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Große Namen in Trient
Die Straßenrad-EM gewinnt mehr und mehr an Bedeutung: Am Sonntag steht das Einzelrennen der Männer an
Sie mausern sich langsam zu einer bedeutsamen Veranstaltung, die Radsporteuropameisterschaften, die in dieser Woche im italienischen Trient ausgetragen werden. Dazu trägt in diesem Herbst auch ein beachtliches Star-Aufgebot bei. Der zweifache Tour-de-France-Sieger Tadej Pogacar (Slowenien) geht an den Start, der frühere Tourzweite Romain Bardet (Frankreich) ebenso. Auch der slowakische Ex-Weltmeister und Ex-Europameister Peter Sagan hat für das Straßenrennen zugesagt, außerdem das belgische Toptalent Remco Evenepoel. Das Gastgeberland Italien, das zuletzt dreimal in Folge den Titelträger im Straßenrennen der Männer stellte, ist ohnehin prominent vertreten. Günstig ist auch der Zeitpunkt der EM: Eine Woche, bevor am nächsten Sonntag mit dem Männerzeitfahren die Weltmeisterschaften beginnen, gibt es kaum konkurrierende Toprennen.
Trients Stadtzentrum ist abgesperrt. Ein paar Busfahrer murren, berichten lokale Medien, weil sie jetzt alternative Strecken fahren müssen und sich mit ebenso verärgerten Benutzern herumplagen müssen, deren Wege zur Arbeit komplizierter geworden sind. »Ansonsten herrscht aber gute Stimmung. Es gibt viele Fans hier. Die Organisation ist gut. Und dass das ganze Stadtzentrum dem Radsport gewidmet ist, sorgt für eine schöne Atmosphäre«, teilt Radsportexperte Marco Bonarrigo, der für die überregionale Tageszeitung »Corriere della Sera« von den Titelkämpfen berichtet, gegenüber »nd« mit.
Die Gegend ist klassisches Radsportterritorium. Regelmäßig passiert der Giro d’Italia die Gipfel der Umgebung. Auch das Etappenrennen Giro del Trentino, seit ein paar Jahren international als Tour of the Alps vermarktet, zieht regelmäßig Stars an. Einstige Radsportgrößen wie der frühere italienische Weltmeister und Stundenweltrekordhalter Francesco Moser kommen aus der Gegend. Tradition wird hier groß geschrieben. Jeder Ort, der etwas auf sich hält, hat sein kleines Radsportmuseum. Daher ist der EM-Kalender auch gefüllt mit allerlei kulturellen Events, die den Radsport der Vergangenheit und dessen Helden feiern. In Trient schlägt das Radsportherz recht hochfrequent. Die Anwesenheit von Italiens neuem Radhelden Filippo Ganna, dem Zeitfahrweltmeister und Olympiasieger in der Mannschaftsverfolgung, trägt weiter zur Begeisterung vor Ort bei.
Ganna pilotierte standesgemäß auch die italienische Mixed-Staffel zum Titel. Zweiter wurde das deutsche Sextett, das in Max Walscheid und Mieke Kröger seine Leitfiguren hatte. Ganna musste sich in seinem Spezialwettbewerb, dem Einzelzeitfahren, nur einen Tag später allerdings mit Platz zwei zufrieden geben. Am Schweizer Titelverteidiger Stefan Küng kam er nicht vorbei. Der spannende Dreikampf zwischen Ganna, Küng und dem drittplatzierten Belgier Remco Evenepoel deutete schon auf den gewachsenen Stellenwert der erst 2016 für die Profiklassen geöffneten EM hin. Vor fünf Jahren war Peter Sagan die einzige Lichtgestalt in einem Feld von Talenten und Namenlosen. Sagan gewann 2016 Gold im Straßenrennen. »Gut möglich, dass meine Anwesenheit damals auch zur Entwicklung des Rennens beigetragen hat«, ließ Sagan anlässlich seiner diesjährigen EM-Rückkehr ein wenig gönnerhaft wissen.
Was immer auch die Gründe sein mögen, die Titelkämpfe gewinnen an Relevanz. »Man kann das Trikot des Europameisters zwar nicht mit dem Regenbogentrikot des Weltmeisters vergleichen. Aber immerhin trägt man es auch das gesamte nächste Jahr über«, meinte etwa Remo Evenepoel. Der Belgier verpasste im Zeitfahren nur knapp das blaue Leibchen mit den goldenen Europa-Sternchen. Er nahm Bronze aber als Positionsbestimmung vor den Weltmeisterschaften. »Ich weiß, dass ich hhier wieder mit den Besten mithalten kann. Das gibt mir Selbstvertrauen für das Straßenrennen am Sonntag und auch für die WM«, konstatierte er.
Für Evenepoel kommt diese EM gerade richtig. Denn das Olympiarenennen hatte er durch einen Verstoß gegen die belgische Teamtaktik komplett vergeigt. Er startete früher als geplant eine Attacke, wurde aber eingefangen und konnte im Finale seinem Kapitän Wout van Aert nicht mehr helfen. Viele Fans im Radsportland Belgien glauben, dass Evenepoels Egoismus die Ursache dafür war, dass Wout van Aert in Tokio am Ende statt der goldenen nur die Silbermedaille umgehängt wurde.
Evenepoel fiel nach Tokio in ein Loch. »Viele Zweifel kamen auf. Ich verkroch mich jetzt nicht weinend in eine Ecke, sondern arbeitete hart weiter. Aber die Ahnung überwog, dass ich zum Saisonende nicht mehr recht in Form kommen und auch die Emotionen bei EM und WM verpassen würde. Umso froher bin ich nun, meine Beine wiedergefunden zu haben«, meinte er in Trient.
Evenepoel hat bereits Erfahrung mit dem Doppel aus EM und WM. 2018 wurde er Titelträger bei den Junioren sowohl im Straßenrennen wie auch im Zeitfahren bei den kontinentalen Meisterschaften und wiederholte den Doppelcoup zwei Monate später bei den Welttitelkämpfen. 2021 ist der Zeitraum zwischen den Wettbewerben noch kürzer, die Vorbereitung auf die EM ist gleichzeitig eine für die WM. Und auch die Wettkampfstrecken mit ihrem Mix aus Anstiegen und flachen Abschnitten, in denen Druck gemacht werden kann, ähneln sich in ihrem Charakter. Klassikerspezialisten haben hier die besten Aussichten. Aber auch Rundfahrer mit Punch wie etwa Tadej Pogacar nehmen an der Jagd auf das EM-Sternenleibchen und das WM-Regenbogentrikot teil.
Der Slowene, unterstützt von nur vier Teamkollegen, wird sich vor allem mit dem starken belgischen Team um Evenepoel auseinandersetzen müssen. Italien hat keinen Star für den Parcours, aber ein ausgeglichenes Kollektiv um Ganna, Ex-Europameister Matteo Trentin und Landesmeister Sonny Colbrelli. Altstar Peter Sagan rechnet sich auf dem 180-Kilometer-Kurs am Sonntag ebenfalls Chancen aus. Die deutschen Hoffnungen zielen auf eine Top-10-Platzierung. Der erfahrene Simon Geschke soll die bergfesten und tempoharten Youngster Jonas Rutsch und Yannick Steimle gut ins Finale bringen.
Beim Rennen der Frauen an diesem Sonnabend sind - wie fast immer - die Niederlanderländerinnen favorisiert. Deutschland will mit Lisa Brennauer, EM-Bronzemedaillengewinnerin im Zeitfahren, dagegenhalten. Auch Italien ist als Team stark einzuschätzen. Besondere Aufmerksamkeit verdient Urska Zigart. Die Slowenin ist mit Pogacar liiert. Beide trainieren auch teilweise zusammen. Nimmt ihre Karriere Schwung auf, könnte der Radsport bald ein Vorzeigepaar haben.
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