Am Ufer der Verdrängung

Die Aufwertung der Rummelsburger Bucht in Berlin wird konkret - mit als Letztes müssen zwei Wagenplätze weichen

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 7 Min.

An der Rummelsburger Bucht drehen sich die Baukräne. Hinter dem Ostkreuz haben die ersten Bauarbeiten an einem der umstrittensten Stadtentwicklungsprojekte begonnen. Hier werden sich künftig vor allem Bewohner von Luxuswohnungen, Büroangestellte und Touristen den Spreeblick teilen. Bis es so weit ist, werden auch die zwei verbliebenen Wagenplätze an der Bucht weichen müssen. Ihren Bewohnern ist die Resignation deutlich anzumerken. »Spätestens Dezember ist hier Schluss«, sagen zwei vom queeren Wagenkollektiv Mollies, die sich Tina und Toto nennen. Wohin es dann geht, wissen sie nicht.

Seit fünf Jahren stehen die Mollies hier. Zusammen mit der Wagenkunst Rummelsburger Bucht sind sie Untermieter auf Grundstücken, die dem berüchtigten Immobilieninvestor Gijora Padovicz gehören. Padovicz will an der Rummelsburger Bucht Neubauten errichten, fünf Bauanträge liegen dem Bezirk Lichtenberg mittlerweile vor. Zwei Altbauten an der Hauptstraße wurden deswegen entmietet und sollen abgerissen werden. Mit dem Ende der Saison schließt dann auch der Biergarten des Veranstaltungsortes Rummelsbucht, der Hauptmieter der Flächen ist, auf denen die Bauwagen stehen.

»Wir haben 200 Grundstücke ausfindig gemacht. Aus unterschiedlichen Gründen wurden wir überall abgewiesen«, zeigen sich Tina und Toto ernüchtert. Dass die Suche so schwer ist, hat viele Gründe. Durch den gestiegenen Verwertungsdruck gibt es immer weniger infrage kommende Flächen in der Stadt. Hinzu kommt ein kaum vorhandenes Interesse in der Politik. Oder wie Martin Schaefer, der Lichtenberger CDU-Bezirksstadtrat für Öffentliche Ordnung, laut Toto und Tina im Gespräch mit den Mollies gesagt haben soll: »Was erwarten Sie? Sie haben keine gesellschaftliche Relevanz.«

Hendrikje Klein sieht das anders. »Wagenplätze gehören zu Berlin«, so die für Die Linke in ihrem Lichtenberger Wahlkreis direkt ins Abgeordnetenhaus gewählte Politikerin. Vor fünf Jahren, »als es mit der Bucht zu Ende ging«, sei sie in das Thema Wagenplätze eingestiegen. 2016, das war das Jahr, in dem der rot-schwarze Senat kurz vor seiner Abwahl die Grundstücke der Bucht unter Marktwert an private Investoren verkaufte. Zu Ende ging es dann erst richtig, als 2019 die Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung unter großem Protest einen Bebauungsplan für das Gebiet verabschiedete, der den Weg frei machte für Luxuswohnungen und das Riesenaquarium Coral World. Anwohner demonstrierten, eine Volksinitiative sammelte Unterschriften, und ein alternativer Bebauungsplan, der sich an den Bedürfnissen der Stadtgesellschaft orientierte, wurde vorgelegt. Nichts half. Die Politik sprach von Alternativlosigkeit, hohen Entschädigungszahlungen, die ein Rücktritt von den Kaufverträgen bedeutet hätte, und einem nicht infrage kommenden Neustart eines schon lange dauernden Verfahrens.

Die Luft ist raus

Auf der Suche nach Ersatzflächen für die Wagenplätze hat sich Hendrikje Klein unter anderem für eine Abfrage im Register der BIM eingesetzt, des Immobiliendienstleisters des Landes. Doch wurden dabei vor allem Grundstücke am Stadtrand gefunden. »Das ist für die Mollies keine Option, weil dieser Wagenplatz auch ein Schutzraum für queere Menschen ist und die Bewohner schlichtweg Angst vor Übergriffen haben, wenn sie so weit außerhalb leben«, erklärt die Linke-Abgeordnete. Gerade hat sie noch eine Fläche in Marzahn im Auge und will die Hoffnung nicht aufgeben. Sie sagt aber auch: »Wir waren mehrmals schon an dem Punkt, wo es fast geklappt hätte, dann aber doch nichts daraus wurde. Nach den vielen Absagen ist auch bei den Bewohnern der Wagenplätze die Luft raus.«

Eine Chance, dass die Wagenplätze doch noch an der Bucht bleiben können, gebe es nicht. »Die Hoffnung stirbt zuletzt - hier ist sie aber schon weg«, so Klein. Die Gegner der Aufwertung an der Spreebucht hatten ursprünglich in ihrem alternativen Bebauungsplan Platz für alternative Wohnformen und explizit auch Wagenplätze vorgeschlagen. Nach der Verabschiedung des investorenfreundlichen Bebauungsplans bleibt ihnen als letzte Hoffnung nur noch der Rechtsweg.

Bereits im vergangenen Jahr strengten die Naturfreunde Berlin ein Normenkontrollverfahren am Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg an. Seit April versuchen sie darüber hinaus mit einem Eilverfahren den Vollzug des Bebauungsplans auszusetzen. Angriffspunkt ist das Aquarium Coral World. Im Eilantrag heißt es, dass der Bebauungsplan eine öffentliche Parkfläche festsetzt, »während das Land Berlin zuvor einen Vertrag mit dem Investor geschlossen hatte, in dem ihm eine Überbauung eines großen Teils der als öffentliche Parkanlage ausgewiesenen Fläche mit einer Biergartenterrasse und einem Wassergarten« zugestanden wird.

Für das Gericht ist eigentlich geboten, über den Eilantrag zu entscheiden, bevor vom Bezirk eine Baugenehmigung erteilt wird. Seit Ende Mai liegt nun ein Bauantrag für das Aquarium vor.

59 Quadratmeter für 748 000 Euro

Doch das Gericht hat das Eilverfahren noch nicht behandelt. Der Anwalt der Bebauungsplan-Gegner hat dafür kein Verständnis. »Es ist weder gewöhnlich noch grundrechtskonform«, sagt Karsten Sommer. Das Nichthandeln des Oberverwaltungsgerichts würde den grundgesetzlich verankerten effektiven Rechtsschutz gefährden, so der renommierte Verwaltungsjurist. Bei der Initiative Bucht für alle führt das zu wilden Spekulationen. »Manch eine*r fragt sich derzeit, ob es dabei einen politischen Einfluss gibt«, so einer der Aktivisten. Allerdings lassen die Aktivitäten des Gerichts vermuten, dass in den nächsten Wochen ein erstes Urteil zu erwarten ist.

Nicht das Einzige, was der Initiative aufstößt. Teil des Bauantrags von Coral World ist neben dem Aquarium nun auch ein Hotel. »Für das Hotel wurde eine Geschossfläche von 7531 Quadratmetern auf sieben Geschosse verteilt beantragt«, bestätigt Baustadtrat Kevin Hönicke (SPD). Und für ein Baufeld, auf dem die Groth-Gruppe zusammen mit der Eigentümerin Investa 71 Wohnungen plant, sollen nun lediglich elf geförderte Wohnungen entstehen, sechs weniger als 2019 zwischen Senat und Bauträger in einem rechtlich nicht bindenden Letter of Intent (LoI) angedacht. »Auch wenn es sich mit sechs Wohnungen nur um eine geringe Abweichung von den LoI-Vereinbarungen handelt, ändert das nichts an der Auffassung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, dass Vereinbarungen im Sinne eines Vertrauensschutzes auch dann einzuhalten sind, wenn dazu keine rechtliche Verpflichtung besteht«, heißt es kleinlaut aus der Senatsverwaltung.

Hinzu kommt, dass auf einem Grundstück der Investa im Rahmen des Projekts My Bay auch 60 Eigentumswohnungen entstehen. Viele davon sind bereits reserviert. Das »günstigste« noch verfügbare Angebot ist eine rund 59 Quadratmeter große Wohnung für 748 000 Euro. Noch 2019 erklärte der Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke), dass der Bau von Eigentumswohnungen nicht vorgesehen sei. Auch der Bau der Sozialwohnungen war ein von der ehemaligen Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) und ihrer Partei in Lichtenberg genutztes Argument für die Zustimmung zum Bebauungsplan, betont die Initiative Bucht für alle.

Zwar wird auch Padovicz 30 mietpreisgebundene Wohnungen als Ersatz für die zum Abriss bestimmten Altbauten an der Hauptstraße bauen müssen, da dies Teil des Kaufvertrags beziehungsweise der geschlossenen Abwendungsvereinbarung ist. Doch der Großteil der leistbaren Wohnungen an der Bucht wird von der landeseigenen Howoge kommen. Sie bauen neben einer Kita 169 Wohnungen, von denen 85 zu Einstiegsmieten ab 6,50 Euro pro Quadratmeter angeboten werden. »Insbesondere in dieser Lage werden bezahlbarer Wohnraum und soziale Infrastruktur dringend benötigt«, sagte Howoge-Geschäftsführer Ulrich Schiller zum Baustart diese Woche.

Stadtrat Hönicke stets zu Diensten

Angesichts der Aufwertung der Spreebucht bleibt das aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn die Liste der Verdrängten ist lang. Da sind die Bewohner der Altbauten. Anfang Februar löste der Bezirk darüber hinaus das Obdachlosen-Camp an der Kynaststraße auf. Stadtrat Hönicke war damals vor Ort und erklärte Journalisten beflissen, dass dies eine Maßnahme zum Schutz vor dem bevorstehenden Kälteeinbruch sei. Doch Mails, die der Lichtenberger Baustadtrat während der Aktion mit dem Architekturbüro des Aquariums austauschte und die der »Tagesspiegel« einsehen konnte, hinterlassen einen anderen Eindruck. »Den Zustand, den Sie haben wollten, haben wir heute Nacht hergestellt. Ich erwarte jetzt unmittelbares und unverzügliches Handeln!«, wird aus einer Mail von Hönicke an das Büro zitiert.

Zu den Bewohnern der Altbauten, jenen des aufgelösten Obdachlosen-Camps und vielen anderen kommen Ende des Jahres auch die der zwei Wagenplätze. Doch damit wird die Verdrängung nicht enden. In den angrenzenden Kiezen werde der erhöhte Entwicklungsdruck durch den Lückenschluss an der Bucht langfristig auch seine Opfer fordern, befürchtet die Initiative Bucht für alle. Bestes Beispiel sei der Kulturstandort »Zukunft am Ostkreuz«, dessen Mietvertrag nächstes Frühjahr ausläuft. »Alles in allem ist der Bebauungsplan Ostkreuz und der Ausverkauf von landeseigenen Liegenschaften in der Rummelsburger Bucht für ganz Berlin und den Zusammenhalt in der Stadt ein riesengroßer Fail der Regierungsparteien«, fasst es die Initiative zusammen.

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