Das Ende einer Ära

Er spielte exakt das, was gebraucht wurde: Charlie Watts ist tot

Die untoten Rolling Stones haben ihren ersten Toten (als Brian Jones starb, war er kein Mitglied mehr). Am Dienstag starb Charlie Watts, Drummer der Band seit 1963, im Alter von 80 Jahren in London. Neben dem Gitarristen Keith Richards war er der letzte Sympathieträger dieser Gruppe, die ihr Nichtsterbenkönnen zur hohen Kunst erhoben hat, obwohl sie seit den frühen 80er Jahren nur noch Schrottplatten produziert. Seitdem hat sie Konzerttourneen von vorher unbekannten Ausmaßen durchgeführt und sich als »größte Rock’n’Roll Band der Welt« ausgerufen. Eine Band als Konzern.

Charlie Watts kam vom Jazz und konnte sehr präzise spielen. Drum-Soli hat er gehasst und nur ein vierteiliges Schlagzeug bedient, verglichen mit den gigantomanischen Drum-Aufbauten der Stadionrockbands der 70er war das nichts. Trotzdem konnte er damit auch gut losholzen, man höre einmal auf Youtube den Song »Neighbours« vom Album »Tattoo You« (1981). Darauf spielt sogar der große Jazzer Sonny Rollins Saxophon. Auf den Riesentourneen der Rolling Stones hätte Watts hinter seinem kleinen Schlagzeug gesessen und sich vorgestellt, er spiele mit Charlie Parker zusammen, ist in der »New York Times« zu lesen.

Als er Schlagzeuger der Stones wurde, war Bluesrock so etwas Ähnliches wie später Punk: in den USA erfunden und von Großbritannien in die USA zurückgebeamt. Watts spielte bei Alexis Korners Blues Incorporated und lernte nach einem Konzert Brian Jones kennen. Der war der Chef der Stones, bis er 1969 von Mick Jagger und Keith Richards abgesetzt wurde. Anschließend wollte Jagger das Sagen haben, auch weil Richards so drogenvernebelt war. Als der Sänger schließlich ein Konzert im Stadion von Tempe, Arizona, als »Mick Jagger and the Rolling Stones« ankündigen ließ, erklärte ihm Richards den »Dritten Weltkrieg«, wie er in seiner Autobiografie »Life« schreibt. Wider Erwarten blieb die Band zusammen.

In »Life« steht auch, wie Jagger 1984 nach einer Sauftour in Amsterdam Watts um 5 Uhr morgens aus dem Schlaf klingelt – mit den Worten »Wo ist mein Drummer?« Der kommt 20 Minuten später in Jaggers Hotelzimmer und haut ihn mit einem rechten Haken hinter das Sofa: »Nenn mich nie wieder deinen Drummer!«

Gleichwohl galt Charlie Watts als der ruhende Pol der Band, als der Verbindungsmann zwischen Jagger und Richards, die zeitweise nur an den Alben im Studio arbeiten konnten, wenn der andere nicht da war. Watts aber war präsent, in den Worten von Richards schuf er mit seinen Rhythmen das Bett, in das sich Richards mit seiner Gitarre legen konnte. Für Joan Jett, auch sie eine Veteranin aus der goldenen Zeit der Plattenindustrie, war er »der am meisten elegante und würdevolle Drummer im Rock'n'Roll. Er spielte exakt das, was gebraucht wurde – nicht mehr, nicht weniger. Er war einzigartig.«

Und dabei sah er stets wie aus dem Ei gepellt aus: ein sehr stylisher Gentleman, den anscheinend kein Wässerchen trüben konnte. Seit 1963 war er mit der Bildhauerin Shirley Ann Shepherd verheiratet, mit der er professionell Araberhengste züchtete.

Was man nicht so weiß: Der ausgebildete Grafikdesigner, der vor den Stones in einer Werbeagentur gearbeitet hatte, gestaltete mehrere Albencover der Band und auch das Comic, das auf der Rückseite von »Between the Buttons« (1967) zu sehen ist. 2003 erzählte er, dass er nie daran interessiert gewesen sei, ein Popidol zwischen schreienden Mädchen zu werden: »Das war nicht das, was ich sein wollte und ich denke, dass das dumm ist.« Zum Ausgleich nahm er Jazzplatten mit Big Bands auf, sang Barballaden oder spielte mit der Pubrock-Spaßband Willy and the Poor Boys, die der Stones-Bassist Bill Wyman Mitte der 80er Jahre gegründet hatte, in Londoner Clubs – Eintritt: vier Pfund.

Kurz vor 50 hörte er mit den Drogen, den Zigaretten und dem Alkohol auf. Nach jeder Stones-Tour schwor er sich, da nicht mehr mitmachen zu wollen. Doch erst Anfang des Monats sagte er die nächste Tour der Band, die im September losgehen soll, aus gesundheitlichen Gründen ab: »For once my timing has been a little off.«

Sein Tod ist das Ende ist einer Ära. Nur nicht für die Rolling Stones. Die haben nun Steve Jordan als Drummer verpflichtet. Er ist Jahrgang 1957 und spielte schon in Richards’ Soloprojekt X-Pensive Winos. Muss man das kennen? Auf keinen Fall.
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!