein zusätzlicher Zoll von 25 Prozent erhoben. Mit dem paradoxen Ergebnis, dass die Hersteller US Steel und Nucor von der seit Monaten anziehenden Konjunktur und rasant steigenden Stahlpreisen milliardenschwer profitieren, während die stahlverarbeitende Industrie über Rohstoffmangel klagt. Daran änderten auch die Treffen zwischen dem neuen US-Präsidenten Joe Biden und Bundeskanzlerin Angela Merkel nichts.

In der Bundesrepublik begann die große Stahlkrise in den 1980er Jahren. Das Ende des »Wirtschaftswunders«, Schiffbaukrise und teils hochsubventionierte Konkurrenten aus Japan, Südkorea oder Indien sorgten mit neuen Stahlwerken für Überkapazitäten auf dem Weltmarkt. Die Europäische Gemeinschaft reagierte mit Marktabschottung, deutsche Konzerne mit Fusionen. So verband sich Krupp erst mit Hoesch und dann mit Thyssen. Hochöfen und Werke wurden geschlossen. Legendär der 160 Tage lange Kampf der Stahlarbeiter 1987/88 gegen die Schließungspläne des Krupp-Werkes in Duisburg-Rheinhausen. 1993 erfolgte dann - wie in Brandenburg - auch dort der letzte Anstich.

Zu den globalen Überkapazitäten, die heute für viele Stahlqualitäten gelten - darüber verhandelt die EU unter anderem mit China -, gesellten sich immer wieder hausgemachte Probleme. So basierte die existenzielle Krise der einstigen Industrie-Ikone Thyssen-Krupp auf geradezu leichtsinnigen Fehlinvestitionen in Brasilien und den USA in zweistelliger Milliardenhöhe. Der Verkauf des erfolgreichen Aufzugsgeschäftes im Sommer 2020 für 17,2 Milliarden Euro half, Stahl (und Marineschiffbau) wieder flott zu machen.

Duisburg sieht sich immer noch als »Herz der Stahlerzeugung Europas«. So hieß es in einem Aufruf zum Stahlgipfel im Dezember, den Bürgermeister Sören Link (SPD) ebenso wie die Chefs von Arcelor-Mittal, Thyssen-Krupp sowie Vertreter von Verbänden und IG Metall unterschrieben hatten. Obwohl politische Prominenz aus Bund und Stahlländern bei dem Online-Ereignis vertreten war, war man auch realistisch: »Ohne Staatshilfe«, so ein Teilnehmer, »wandert der Stahl ins Freiluftmuseum.«

Stahl wird aus Eisen und Kohlenstoff hergestellt. Während Eisen brüchig ist, ist Stahl umformbar. Bereits die Kelten sollen lange vor unserer Zeitrechnung Eisen erhitzt und damit einen groben Stahl erzeugt haben. Doch erst im 14. Jahrhundert wurden kohlebefeuerte Hochöfen erfunden, deren Hitze ausreichte, Eisen in einen flüssigen Zustand zu bringen. Zum vollen Durchbruch gelangte der Stahl während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert - dank des Siemens-Martin-Verfahrens, wie es im Brandenburger Museum zu bewundern ist. Das jahrzehntelang führende Verfahren wurde von den Brüdern Siemens, dem französischen Ingenieur Pierre-Émile Martin und seinem Vater entwickelt. 1867 auf der Pariser Weltausstellung erhielten alle Vier dafür die höchste Auszeichnung. Öfen konnten nun bis auf 1800 Grad geheizt werden, was die Herstellung von feineren Stahlqualitäten erlaubte. Außerdem konnte nun Schrott zu Stahl umgeschmolzen werden. Der unverzichtbare Werkstoff ist also recyclingfähig und insofern umweltfreundlich. So besaß das brandenburgische SWB einen eigenen Hafen, um seine Hochöfen von dort mit Schrott zu füttern.

Heute wird ein Drittel des deutschen Rohstahls in Duisburg erzeugt, der Stadt mit dem größten Binnenhafen der Welt. In Brandenburg, Thüringen und Sachsen sind es »nur« etwa 15 Prozent. Schätzungsweise 8000 Menschen sind mit dem Oststahl direkt beschäftigt, weitere 40 000 Jobs hängen mittelbar daran. In ganz Deutschland arbeiten vier Millionen Menschen in »stahlintensiven« Branchen. In der smarten Zukunft dürften es noch mehr werden. Nur woher kommt der Stahl?

Wirtschaftspolitisch geht es um die Frage, ob »industrielle Kerne« wie die Stahlbranche aus strategischen Gründen erhalten werden sollten. Das von der Bundesregierung im Juli 2020 vorgelegte 22-seitige »Handlungskonzept Stahl« kommt der Branche sehr entgegen. Die Stahlindustrie in Deutschland sei eine »Schlüsselbranche« für die deutsche Volkswirtschaft. Dazu fordert die Branche von der Politik - wie es auch Werften, Maschinenbau oder Zulieferindustrie tun - ein »Playing Level Field« herzustellen: gleiche Bedingungen für alle Konkurrenten. Konkret geht es um wettbewerbsfähige Strompreise, Schutz vor subventionierten Billigimporten in die EU und um finanzielle Hilfen für den Umbau zu einer »grünen«, wasserstoffbasierten Produktion. Kürzlich führte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier darüber Gespräche mit der EU-Kommission in Brüssel: »Wir brauchen einen Investitionspakt mit der Industrie für klimafreundliche Produktion in Europa.«

Die Stahlindustrie ist für ein Drittel der industriellen Emissionen in Deutschland verantwortlich. Das soll sich ändern, heißt es aus allen Konzernen. Dabei hat der Norden die Nase vorne. Die britisch-indische Arcelor-Mittal beansprucht in Hamburg eine »Vorreiterrolle«. Bislang wird in einer älteren Anlage im Hafen schon »graues« Erdgas für die chemische Reaktion mit dem Eisen eingesetzt, statt Kohle. Zukünftig soll »grüner« Wasserstoff das Erdgas ersetzen, auch in einer zweiten Anlage. Das Genehmigungsverfahren dafür läuft. »Noch in diesem Jahr«, so ein Sprecher, »soll der Grundstein gelegt werden.« Mit Hilfe staatlicher Förderung.

Industriemuseum Brandenburg an der Havel, August-Sonntag-Straße 5, dienstags bis sonntags 10-17 Uhr. www.industriemuseum-brb.de

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