• Politik
  • Testgelände Semipalatinsk

Aus bitterer Erfahrung gegen Atomwaffen

Kasachstan ist einer der engagiertesten Staaten bei der nuklearen Abrüstung. Der Grund dafür liegt in der Perestroika

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Stolz in Dauren Karipovs Stimme ist unüberhörbar. »Kasachstan hat der gesamten Welt ein Beispiel gegeben«, begrüßt der Botschafter des zentralasiatischen Landes die Teilnehmer der Onlinekonferenz »Atomwaffenfreie Zone Planet Erde«. »Wir haben anderen Ländern den Weg zu einer sichereren Welt gezeigt!«, unterstreicht Karipov zu Beginn der von der kasachischen Botschaft in Deutschland organisierten Veranstaltung am vergangenen Donnerstag.

Grund für das selbstbewusste Auftreten des Diplomaten ist eines der zentralen Ereignisse der Perestroika, das sich an diesem Sonntag zum 30. Mal jährt: Die Schließung des Testgeländes Semipalatinsk (heute Semei) im Nordosten Kasachstans.

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

In dem brettflachen Steppengebiet - rund 170 Kilometer von der Stadt Semipalatinsk entfernt und mit 18 000 Quadratkilometern etwa so groß wie das Bundesland Sachsen - zündete die Sowjetunion am 29. August 1949 ihre erste Atombombe; 476 weitere Explosionen folgten, mehr als 110 davon überirdisch. Dies entspricht in etwa der Sprengkraft von 2500 Hiroshima-Bomben.

Die im Umkreis des streng geheimen Militärobjekts lebende Bevölkerung wurde über die Tests und die Gesundheitsrisiken nicht aufgeklärt. Steppenwinde trugen die Strahlung über Hunderte Kilometer ins Land, die Krebsrate in der Region stieg drastisch. Kinder kamen mit Missbildungen zur Welt. 1963 verlegte Moskau die Tests zwar unter die Erde, doch dabei wurden große Mengen radioaktive Gase freigesetzt, die selbst im angrenzenden Sibirien weite Landesteile verseuchten. Auch die Zahlen der von Strahlenkrankheit betroffenen Menschen blieben unter Verschluss. Ärzte begründeten die Mutationen und vielen Krankheiten mit schlechter Hygiene und einseitiger Ernährung. Rund anderthalb Millionen Menschen leiden bis heute unter den Folgen.

Doch während der Perestroika formierte sich in der Region Widerstand gegen das Testgelände. 1989 kam es erstmals zu Protesten der Bürgerbewegung »Nevada-Semipalatinsk«, deren Anliegen sich auch Kasachstans künftiger Präsident Nursultan Nasarbajew - damals noch Vorsitzender der kasachischen KP - nicht verschließen konnte. Sogar vor dem Obersten Sowjet in Moskau trug Nasarbajew seine Bedenken vor und brachte damit das konservative Parteiestablishment gegen sich auf. Nur wenige Tage nach dem gescheiterten Augustputsch in Moskau ließ er das Semipalatinsker Testgelände am 29. August 1991 schließen - genau 42 Jahre nach der Zündung der ersten sowjetischen Atombombe. Anlässlich des historischen Datums rief die Uno 2010 auf Nasarbajews Initiative den internationalen Tag gegen Atomtests ins Leben.

Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus gab Kasachstan - wie Belarus und die Ukraine - die auf seinem Gebiet stationierten sowjetischen Atomraketen zurück, die es zwischenzeitlich zur viertgrößten Atommacht der Welt gemacht hatten. Doch im Gegensatz zu den beiden anderen Ex-Sowjetrepubliken ging das unabhängige Kasachstan noch weiter und entfaltete eine regelrechte Anti-Atomwaffen-Diplomatie: Das Land trat dem Kernwaffensperrvertrag und fast sämtlichen nuklearen Abrüstungsverträgen bei, veranstaltet regelmäßig internationale Konferenzen gegen die nukleare Rüstung und rief 2006 eine atomwaffenfreie Zone in Zentralasien aus. 2015 brachte Präsident Nasarbajew in der Uno eine universale Erklärung über eine atomwaffenfreie Welt auf den Weg. »Kasachstan ist der anerkannte Führer der weltweiten Anti-Atom-Bewegung«, titelte die kasachische »The Astana Times« stolz im Juli.

Tatsächlich habe das Land den freiwilligen Verzicht auf seine Atomwaffen zum Kernstück der Bemühungen gemacht, sich als verantwortungsvolles Mitglied der Weltgemeinschaft zu präsentieren, schrieb der Eurasienexperte Joshua Kucera schon 2013. Viele Journalisten griffen gern das Narrativ einer Nation auf, die ihre Lehren aus der bitteren Vergangenheit gezogen habe. Doch die Gründe für den nuklearen Verzicht seien prosaischer: Zu Beginn der 1990er Jahre habe Nasarbajew in Verhandlungen mit US-Außenminister James Baker schon früh erklärt, dass Kasachstan unfähig zur technischen Wartung der von der Sowjetunion hinterlassenen Atomraketen sei und auch die Kosten nicht tragen wolle. Statt geforderter amerikanischer Sicherheitsgarantien habe das Land von Washington daraufhin umfangreiche Hilfen für die Beseitigung der Waffen bekommen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.