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Lebensgefährliche Verfolgungsjagd

Brutaler Neonazi-Angriff auf Reporter: Vor dem Landgericht Mühlhausen stellen Verteidiger Beschuldigte weiter als Opfer dar

  • Joachim F. Tornau, Mühlhausen
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Mann auf dem Zeugenstuhl möchte am liebsten gar nichts sagen. Dann redet er doch, widerstrebend. Als es aber um ein Gespräch geht, das er mit dem Neonazi-Führer Thorsten Heise geführt hat, da will er wieder gar nichts mehr wissen. Der 35-Jährige lebt in Fretterode, einem Dorf in Westthüringen, in dem sich auch der mächtige Kameradschaftschef und Vizevorsitzende der NPD angesiedelt hat. Und wo am 29. April 2018 jenes Geschehen seinen Ausgang nahm, das derzeit vor dem Landgericht in Mühlhausen verhandelt wird.

Laut Anklage sollen Nordulf H. und Gianluca B. zwei Journalisten brutal angegriffen haben, die das Heise’sche Anwesen beobachtet und Fotos gemacht hatten. Erst sollen sie sie mit dem Auto gejagt, dann mit Schraubenschlüssel, Baseballschläger und Messer schwer verletzt und ihnen schließlich die Kameraausrüstung geraubt haben.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Der Mann, der am Dienstag so offensichtlich ungern als Zeuge aussagt, hat die Verfolgungsjagd beobachtet. Sein Auto wurde vom Wagen der Journalisten touchiert, als sie rückwärtsfahrend vor dem mit einem riesigen Schraubenschlüssel bewaffneten Nordulf H. flüchteten. Über diese »Unfallflucht« redet der Zeuge – über seine Begegnung mit Thorsten Heise kurze Zeit später nicht.

Bei der Polizei war er noch offenherziger gewesen. Da hatte er erzählt, wie ihm Heise damals nahegelegt habe, gegenüber den Ermittlern die Verfolgung zu verschweigen. Eine Aussage, die er jetzt partout nicht wiederholen will. »Sie machen den Eindruck eines Menschen, der Angst hat«, befindet Oberstaatsanwalt Ulf Walther. »Hat sie jemand unter Druck gesetzt?« – »Nein«, antwortet der Zeuge knapp.

Auffällige Erinnerungslücken hat auch sein Nachbar. Aber so viel immerhin weiß der 38-Jährige noch: »Sehr zügig« seien die beiden Autos bei der Verfolgung hintereinander hergefahren, ohne allzu großen Abstand. »Laut Straßenverkehrsordnung sind die nicht gefahren.« Eben das hatten die Angeklagten jedoch beteuert, als sie beim Prozessauftakt auf Gedeih und Verderb den Eindruck rechtschaffener Bürger vermitteln wollten.

Niemals, hatten sie erklärt, sei es ihnen um Gewalt gegangen, sondern immer nur um das Feststellen des Autokennzeichens. Damit sie ihr Recht am eigenen Bild durchsetzen könnten. Später, mit Hilfe der Polizei. Schon mit dem wenigen, was die beiden Fretteröder Zeugen sagen, lassen sich diese Behauptungen schwer in Einklang bringen.

Noch stärker erschüttert aber werden sie an diesem vierten Verhandlungstag durch den Bericht eines Mannes, der am Tattag mit dem Rennrad auf derselben Strecke unterwegs gewesen war wie die beiden Journalisten und ihre rechtsextremen Verfolger. Von einer lebensgefährlichen Verfolgungsjagd mit »extrem erhöhter Geschwindigkeit« spricht der 42-Jährige. »Das war direkt Stoßstange an Stoßstange. Motorlärm. Quietschende Reifen.«

Als er dann zum Ort der eigentlichen Auseinandersetzung kam, habe er ein zerstörtes Fahrzeug und einen auf dem Boden hockenden, blutüberströmten Mann gesehen, so der Zeuge. Das »Verfolgerauto« dagegen sei fluchtartig weggefahren – und hätte ihn um ein Haar überfahren. Auch das passt eher nicht zur Darstellung der Neonazis, sie hätten sich nur gegen Angriffe ihrer Widersacher verteidigt.

Von der Verteidigung werden die Augenzeugen gleichwohl fast gar nicht ins Verhör genommen. Auch am Montag, als sie die beiden betroffenen Journalisten befragen konnten, hatten sich die Szene-Anwälte Wolfram Nahrath und Klaus Kunze bemerkenswert zurückgehalten und keine ernsthaften Versuche unternommen, die Glaubwürdigkeit dieser wichtigsten Belastungszeugen zu erschüttern.

Denn ihre Strategie, das unterstreicht ein Beweisantrag, den Kunze am Dienstag stellt, ist ohnehin eine andere: Sie wollen die Opfer zu Tätern machen. »Die Nebenkläger sind Teil einer Vereinigung, deren Ziel es ist, Anschläge auf Personen und Sachen zu begehen«, behauptet Kunze. Beweisen könne er das zwar nicht. Aber man wisse ja, dass es »linksextreme Terrorzellen« gebe, die miteinander vernetzt seien und arbeitsteilig vorgingen. Und Menschen wie die beiden Journalisten seien da halt fürs »Ausspähen« zuständig.

Nach dem Willen Kunzes soll deshalb ein Beamter des sächsischen Landeskriminalamts dem Gericht erklären, wie linke Gewalt funktioniere. Die Strafkammer hatte indes bereits am Vortag deutlich gemacht, dass sie keinen Zweifel am Journalistenstatus der beiden Nebenkläger hegt. Dafür, hieß es in einem Gerichtsbeschluss, gebe es hinreichende Belege.

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