Durchs Hilfesystem gefallen

Frauen sind Krisenverliererinnen - Corona-Hilfen wurden vor allem von Männern in Anspruch genommen

  • Lola Zeller
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Chancen für Frauen stünden schon grundsätzlich schlechter, erklärt Jutta Allmendinger, Präsidentin vom Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). »Wir sind schon vor Corona dahingehend schlecht aufgestellt gewesen, dass viele Frauen in Teilzeit arbeiten und viele Männer in Vollzeit. Das hat sich durch die geschlossenen Schulen und Kitas noch verschärft«, sagt sie bei einer Fachtagung am Mittwochabend, zu der die rot-rot-grünen Koalitionsfraktionen im Abgeordnetenhaus eingeladen hatten.

Ob in miserabel bezahlten, aber systemrelevanten Berufen oder im Homeoffice bei gleichzeitiger Kinderbetreuung - die Auswirkungen der Coronakrise treffen Frauen strukturell stärker. Diese Beobachtung wird inzwischen durch eine große Anzahl wissenschaftlicher Studien belegt. Auch eine berlinspezifische Studie des WZB kommt zu diesem Ergebnis und fordert darüber hinaus Maßnahmen, die es in der neuen Legislatur zu ergreifen gilt.

Frauen sind von den Auswirkungen der Pandemie allein deshalb stärker betroffen als Männer, weil sie nach wie vor die Hauptlast der Haus- und Fürsorgearbeit in Familien tragen, erklärt Sabine Hübgen bei der Vorstellung der Studie. »Für Frauen war es außerdem wahrscheinlicher, in der Pandemie die Kinderbetreuung zu übernehmen«, sagt sie. Die Belastung durch Betreuungsaufgaben sei besonders hoch in Familien mit Kindern bis zwölf Jahren und bei gleichzeitiger Arbeit im Homeoffice.

Aber nicht nur in den Familien, sondern auch auf dem Arbeitsmarkt ziehen Frauen in der Pandemie den Kürzeren. »Ganz dramatisch ist die Situation der geringfügig Beschäftigten, auch weil dort die soziale Absicherung fehlt«, so die Wissenschaftlerin. In der Arbeitnehmerüberlassung sind die Beschäftigungszahlen nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit im September 2020 im Vergleich zum Vorjahr bei Frauen um fast 50 Prozent zurückgegangen, bei Männern um etwa 45 Prozent. Im Gastgewerbe sind es knapp 20 Prozent Rückgang bei Frauen im Vergleich zu 15 Prozent bei Männern. Bei den sonstigen Dienstleistungen sind es 17 Prozent zu neun Prozent, in den Reinigungsberufen ist die Frauenbeschäftigung um etwa 14 Prozent im Vergleich zu acht Prozent bei Männern zurückgegangen.

Auch für selbstständig arbeitende Frauen sei die Situation deutlich schwieriger gewesen: Weil sie einerseits öfter als Soloselbstständige arbeiteten, die sowieso schon weniger von den Corona-Hilfen profitieren konnten, und sie andererseits entsprechende Hilfen seltener als Männer in Anspruch genommen hätten. »Wir haben bei den Unterstützungsmaßnahmen für Selbstständige ein strukturelles Problem bei der Förderung von Frauen«, erklärt Hübgen.

Perspektivisch verbaut die Pandemie vielen Frauen zudem Karrierechancen, weil in Führungspositionen weiterhin das Ideal von Vollzeitarbeit in Präsenz herrsche, sagt Jutta Allmendinger. Hier brauche es ein gesellschaftliches Umdenken, fordert die Präsidentin.

Die Wissenschaftlerinnen fordern sichere Konzepte, um Kitas und Schulen länger offenhalten zu können, eine stärkere Berücksichtigung von Frauen bei der Entwicklung von Hilfen, eine finanzielle und gesellschaftliche Aufwertung von bezahlter und unbezahlter Care-Arbeit und bessere soziale Absicherungen. So könne eine Pandemiebewältigung gewährleistet werden, die nicht zu Lasten von Frauen stattfindet.

Gleichstellungssenatorin Dilek Kalayci (SPD) wird in der Forderung nach einer Aufwertung von unbezahlter Pflegearbeit an diesem Abend konkreter: »Wir brauchen das Familienpflegegeld«, sagt sie auf dem Podium. Die Studie, die von ihrer Verwaltung beauftragt und finanziert wurde, soll helfen, konkrete politische Maßnahmen zu ergreifen.

Auch Ines Schmidt, von der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, sieht umfassenden Handlungsbedarf. »Wir können nicht Unternehmen wie die Lufthansa mit viel Geld durch die Krise retten, und dann fallen Frauen durch die Hilferaster oder Familien leiden darunter, dass die kostenlosen Mahlzeiten in Schulen und Kitas wegfallen«, sagt sie. Die Linke setze sich dafür ein, dass »haushaltsnahe Dienstleistungen«, wie zum Beispiel Jobs in der Reinigung oder der Gastronomie, in den sozialversicherungspflichtigen Bereich überführt und damit abgesichert werden, so Schmidt zu »nd«. »Die Menschen, die dort ihre Jobs verloren haben, sind ja einfach verschwunden und haben keine Ansprüche. Dagegen müssen wir vorgehen«, sagt sie. Das »dickste Brett« sei aber der allgemeinpolitische Handlungsbedarf zur Bekämpfung sozialer Ungleichheiten.

So sieht es auch Jutta Allmendiger. »Wir brauchen eine größere Verpflichtung der nächsten Berliner Regierung zu einem Land, welches Ungleichheiten insgesamt abbaut«, sagt sie. Denn nur so könne erreicht werden, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft und mit unterschiedlichem sozialen Status widerstandsfähiger in eine Krise hineingehen und sich nicht, wie in dieser Krise, die bestehenden Ungleichheiten noch verstärken.

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