Schwindende Baumvielfalt

30 bis 50 Prozent der Holzgewächsarten weltweit sind laut einer Studie vom Aussterben bedroht

  • Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit: Während auf der einen Seite Wälder vor allem in den Tropen auf Tausenden von Quadratkilometern der Brandrodung oder der Kettensäge zum Opfer fallen, erforschen Botaniker deren Artenreichtum, der mit jedem Tag schwindet. Vor allem die Baumarten sind betroffen: 30 bis 50 Prozent der weltweiten Arten stehen auf der Roten Liste und sind demnach vom Aussterben bedroht.

Ein kürzlich von Botanic Gardens Conservation International vorgelegter »Bericht zum Zustand der Bäume der Welt« zeigt, dass von den bisher 58 497 weltweit bekannten Baumarten 17 510, rund 30 Prozent, akut vom Aussterben bedroht sind. Weitere sieben Prozent stuft die von dem globalen Netzwerk botanischer Gärten und der Weltnaturschutzunion während der vergangenen fünf Jahre erarbeitete Studie als »möglicherweise bedroht« ein. Damit stehen mehr als doppelt so viele Baumarten auf der berüchtigten Roten Liste wie Säugetiere, Vögel, Amphibien und Reptilien zusammen. Lediglich 41,5 Prozent der bekannten Holzgewächse bewerten die Forscher als ungefährdet. 142 beschriebene Arten sind demnach bereits ausgestorben, und von mehr als 440 Baumarten gibt es nur noch weniger als 50 Exemplare in der freien Natur.

»In den letzten 300 Jahren ist die Waldfläche weltweit um etwa 40 Prozent zurückgegangen«, heißt es in dem Bericht. Der Verlust von Lebensräumen sei die größte Bedrohung, und die Landwirtschaft gefährde die meisten Baumarten. 29 Prozent der Holzgewächse seien durch die Flächenumwandlung für den Nutzpflanzenanbau bedroht.

»Die zweite große Bedrohung ist die direkte Ausbeutung, insbesondere für Holz, von der über 7400 Baumarten betroffen sind«, schreiben die Forscher. Durch Rodung zur Nutzholzgewinnung könnten weitere 27 Prozent der Baumarten für immer verschwinden.

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Im Länderranking des globalen Baumzustandsberichts ist Brasilien gleich zweifacher Weltmeister. Das größte Land Lateinamerikas hat nicht nur die vielfältigste Baumflora mit 8847 Baumarten, sondern auch die meisten endemischen Arten: 4226 der bis heute wissenschaftlich beschriebenen Holzgewächse kommen nur hier vor, das ist mehr als ein Viertel der endemischen Baumarten weltweit.

Allerdings steht Brasilien auch im Negativranking der bedrohten Baumarten weit oben, wird allerdings noch von Madagaskar, wo 1842 Arten auf der Roten Liste stehen, übertroffen. Der größten afrikanischen Tropeninsel macht vor allem der Tropenholzhunger Chinas zu schaffen. Der zunehmende Wohlstand in der Volksrepublik habe zu einer intensiven Ausbeutung von Tropenhölzern geführt, berichten die Forscher. »Madagassische Arten von Diospyros und Dalbergia wurden rücksichtslos ausgebeutet, um den chinesischen Markt zu beliefern.«

Obwohl die Abholzungszahlen im Amazonas-Regenwald weiter dramatisch sind, finden sich die meisten bedrohten Baumarten Brasiliens anderswo: im Atlantischen Regenwald, einem Hotspot der Artenvielfalt. Er ist eines der an endemischen Baumarten reichsten Ökosysteme der Welt. Ein Hektar Atlantischer Regenwald könne bis zu 450 unterschiedliche Baumarten beherbergen, stellten Botaniker fest. Doch von seiner ursprünglichen Ausdehnung von rund 1,3 Millionen Quadratkilometern von Nordargentinien bis Nordostbrasilien sind bereits etwa 90 Prozent vernichtet, der Rest ist fragmentiert.

Das einzigartige und noch lange nicht vollständig erforschte Waldökosystem ist zwar seit 1998 in Brasilien als nationales Kulturerbe streng geschützt, doch die Realität ist eine andere. Wer auch immer hier Regenwald abholzen will, sei es für eine neue Ferienwohnsiedlung an Rio de Janeiros grüner Küste, für die eigene Urwald-Villa mit Golfrasen oder zur Ausweitung von Monokulturen, findet bis heute legale oder illegale Mittel und Wege dazu. Für Waldfrevel gibt es in Brasilien lediglich minimale Geldstrafen, die oft nicht mal bezahlt werden. Hinzu kommen der staatlich vorangetriebene Ausbau des Straßennetzes, die Errichtung von Staudämmen und die unkontrollierte Ausbreitung der Städte in der Region.

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Jüngsten Daten zufolge hat die Vernichtung des Atlantischen Regenwaldes in diesem Jahr sogar wieder zugelegt. Das brasilianische Weltraumforschungsinstitut INPE registrierte anhand von Satellitenaufnahmen in der Region zwischen 1. Januar und 23. August 10 634 größere Brandherde, fast zehn Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Insgesamt verbrannten allein in diesem Zeitraum 7746 Quadratkilometer dieses einzigartigen Waldökosystems. Wie viele Baumarten hier noch zu entdecken sind, ist ungewiss. Nur eines ist sicher: Mit jedem Waldbrand werden es weniger.

»Leider sehen viele Menschen Bäume nach wie vor hauptsächlich als Holzquelle an, die einer nicht nachhaltigen und wachsenden Nachfrage ausgesetzt ist«, resümiert der Bericht. Dies führe zusammen mit destruktiven landwirtschaftlichen Praktiken zum Verschwinden von Wäldern auf der ganzen Welt sowie zum Ersatz »nicht produktiver« natürlicher Baumarten durch schnell wachsende, industrialisierte Sorten und damit zur Verarmung der Baumvielfalt. Durch Wiederaufforstungsmaßnahmen bestehe zwar eine große Chance, dieses düstere Bild zu ändern, aber die Baumpflanzpraktiken müssten sich weitgehend ändern. Wälder könnten sich auf natürliche Weise regenerieren - dafür muss man ihnen aber Zeit zum Ausruhen geben.

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