• Politik
  • Coronakrise und Geflüchtete

Im Quarantäneknast

Studie zur Lage von Geflüchteten in Corona-Zeiten veröffentlicht

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.
Wie geht es Geflüchteten in Erstaufnahmeeinrichtungen und anderen Sammelunterkünften unter den Bedingungen der Corona-Pandemie? Das wollte der Kieler Sozialwissenschaftler Nikolai Huke herausfinden. Er befragte von Oktober 2020 bis Februar 2021 Bewohner von Häusern in Bayern, Brandenburg, Hessen, Thüringen, Bremen, Hamburg und Niedersachsen. Jetzt hat die Hilfsorganisation Pro Asyl die Ergebnisse in einer 62-seitigen Broschüre mit dem Titel »Bedeutet unser Leben nichts?« veröffentlicht.

Die Interviews mit den Geflüchteten zeigten auf berührende Weise die kleinen und großen Herausforderungen »von Lärm und Enge bis hin zu gesellschaftlicher Isolation, Armut und verweigerter medizinischer Hilfe, von alltäglichen Demütigungen bis hin zu Bedrohungen und Gewalt«, schreibt Andrea Kothen von Pro Asyl im Vorwort.

Dabei geht es nicht nur um die besondere Situation unter Corona-Bedingungen. Viele Befragte berichteten über ihre Ankunft in Deutschland und die verstörende Erfahrung, dass sie in Massenunterkünfte oft außerhalb der Städte gebracht wurden. »Von Anfang an fühlte es sich an, als sei etwas falsch. Das ist wie ein Gefängnis oder ein Krankenhaus«, sagt eine Interviewpartnerin aus einer Bremer Unterkunft. Und ein Mann, der aus einem Bürgerkriegsland floh, schildert seine Eindrücke im thüringischen Erstaufnahmelager Suhl. »Das erste, was ich gehört habe, war Schießerei. In Suhl befindet sich der größte Schießplatz von ganz Deutschland. Ich bin in Panik geraten, denn ich hatte zwei Jahre ruhig ohne dieses Geräusch gelebt und da war es plötzlich wieder ziemlich laut.«
Viele Befragte kritisieren die fehlende Privatsphäre und die Enge in den Erstaufnahmelagern. »Ich konnte nicht schlafen und hatte jeden Tagen Migräne und konstante Kopfschmerzen«, berichtet eine Frau.

Beschwerden über Lärm führten zu Konflikten unter den Bewohnern, aber auch mit dem Sicherheitsdienst. Weil in einigen Unterkünften die Zimmer nicht abschließbar sind, stellten einige Bewohner nachts einen Schrank vor die Tür, weil sie Angst vor den Mitarbeitern es jeweiligen Sicherheitsdienstes hatten. Geldmangel und die isolierte Lage der Einrichtungen machten den Bewohnern zusätzliche zu schaffen.

Unter Corona-Bedingungen wurden für viele die Lebensumstände noch unerträglicher. Besonders verschärft hat sich die Situation für die Migranten, die wegen Corona-Verdacht in den Einrichtungen mehrere Wochen in Quarantäne bleiben mussten. »Die Infektionsgefahr für diejenigen, die noch nicht an Corona erkrankt waren, wurde durch die Quarantäneanordnungen teilweise eher erhöht als reduziert«, schreibt Huke. Betroffene berichteten, dass durch die Quarantäne teilweise alle Bewohner Erkrankungssymptome zeigten. Mehrere Interviewpartner waren bis zu einem Monat in Quarantäne und durften täglich nur zehn Minuten unter Aufsicht an die frische Luft.

Eine zusätzliche Belastung war die Schließung vieler Büros während der Pandemie. Das führte in einer Unterkunft dazu, dass die Bewohner kein Waschmittel mehr bekamen. Huke fordert das, was Organisationen wie Pro Asyl seit langem verlangen: Geflüchtete sollten in Wohnungen statt in Sammelunterkünften untergebracht werden, eine angemessene medizinische Versorgung müsse für alle gewährleistet sein. Es gehe um einen menschenwürdigen Umgang, der oft nicht gegeben sei. Die Studie sei auch deshalb wichtig, weil Unterstützern der Zugang zu den Einrichtungen oft verwehrt sei, betonte Andrea Kothen von Pro Asyl. Hier bekämen Menschen eine Stimme, die oft nur als Aktenzeichen behandelt werden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.