Frei wie freie Rede und Freibier

30 Jahre Linux - das unbekannte Fundament der digitalen Gesellschaft

  • Christoph Dernbach
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Geschichte des universellen Betriebssystems Linux, das quasi jeder nutzt, begann mit einer gewaltigen Tiefstapelei. »Ich arbeite an einem (freien) Betriebssystem (nur ein Hobby, wird nicht groß und professionell ...)«, schrieb der finnische Student Linus Torvalds am 25. August 1991. Er konnte sich damals nicht vorstellen, dass Linux 30 Jahre später nicht nur auf rund 80 Prozent aller Smartphones laufen würde, sondern in fast jedem modernen Auto und unzähligen anderen Geräten steckt. Selbst der Mars-Hubschrauber »Ingenuity«, der mit dem Bodenfahrzeug »Perseverance« den roten Planeten erkundet, wird mit Hilfe von Linux gesteuert.

Linux war anfangs nur dafür gedacht, auf den weitverbreiteten PCs mit x86-Chips von Intel zu laufen. Die von Torvalds festgelegte Architektur war aber schon damals im Prinzip dafür geeignet, unabhängig von der vorhandenen Hardware als Betriebssystem eingesetzt zu werden. Heute laufen sämtliche Hochleistungsrechner der Welt mit dem freien Betriebssystem. Linux konnte aber auch Smartphone: Das System wurde das Fundament für Android von Google.

Im Gegensatz zu kommerziellen Software-Plattformen wie Windows von Microsoft war Linux von Anfang an frei im doppelten Wortsinn: frei wie freie Rede und frei wie Freibier. Dass keine Lizenzzahlungen fällig wurden, förderte die Verbreitung ungemein. Dazu kamen frühe technische Grundsatzentscheidungen Torvalds’ und seines Teams, die sich als goldrichtig erwiesen haben, beispielsweise der Einbau des Internet-Protokolls TCP/IP.

Der Finne und seine Mitstreiter stießen anfangs besonders in der eigenen Szene auf Widerspruch. So konnte sich der einflussreiche Informatiker Andrew Tanenbaum nicht vorstellen, wie ein verteiltes Programmieren gelingen soll: »Ich denke, dass die Koordination von 1000 Primadonnen, die überall auf der ganzen Erde leben, genauso einfach ist wie Katzen zu hüten«, schrieb Tanenbaum in einer legendären Debatte.

Doch das System funktionierte. Mit der steigenden Verbreitung von Linux wurden die großen Software-Konzerne nervös. »Linux ist ein Krebsgeschwür, das in Bezug auf geistiges Eigentum alles befällt, was es berührt«, polterte 2001 Microsoft-Chef Steve Ballmer. Er störte sich an der Grundidee der freien Software: Der Quellcode von Software darf kein Betriebsgeheimnis sein, sondern wird allen Interessierten offen bereitgestellt. Dann können andere den Code verbessern und ergänzen, müssen ihn aber wieder für die Community bereitstellen.

Unter Ballmers Nachfolger Satya Nadella schloss Microsoft Frieden mit Linux und setzt das System bei einigen Anwendungen selbst ein. Eine Programmentwicklung als »Open Source« wie bei Linux wird inzwischen bei vielen aufwendigen Softwareprojekten quasi vorausgesetzt. So entstand die Corona-Warn-App des RKI quelloffen und unter einer freien Lizenz.

Linux ist allerdings nicht in sämtlichen Bereichen der Durchmarsch gelungen. Mit der Linux-Variante Android dominiert das System den Massenmarkt der Smartphones. Auch die meisten Web-Server im Netz laufen unter Linux. Doch ausgerechnet bei der Plattform, für die Linux vor 30 Jahren erfunden wurde, nämlich bei den gewöhnlichen Desktop-Rechnern, spielt das System eine untergeordnete Rolle. Die Analytik-Firma Statcounter verzeichnete für Linux zuletzt einen Marktanteil von knapp 2,4 Prozent, während Windows auf 73 Prozent der PCs installiert war. Zum Linux-Lager kann man die 1,2 Prozent für die tragbaren Chromebooks mit der Google-Software Chrome OS rechnen, ebenfalls eine Linux-Variante. Die Apple-Software wiederum kommt derzeit auf 15,4 Prozent Marktanteil.

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Dass Linux auf dem PC nie richtig Fuß fassen konnte, hat mehrere Gründe: Zum einen liefern Hersteller wie Lenovo, Dell und HP ihre Geräte nicht »nackt« ohne Betriebssystem aus, sondern mit einem vorinstallierten Windows. Für die Käufer ist auch nicht ersichtlich, wie hoch der Anteil für Windows am Kaufpreis ist.

Lange war es für technische Laien auch recht kompliziert, Linux zu installieren. Inzwischen können zwar Linux-Distributionen wie Ubuntu mit wenigen Mausklicks zum Laufen gebracht werden. Doch dem System eilt immer noch der Ruf voraus, kompliziert zu sein. Und in der frühen Linux-Phase fehlten auch die Anwendungen, die man als Windows- oder Mac-User kennt. Manche gibt es bis heute nicht, etwa Adobe Photoshop oder viele Spiele. Linux-Befürworter weisen darauf hin, dass etliche Programme für die Bildbearbeitung, die täglichen Büro-Aufgaben oder zum Spielen längst vorhanden sind. Aber selbst Torvalds räumte 2014 ein, dass es für Programmierer »verdammt kompliziert« sei, Anwendungen für Linux zur Verfügung zu stellen, weil es kein einheitliches System gebe, sondern die unterschiedlichsten Linux-Distributionen.

Um Torvalds ist es in den vergangenen Jahren zunächst ruhiger geworden. Inzwischen teilt der Programmierer auf den Mailing-Listen rund um die Linux-Entwicklung hin und wieder kräftig aus. Zuletzt machte er Schlagzeilen, als er Impfskeptiker zurechtwies: »Sie wissen nicht, wovon Sie sprechen, Sie wissen nicht, was mRNA ist und Sie verbreiten dumme Lügen.« dpa/nd

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