- Politik
- Afghanistan
Maas verhandelt mit Anrainerstaaten
Die Aufnahme von afghanischen Geflüchteten in den Nachbarstaaten ist keine Selbstverständlichkeit
Während sich der Evakuierungseinsatz des US-Militärs dem Ende zuneigt und ersten Berichten zufolge die letzten Boeing C17-Flüge Afghanistan verlassen haben, kam es in Kabul zu einem Einschlag einer Granate in ein privates Haus in der Nähe des Flughafens. Nach Angaben der Taliban soll dabei ein Selbstmordattentäter getroffen worden sein. Unbestätigte Quellen sprechen davon, dass ein Kind getötet worden sei. US-Präsident Joe Biden hatte am Sonntag vor einer erhöhten Anschlagsgefahr gewarnt. Gleichzeitig kündigte er weitere Vergeltungsschläge an, die sich gegen die Gruppe »Islamischer Staat Provinz Chorasan«, kurz IS-K, richten sollen.
Bei einem Anschlag am Donnerstag waren über 100 Menschen getötet worden. Die dabei getöteten US-Soldaten wurden zum Anlass für einen Vergeltungsschlag in der Provinz Nangarhar, der mittels einer Kampfdrohne erfolgte. Das US-Militär will dabei in der Nacht zu Samstag zwei ranghohe Mitglieder der IS-K getötet haben.
Zum offiziellen Ende des Evakuierungseinsatzes am 31. August ist der Weiterbetrieb des Hamid-Karsai-Flughafens in Kabul ungewiss. »Einen Flughafen zu betreiben, ist kein leichtes Geschäft«, sagte ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums. »Es ist wahrscheinlich unsinnig zu erwarten, dass es am 1. September einen normalen Flughafenbetrieb geben wird.« Über den Weiterbetrieb des Flughafens in türkischer Verantwortung verhandelt derzeit der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mit den Taliban. Diese stellen sich offenbar vor, die militärische Sicherung zu übernehmen und den operativen Betrieb dem türkischen Militär zu überlassen. »Wir werden eine Entscheidung treffen, sobald wieder Ruhe herrscht«, kündigte Erdogan an.
Lesen Sie auch den Kommentar »Außenpolitisches Moratorium jetzt«
von Daniel Lücking
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) brach unterdessen zu einer sogenannten »Afghanistan-Mission« auf, bei der er mit insgesamt fünf Anrainerstaaten über die Aufnahme von afghanischen Geflüchteten verhandeln will. In der Türkei will Maas zunächst für den Weiterbetrieb des Flughafens in Kabul werben, bevor er mit Usbekistan, Pakistan und Tadschikistan drei Nachbarländer Afghanistans besucht, um zuletzt nach Katar zu reisen, wo seit Monaten mit der Talibanführung verhandelt wird und auch mit dem deutschen Unterhändler Markus Potzel seit Tagen Gespräche über Ausreisefragen geführt werden. Auf den Ausreiselisten des Auswärtigen Amts stehen weiterhin mehr als 10 000 Menschen in Afghanistan, darunter 300 Deutsche. »Wir stehen ganz klar dazu, dass mit dem Ende des militärischen Evakuierungseinsatzes das deutsche Engagement nicht endet. Verbliebene deutsche Staatsangehörige, ehemalige Ortskräfte und andere besonders schutzbedürftige Personen wollen wir nach Deutschland holen«, sagte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken gegenüber der »Welt«. Esken plädierte dabei auch für Gespräche mit den Taliban, die nötig seien, um nichts unversucht zu lassen.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) führte am Samstag nach Angaben der Bundesregierung Gespräche mit dem britischen Premierminister Boris Johnson sowie dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte. Merkel und Johnson forderten bei ihrem Telefonat internationale Anstrengungen, um eine humanitäre Krise im Land zu verhindern.
Zum Thema passend: »Gegen Doppelmoral« von Isabella A. Caldart
Die Bundesregierung wies am Sonntag die Kritik der privaten Rettungsinitiative Luftbrücke Kabul zurück. Die Rettungsmission hatte eine Chartermaschine nach Kabul geschickt, um Gefährdete auszufliegen und stieß auf massive bürokratische Hemmnisse. »Für hunderte Menschen hatten wir eine sichere Unterkunft, haben sie offiziell auf Listen des Auswärtigen Amtes registrieren und absegnen lassen, organisierten einen Bustransport über die katarische Botschaft und hätten Menschen innerhalb weniger Stunden an den Flughafen und auf unser Flugzeug bringen können«, so die Initiative. Die Bundesregierung »weigerte sich, eine E-Mail zu schreiben, um den Transport freizugeben«, hieß es. Die Bundesregierung machte das Chaos am Flughafen und in Kabul verantwortlich. Mit Agenturen
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.