- Politik
- Lokführerstreik
Ein vergiftetes Angebot
Beim Konflikt zwischen der Bahn und der GDL geht es auch um die Daseinsberechtigung der Gewerkschaft
Der in der Nacht zum Donnerstag gestartete dritte Streik in der laufenden Tarifauseinandersetzung bei der Deutschen Bahn geht weiter und soll erst am Dienstagmorgen beendet werden. Und das, obwohl der Konzern erstmalig seit den gescheiterten Verhandlungen im Juni ein neues Angebot vorgelegt hat. Ein ungewöhnlicher Vorgang, denn normalerweise führen derartige Angebote zur schnellen Wiederaufnahme von Verhandlungen und der Aussetzung laufender Arbeitskämpfe.
Doch in dieser Tarifrunde ist alles anders, und es geht um viel mehr als nur ein paar Prozentpunkte, die Laufzeit und eine Einmalzahlung (»Corona-Prämie«). Zum einen ignoriert das Angebot zwei materielle Kernforderungen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL): Keine Nullrunde für 2021 und keine Kürzung der Betriebsrenten. Beides hatte das Unternehmen im September 2020 mit der konkurrierenden, zum DGB gehörenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) vereinbart.
Viel wichtiger ist jedoch ein grundsätzlicher Konflikt. Die GDL befürchtet, von der Konzernspitze und der EVG mittels des Tarifeinheitsgesetzes (TEG) weitgehend aus dem Unternehmen verdrängt zu werden. Laut diesem seit 2015 geltenden Gesetz, das bei der Bahn jetzt erstmals angewendet werden soll, gelten nur die Tarifverträge der jeweils mitgliederstärksten Gewerkschaft in einem Betrieb. Im DB-Gesamtkonzern ist das zweifellos die EVG. Doch der Konzern ist in über 200 Betriebe aufgeteilt, und in 71 dieser Betriebe sind beide Gewerkschaften vertreten. Da die GDL bislang nur das Fahrpersonal, also Lokführer, Zugbegleiter, Bordgastronomen und einige kleinere Berufsgruppen organisiert und vertreten hat, war bislang auch in den meisten dieser Betriebe die EVG in der Mehrheit.
Allerdings hat die GDL Ende des vergangenen Jahres als Reaktion auf den von EVG und Bahn abgeschlossenen »Sanierungstarifvertrag« eine Mitgliederoffensive gestartet, um weitere Berufsgruppen des Eisenbahnbetriebs zu organisieren, wie Fahrdienstleiter und Mitarbeiter von Werkstätten und Netzinfrastruktur. Laut GDL konnten seitdem über 4000 neue Mitglieder gewonnen werden. Wie sich das auf die Mehrheitsverhältnisse in den umkämpften Betrieben auswirkt, ist bislang nicht geklärt. Bahn und EVG behaupten, dass die GDL lediglich in 16 der 71 Betriebe stärkste Kraft ist, die GDL geht von deutlich mehr als der Hälfte aus. Bislang ist noch nicht mal geklärt, wie die gewerkschaftlichen Mehrheitsverhältnisse überhaupt ermittelt werden sollen. Über das Prozedere müssen erst noch Gerichte entscheiden.
Am 21. September soll das Urteil in einem ersten Hauptsacheverfahren beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg gefällt werden, bei der es um die Anwendung von GDL-Tarifverträgen für deren Mitglieder geht. Doch das wird mit Sicherheit nicht die letzte Instanz sein. Entsprechend »vergiftet« ist – abgesehen vom mageren materiellen Gehalt – auch das aktuelle Angebot der Bahn für weitere Verhandlungen. Denn eine mögliche Einigung soll nur für diejenigen GDL-Mitglieder gelten, die bereits jetzt Tarifverträgen dieser Gewerkschaft unterliegen, also nur Lokführer und einige andere Gruppen des Fahrpersonals. Der GDL wird also das Recht abgesprochen, auch für die neu organisierten Mitglieder in anderen Berufsgruppen und Bahnbetrieben zu verhandeln. Was der GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky am Donnerstagmorgen auf einer Kundgebung mit den Worten kommentierte: »Wir werden den Teufel tun, diesen Kollegen die Koalitionsfreiheit zu entziehen.«
Für die GDL geht es also um nackte Existenz. Denn eine Gewerkschaft, die über keinerlei Tarifmacht mehr verfügt, nicht mehr streiken darf und nur noch als Bittsteller auftreten könnte, hat keine Perspektive. Weselsky bleibt gar nichts anderes übrig, als diesen Kampf bis zum bitteren Ende zu führen. Andernfalls würde er als der GDL-Vorsitzende in die Geschichte eingehen, in dessen Amtszeit das Ende dieser 1867 als Verein Deutscher Lokführer gegründeten Gewerkschaft eingeleitet wurde.
Auch für die EVG steht viel auf dem Spiel. Würde es der GDL gelingen, einen merklich besseren Tarifabschluss zu erzielen, droht ein kräftiger Mitgliederschwund in allen Bereichen, in denen die GDL auch vertreten ist. Der EVG könnte dann das drohen, was für die GDL jetzt akut ist: Der Verlust der Tarifmacht in allen Konzernbereichen, die unmittelbar mit dem Eisenbahnbahnverkehr zu tun haben.
Für die Bahn AG ist die Auseinandersetzung ebenfalls von grundsätzlicher Bedeutung. Ein Abschluss mit der GDL wäre ziemlich teuer, weil mit der EVG eine »Meistbegünstigungsklausel« vereinbart wurde, laut der deren Tarifverträge entsprechend nachgebessert werden müssten. Und natürlich möchte man sich die »unbotmäßige« GDL gerne dauerhaft vom Hals schaffen.
Und noch etwas zeigt dieser Konflikt exemplarisch. Das »Tarifeinheitsgesetz«, mit dem betriebliche Konflikte eingedämmt werden sollten, bewirkt unter bestimmten Umständen das genaue Gegenteil. Was den Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, am Donnerstag zu der Forderung bewog, das Gesetz komplett abzuschaffen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.