- Wirtschaft und Umwelt
- Rohstoffpreise
Zwischen Aufschwung und Superzyklus
Experten rätseln, ob der kräftige Anstieg der Preise für Industrierohstoffe von Dauer sein wird
Der Streit um Australiens Kohleexporte spitzt sich weiter zu. Zunächst mahnten die Vereinten Nationen den, je Einwohner gerechnet, drittgrößten Emittenten von Treibhausgasen, sich baldigst aus der Kohle zu verabschieden. Daraufhin antwortete der konservative, australische Minister für Bodenschätze, Keith Pitt, das schwarze Gold stehe noch vor einer sehr langen Zukunft, die »weit über 2030 hinausreicht«. Berichte über das bevorstehende Ende der Kohle weltweit seien stark übertrieben.
Australien nutzt die Kohle für die Energieversorgung seiner 25 Millionen Einwohner und als Exportschlager: Im zurückliegenden Vierteljahr legten die Kohleausfuhren um 26 Prozent auf umgerechnet rund zehn Milliarden Euro zu. Der Anstieg ist weniger auf die Menge - China, lange der wichtigste Abnehmer, boykottiert zurzeit aus politischen Gründen Australien - als auf gestiegene Preise zurückzuführen. Der internationale Kohlepreis steigt laut dem Infodienst »Finanzen.Net« seit einem Jahr rasant: von unter 20 auf über 140 Euro je Tonne.
Kohle ist kein Einzelfall auf den globalen Rohstoffmärkten. In den vergangenen Monaten haben die Weltmarktpreise insbesondere für Industrierohstoffe stark zugelegt. Nach dem Einbruch durch den ersten globalen Lockdown zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sind die Rohstoffpreise kontinuierlich gestiegen, zum Teil sogar deutlich über das Vorkrisenniveau. Auch die zwischenzeitlich erneut zunehmenden Corona-Infektionszahlen und die Einführung weiterer Lockdown-Maßnahmen konnten den Aufwärtstrend nicht merklich bremsen. Der Rohstoffpreisindex des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) stieg im Vergleich zum Vorkrisenniveau von Dezember 2019 um 32 Prozent. Wobei der Teilindex für Energie einen Zuwachs von »nur« 28 Prozent und der Index für Agrarrohstoffe einen Anstieg von 36 Prozent verzeichnete. Besonders beeindruckend ist jedoch der Anstieg bei Industrierohstoffen, die gegenüber ihrem Vorkrisenniveau um mehr als 70 Prozent zulegten.
Einige Analysten erkennen in den Preissteigerungen den Beginn eines neuen »Superzyklus«. Ein solcher reicht zeitlich über die typischerweise heftigen Schwankungen der Rohstoffpreise und über die konjunkturellen Zyklen von Auf- und Abschwung lange hinaus. Während des vergangenen Jahrhunderts gab es mindestens drei solcher Rohstoff-Superzyklen: Der erste geht auf die rasche Industrialisierung der Vereinigten Staaten bis in die frühen 1900er Jahre zurück. Der zweite wurde durch den Wiederaufbau Europas und den wirtschaftlichen Aufschwung Japans in der Nachkriegszeit ab 1945 ausgelöst.
Der bislang letzte Rohstoff-Superzyklus begann um die Jahrtausendwende mit der Industrialisierung und Verstädterung der BRIC-Länder Brasilien, Russland, Indien und China, die zugleich wichtige Rohstofflieferanten sind, und endete 2015. Beflügelt wurde er auch durch den Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation. »Allen drei Superzyklen war gemeinsam, dass sie durch einen massiven Nachfrageschub ausgelöst wurden, der durch eine Transformation der Wirtschaft verursacht wurde«, schreibt HWWI-Expertin Claudia Wellenreuther in der neuen Ausgabe des »Wirtschaftsdienstes«.
Für einen neuen Superzyklus spricht heute tatsächlich einiges: Die allgemeine Digitalisierung und insbesondere die angestrebte Dekarbonisierung der Wirtschaft, also der Abschied von Kohle, Öl und Gas, bewirken einen technologischen Wandel, der einen strukturellen Nachfrageanstieg nach Rohstoffen nach sich ziehen könnte. Die globalen Lockdown-Maßnahmen und umfangreiche Konjunkturpakete in vielen Ländern unterstützen diese beiden Trends.
Bislang profitieren davon jedoch nur bestimmte Rohstoffgruppen. So werden für die Elektromobilität Industriemetalle wie Kupfer, Nickel, Aluminium und Kobalt nachgefragt. Und klimafreundliche Bauprojekte steigern den Verbrauch an Holz. »Ob diese Entwicklungen ausreichen, um einen neuen Superzyklus anzustoßen, ist daher derzeit noch fraglich«, lautet das unentschiedene Fazit von Ökonomin Wellenreuther.
Beim rasanten Anstieg anderer Rohstoffpreise könnte es sich lediglich um einen ein-, zweijährigen Aufschwung handeln. Auf vielen Märkten für Industrierohstoffe hatten die Lockdown-Maßnahmen zu Angebotsverknappungen geführt, da Minen und Häfen zeitweise geschlossen und Lieferketten unterbrochen waren. Die seit Mai wieder fallenden Preise auf einigen Märkten deuten darauf hin, dass sich die Versorgungsengpässe allmählich auflösen. Der gestiegenen globalen Nachfrage steht aktuell allerdings noch immer ein geschwächtes Angebot gegenüber, was zu den enormen Preissteigerungen ebenfalls beiträgt. Die wiederum dazu beitragen, dass weltweit viele neue Minen erschlossen oder alte ausgebaut werden. Das aber dürfte zur Entspannung bei den Preisen sorgen.
Und die Kohle? Während die Regierung in Canberra noch politisch mauert, stehen Australiens Bodenschatzriesen Rio Tinto und BHP unter dem Dekarbonisierungsdruck ihrer Aktionäre, Kapitalgeber und Versicherer. In Australien, dem wichtigsten Kohlenexporteur der Welt, arbeitet die Branche nun an einem eigenen Versicherungsfonds, um dies zu kontern. Gleichzeitig nehmen die Bergbaukonzerne aber doch einen Kursschwenk vor - und setzen in ihrer Geschäftspolitik auf Superzyklen bei Rohstoffen für E-Mobilität, grünem Stahl und Agrarwirtschaft.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.