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Knapp gescheitert, aber unermüdlich
Donny Reyes kämpft in Honduras für sexuelle Vielfalt und das Recht auf ein Leben ohne Diskriminierung und Gewalt
Donny Reyes schließt die Blechtür zu dem kleinen Vorgarten, der an seine Wohnung angrenzt. So wie nahezu jeden Morgen, wenn der stämmige Mann mit der dicken, eckigen Brille aus der mit Schlagbäumen und Wachpersonal gesicherten Wohnanlage runter ins Zentrum von Tegucigalpa fährt. Wer in der Hauptstadt von Honduras seine Ruhe vor Dieben, organisierter Kriminalität und unliebsamen Überraschungen haben will, wohnt in einer solchen Wohnanlage. Donny Reyes lebt hier schon länger als sieben Jahre. »Nach meiner Rückkehr aus Hamburg bin ich hier Ende 2014 eingezogen. Das war eine meiner besseren Entscheidungen«, meint der Direktor von Arcioíris mit einem Grinsen. Arcioíris bedeutet Regenbogen, so heißt die Menschenrechtsorganisation, die sich für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi-, Transsexuellen, Transgender und intersexuellen (LGBTIQ) Menschen in Honduras engagiert. Gemeinsam mit einer Handvoll anderen Aktivisten hat Donny Reyes Arcoíris 2003 gegründet und die Organisation zum Anlaufpunkt, Dokumentationszentrum und Selbsthilfeeinrichtung ausgebaut.
In der dritten Avenida, im Zentrum von Tegucigalpa, gleich um die Ecke vom Großmarkt, ist Arcoíris in einem wuseligen Viertel untergekommen, wo tagsüber die Handwerker Regie führen und abends die Prostitution übernimmt. Ein stabiles Eisengitter verdeckt die schwere Holztür, hinter der sich ein großzügiger Aufenthaltsraum und darüber im ersten Stock die Büros befinden. Ein Plakat mit dem Slogan »Vereint für die Gerechtigkeit« hängt an der Eingangstür. Daneben eines mit dem Antlitz von Donny Reyes und dem Listenplatz 15 im Stadtviertel Francisco Morazán. Ein paar Monate hat der 45-Jährige Wahlkampf gemacht und sich um einen Platz auf der Liste der größten oppositionellen Partei des Landes, Libre, beworben. »So wie sieben weitere Kandidaten aus der LGBTIQ-Szene auch«, sagt er, schließt die Tür auf und weist den Weg die Treppe nach oben ins Büro. 9800 Stimmen hat er erhalten, um die Gesetze des Landes und das Bildungssystem zu reformieren. Respekt für sexuelle Vielfalt und das Recht ohne Diskriminierung und Gewalt in Honduras zu leben, fordert er ein. Und daran wird sich auch nichts ändern, nachdem ihm rund 1200 Stimmen für einen Listenplatz fehlten. »Wichtig ist, dass wir den Mut aufbringen zu kandidieren, sichtbar sind und für unsere Rechte eintreten«, sagt er und deutet auf den Bildschirm.
Die Namen von 17 Menschen leuchten auf, die seit Jahresbeginn Opfer von Hassverbrechen geworden sind. »Aufgrund ihrer sexuellen Orientierung wurden sie ermordet, weil sie nicht hetero waren«, sagt er. Arcoíris wird in Honduras von der internationalen Menschenrechtsorganisation Peace Brigades International begleitet, weil LGBTIQ-Aktivisten in Honduras extrem gefährdet sind. Das hat auch die Interamerikanische Menschenrechtkommission der Organisation amerikanischer Staaten mehrfach bestätigt. Doch geändert hat sich nichts. »Das Gegenteil ist der Fall, denn zum einen befinden wir uns in einem Wahljahr, wo die Zahl der politisch-motivierten Morde traditionell ansteigt, zum anderen mitten in der Pandemie. Ausgangssperren machen der LGBTIQ-Szene das Leben schwer«, so Reyes, der genervt mit den Augen rollt.
Ein Land mit vielen Hassverbrechen
Besonders betroffen sind die Transfrauen, denen formale Jobs versperrt sind und die sich in aller Regel prostituieren müssen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, so Reyes. »Sie sind besonders gefährdet, und immer wieder hat es Übergriffe vonseiten der Militärpolizei gegeben. Etliche Transfrauen, die zusammengeschlagen, deren Kopf geschoren und die gedemütigt wurden, haben wir hier versorgt«, erklärt Reyes, dessen Arbeitsplatz nur ein paar hundert Meter von den einschlägigen Plätzen entfernt ist, wo die Transfrauen in aller Regel nach Kundschaft Ausschau halten. Rund um den Parque El Obelisco befindet sich der Trans-Strich von Tegucigalpa.
»Muñecas de Arcoíris« heißt übersetzt »die niedlichen Puppen des Regenbogens«. Diesen Namen haben sich die Transfrauen für ihre Gruppe gegeben, in der sie sich organisiert haben. Sie haben diesen sarkastischer Titel bewusst gewählt. Jeden Dienstag treffen sie sich im Büro von Arcoíris und informieren über ihre eigenen Rechte in Workshops und manchmal auch auf der Straße - auch wenn das in Zeiten der Pandemie nur noch selten der Fall ist.
Doch die Rechte von Transfrauen, aber auch von homo-, Trans, bi- und intersexuellen Menschen stehen in Honduras nur auf dem Papier. »Formell ist der Staat zwar gehalten, sie zu schützen, aber schwul sein und schwul auftreten, ist selbst an den Universitäten noch ein Tabu«, so Donny Reyes, der in den vergangenen Jahren Seminare zu Menschenrechten und Politikwissenschaft belegt hat und mittlerweile zu den regional bekannten Menschenrechtsaktivisten gehört. Das sorgt für etwas Sicherheit vor Polizeiwillkür, doch auch Reyes hat Honduras mehrfach verlassen müssen, um sich in Sicherheit zu bringen. Das erste Mal mit gerade 15 Jahren, als sein Vater ihm erklärte, dass er keinen homosexuellen Sohn haben wolle. Damals ging er in die USA, wie so viele andere auch. Reyes verließ Honduras über die Industriemetropole San Pedro Sula nahe der Grenze zu Guatemala, schlug sich durch Guatemala, überquerte den Grenzfluss Río Suchiate auf einem Floß nach Mexiko und fuhr auf Güterzügen immer weiter gen Norden. Er schaffte es bis in die USA, viele andere hingegen bleiben Jahr für Jahr auf der Strecke. Donny Reyes kam in Kalifornien an, prostituierte sich, um zu überleben, arbeitete auf einer Farm, in einer Plastikfabrik und kehrte mangels Perspektiven zurück nach Honduras.
Nach seiner Rückkehr begann er sich für Menschenrechte zu interessieren, fand Gleichgesinnte und gründete im Jahr 2003 Arcoíris. Es gibt in Honduras noch andere LGBTIQ-Organisationen. Sie alle haben aber damals wie heute einen schweren Stand. Etliche Freunde und Freundinnen hat Donny Reyes seitdem gehen oder sterben gesehen. Viele verschwanden rund um den Putsch von 2009, als der demokratisch legitimierte Präsident José Manuel Zelaya, der den sozialen Wandel in Honduras einleiten wollte, vom Militär aus dem Amt geputscht wurde. »Es war kein Zufall, dass viele von uns auf die Straße gegangen sind, protestiert und demonstriert haben - für Mel Zelaya, aber vor allem für ein anderes Honduras - eines der Vielfalt«, erinnert sich Reyes.
Für das tritt er auch heute noch ein, und der weggeputschte Präsident, dem die USA damals den Rückhalt verweigerten, hat auch die Partei gegründet, für die Reyes in den letzten Monaten kandidierte: Libre. Ein-, wahrscheinlich aber zweimal wurde sie bereits Opfer von Wahlbetrug. Ein drittes Mal könnte im November dieses Jahres folgen, wenn alles nach Plan derjenigen läuft, die traditionell die Macht in Tegucigalpa in den Händen halten. Der korrupten Elite um den seit 2013 regierenden Präsidenten Juan Orlando Hernández, dessen Bruder Tony wegen Drogendelikte in den USA im Gefängnis sitzt. Das könnte auch Juan Orlando Hernández drohen, der in Honduras nur JOH genannt wird. Denn die Ermittlungen in den USA laufen bereits.
Nur wenige Familien haben die Macht
Doch relevant für mögliche Veränderungen im Land werden diese erst, wenn das System dahinter in Frage gestellt wird - das auf Korruption und Klientelismus basierende Austauschverhältnis zwischen den rund acht, neun Familien, die das Land quasi in ihren Händen halten. Darauf hofft Donny Reyes nur noch selten. Denn zu oft hat er erlebt, dass die Interessen der Bevölkerung zugunsten lukrativer Deals auf der Strecke blieben. »Honduras ist seit dem Putsch von 2009 ein Land, wo es nur um die Rechte weniger geht. Hier gibt es keine Reaktion auf einen Mord, das hat keine Folgen. Ich bin es leid die Toten zu zählen«.
Doch genau das macht er auch weiterhin, wie die Liste der 17 Morde an LGBTIQ-Aktivisten beweist. Reyes ist es gewöhnt, Anrufe und Textbotschaften zu erhalten, die einschüchtern sollen. Die Bremsschläuche an dem Auto, mit dem er sich in Tegucigalpa fortbewegte, wurden durchtrennt. Killer verfolgten ihn durch die Innenstadt. Als es zu gefährlich wurde, verließ er 2014 das Land ein weiteres Mal. Er ging nach Deutschland und erhielt ein Stipendium der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte. Das waren für ihn ein paar Monate zum Luftholen, bevor er zurückkehrte, um sich erneut für die Rechte der Minderheiten einzubringen. Sein soziales Engagement ist eine Konstante in seinem Leben geworden. Weggehen ist für ihn schon lange keine Alternative mehr.
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