Die Zeichen stehen auf Steuererhöhungen für Reiche – die Frage ist wieviel

US-Demokraten wollen die Abgaben für Vermögende und Unternehmen erhöhen – Lobbyisten machen dagegen mobil

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Bernie Sanders und Ron Klain klingen dieser Tage so, als würden sie vom gleichen Skript ablesen. »Wir werden die Obszönität beenden, dass einige dieser Großkonzerne keinen Cent Steuern zahlen«, erklärte der demokratische Sozialist auf einer Kundgebung. »Es gibt 55 Großkonzerne, die überhaupt keine Steuern gezahlt haben«, so der Stabschef des Weißen Hauses gegenüber dem Fernsehsender CNN. Beide trommeln seit Tagen für das, was im Steuersenkerland-USA eine kleine Revolution wäre. Die Demokraten in den USA versuchen sich gerade an etwas, das laut Umfragen über Parteigrenzen hinweg bei den Wähler*innen populär ist: die Steuern auf Großkonzerne und für Reiche zu erhöhen. Doch die Steuervorschläge wurden unter dem Druck von Lobbyisten bereits abgeschwächt.

Am Montag haben die Demokraten einen Gesetzesentwurf vorgestellt, wie sie die Ausgaben zur Sanierung der Infrastruktur und zum Sozialstaatsausbau von bis zu 3500 Milliarden Dollar verteilt über zehn Jahre finanzieren wollen – das Herzstück der Agenda des demokratischen Präsidenten Joe Biden. Ein oft wiederholtes Kernversprechen von Biden ist dabei, keine Steuererhöhungen für Menschen mit Jahreseinkommen von unter 400.000 Dollar beschließen zu wollen. Der Spitzensteuersatz für US-Amerikaner*innen über dieser Marke soll in Zukunft von aktuell 37 Prozent auf 39,6 Prozent steigen. Er soll auch für Paare mit Jahreseinkommen ab 450.000 Dollar gelten.

Außerdem soll für Top-Verdiener mit Einkommen über fünf Millionen Dollar ein zusätzlicher Steueraufschlag von drei Prozentpunkten hinzukommen – ein Schritt, der laut Beobachtern in Washington vor allem eine Geste an den linken Parteiflügel ist. Der Spitzensteuersatz für Unternehmen mit über fünf Millionen Dollar Umsatz soll von aktuell 21 auf 26,5 Prozent steigen. Joe Biden hatte sich bei Vorstellung seines Pakets im März für eine Steigerung auf 28 Prozent ausgesprochen – was immer noch unter dem Spitzensteuersatz von 35 Prozent liegt, der vor 2017 galt. Konservative Demokraten-Abgeordnete hatten die Zahl 25 ins Spiel gebracht.

Zudem soll die Mindeststeuer für Auslandsgewinne der Konzerne von aktuell 10,5 Prozent auf 16,5 Prozent angehoben werden. Biden hatte sich 21 Prozent gewünscht. Zudem soll das Verschieben von Unternehmensgewinnen in Steueroasen erschwert werden. Die Kapitalertragssteuer auf Aktiengewinne soll von 20 auf 25 Prozent angehoben werden, ebenfalls etwas weniger als Biden vorgeschlagen hatte. Schließlich soll die Senioren-Krankenversicherung in Zukunft Medikamente nicht mehr nur einfach von Pharma-Firmen einkaufen, sondern mit diesen direkt über die Preise dazu verhandeln, was Einsparungen in Höhe von 700 Milliarden Dollar entsprechen soll.

Die US-Steuerbehörde Internal Revenue Service soll zudem nach Jahren des Personalabbaus in den nächsten zehn Jahren rund 80 Milliarden Dollar erhalten, um mehr Steuerprüfer einstellen und damit auch die Steuererklärungen von den Wohlhabenden in den USA umfassender prüfen und gegen ihre Steueranwälte in Untersuchungen und Prozessen bestehen zu können. Laut einer aktuellen Schätzung des US-Finanzministeriums zahlen die Reichsten im Land pro Jahr rund 160 Milliarden Dollar weniger Steuern als es die Steuersätze erfordern würden.

Insgesamt wollen die Demokraten so die nächsten zehn Jahre rund 2900 Milliarden Dollar Mehreinnahmen für den Staat generieren, darin enthalten sind allerdings auch 700 Milliarden Einnahmen aus erwartetem Wirtschaftswachstum, welches das Infrastrukturpaket auslösen soll. Trotzdem kann die Partei so glaubwürdig behaupten, die Ausgaben für das Großprojekt seien gedeckt.

Repräsentantenhaussprecherin Nancy Pelosi hat den verschiedenen Ausschüssen bis Mittwoch Zeit gegeben, die Gesetzesvorlagen zu Finanzierung und Ausgestaltung der zahlreichen Maßnahmen zu erstellen, die dann zu dem Mammut-Paket mit vermutlich mehreren Tausend Seiten Gesetzestext zusammengefasst werden. Ende September sollen sie zusammen mit einem bereits im August abschließend parteiübergreifend mit den Republikanern ausgehandelten Infrastruktur-Paket, das mehr »klassische« Infrastruktur und die Instandsetzung von Straßen und Brücken behandelt, beschlossen werden.

Hinter den Kulissen machen derweil Unternehmerlobbyisten wie die des Unternehmerverbandes US Chamber of Commerce mobil gegen die Steuererhöhungen, versuchen die Regelungen in ihrem Sinne weiter abzuschwächen oder gar ganz zu beerdigen. Sie wiederholen die alte Propaganda-Erzählung, die Steuererhöhungen würde die Inhaber von Kleingeschäften und Familienbauernhöfen treffen. Mit dabei sind auch ehemalige Top-Demokraten wie die Ex-Senatorin von North Dakota Heidi Heitkamp, die so unter anderem gegen eine Reform der Erbschaftssteuer mobil macht.

Auch der konservative Demokrat Joe Manchin bremst. Der Demokrat aus West Virginia, der jahrelang üppig von den Kursgewinnen seiner Kohlestrom-Aktien profitiert hat und dessen Tochter als Geschäftsführerin einer Pharma-Firma in eine drastische Preissteigerung für ein Epilepsie-Medikament verwickelt war, hatte vor Kurzem in einem Zeitungsartikel eine »Pause« gefordert und fällt mit lauter Rhetorik gegen die seiner Ansicht nach zu hohen Ausgaben für Bidens Agenda auf.

In Reaktion darauf hat Chuck Schumer, Mehrheitsführer im US-Senat, jedoch erklärt, man werde mit »vollem Tempo« an der Verabschiedung des Infrastrukturpakets weiterarbeiten. Er stellt sich damit an die Seite von Sanders. Der und Parteilinke bei den Demokraten fordern in Reaktion auf Manchins Äußerungen, dieser solle konkret erklären, welche der geplanten Sozialprogramme – das erhöhte Kindergeld, die Einführung von Kita-Betreuung, ein beitragsloses Studium an Community Colleges oder Mittel für die Altenpflege – er denn kürzen wolle. Die Parteilinken spekulieren, dass Manchin nur blufft, beziehungsweise Medienberichterstattung generieren will, mit der er sich später in seinem Heimatstaat als vorsichtiger Bedenkenträger inszenieren kann.

Ob Manchin ähnlich wie bei den Verhandlungen um das Hilfspaket gegen die Coronakrise im März letztlich weitgehend nachgibt und sich mit einer symbolischen Kürzung der Kosten des Gesetzespaketes um einige hundert Millionen zufrieden gibt, wird sich zeigen. Der konservative Kongressabgeordnete Jim Clyburn hat schon 2500 Milliarden Dollar als Kompromiss vorgeschlagen. Für Bernie Sanders hingegen ist das »nicht akzeptabel«. Wie andere Parteilinke stellt er ebenfalls wie Joe Manchin in Aussicht, beide Infrastruktur-Pakete der Demokraten im Parlament, wo Demokraten-Führer Chuck Schumer jede Demokraten-Stimme braucht, scheitern zu lassen. Doch gegenüber CNN erklärte er auch: »Ich denke wir werden uns einigen.«

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