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Im Land der Mitten
Leo Fischer über reichhaltige Auswahl und Einheitsbrei auf dem Wahlzettel
Die Eröffnung des Wahl-O-Maten Anfang der Woche hat auf sehr schöne Weise klargemacht, dass die deutsche Demokratie nach wie vor wie das Frühstücksbüffet eines Vertreterhotels funktioniert: Auf der Homepage ist von der »reichhaltigen Auswahl« die Rede, vor Ort gibt es dann denselben Joghurt in drei verschiedenen Farben, Orangensaftkonzentrat in winzigen Gläschen und eine Alibi-Kiwi, die traurig vor sich hin gammelt, weil 90 Prozent der Leute ohnehin wieder zu Rührei aus dem Pulverbeutel und verkokelten Würstchen greifen.
So könnte man natürlich auch diesmal wieder die Urbanen, die Grauen, die Veganen, die Bergigen oder die Hiphoppenden wählen, allein, sie bleiben doch auf der Theke liegen; zu stark ist die Paranoia, seine Stimme wegzuwerfen, zu tief implantiert die Forderung, »taktisch« zu wählen. Allen Rufen von der »Postdemokratie« zum Trotz ist Politik immer noch sehr stark Parteisache, und da diejenige der klassisch Organisierten. Auch die explizit als Bewegungs- und Anti-Partei gegründete AfD tritt jetzt ostentativ als »ganz normale Partei« auf - wohl auch im Bedürfnis, die zahllosen Vergünstigungen nicht zu verlieren, die diese Demokratie ihren Feinden gewährt, ohne Rücksicht auf die berühmten »Lehren aus Weimar«.
So bleibt die »taktische« Wahl eine aus vier, fünf mehr oder minder »mittigen« Parteien, die sich in allen wichtigen Fragen so einig sind, dass man nicht einmal mehr sicher sagen kann, dass eine Stimme an Grün einen Kanzler Laschet verhindert oder ins Amt hievt. Dieses »Mittige« ist dabei ein rein marketingmäßig hergestelltes Gefühl, dass sich mit keinen bestimmten Politiken verbindet. Nicht nur ist die »Mitte« seit Jahren konsequent auf dem Weg nach Rechts, sie produziert auch völlig widersprüchliche, einander aufhebende Agenden, in der der Außenminister den Afghan*innen verspricht, »dass bald alle in Sicherheit sind«, während der Innenminister Thüringen die Aufnahme von Geflüchteten verbietet und das Auswärtige Amt stillschweigend die Evakuierungslisten schließt.
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Als Kulminationspunkte dieser Marketing-Mitte bauen sich Organisationen auf, die eher wie NGOs funktionieren denn als Parteien. Der Durchmarsch von Bündnissen, wie sie in Frankreich Macron ins Amt gehoben haben, ist noch nicht zu sehen; der Erfolg der Retorten-Partei »Volt« hingegen hat klassische Parteipolitiker*innen hinlänglich verunsichert. »Volt« verspricht, Politik ohne Politik zu machen: keine Gesichter, keine Auftritte, die ohnehin nur ins Fettnäpfchen führen, stattdessen wohlfeile Forderungen in makellosem Industriedesign, wie man sie auch von Supermarkttüten kennt. »Volt« verspricht eine andere Art Mitte, eine Mitte, die nicht aus korrupten Funktionär*innen und Karrierepolitiker*innen besteht, sondern aus slicken Spezialist*innen, die den Staat lenken mögen wie ein Start-up: entspannt, kalifornisch, auf Grundlage moderner Technologien, cooler Designs und einer unverbindlichen Urbanität. Es sind die schick gewordenen »Piraten«, abzüglich des Verkrampften, unangenehm Nerdigen und des diffusen Programms: Apple statt Linux. Mehr noch als die Grünen verkaufen sie Politik als Lifestyle, den man abonniert wie eine Gemüsekiste. Es ist kein Zufall, dass sich besonders Werbe- und Medienmenschen für die Partei engagieren und dort sofort funktionieren.
Man könnte den bunten Frohsinn rührend finden angesichts der Schattenseiten der Start-up-Kultur, die mittlerweile auch dem Mainstream bewusst sind - oder sich fragen, ob man sich nicht einmal grundsätzlich von den vielen Mitten abwenden sollte, die einem dieses Land bietet.
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