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Keine Plakate im Flutgebiet

An der Erft in Nordrhein-Westfalen beseitigen Anwohner noch immer Hochwasserschäden. Wahlkampf ist hier Nebensache

Eine gute halbe Stunde fährt der Bus von Euskirchen nach Bad Münstereifel. Das Städtchen liegt am Fuße des Ahrgebirges, das auf der Fahrt wie ein großer grüner Wall erscheint. Was dagegen nicht zu sehen ist und die von der Flut im Juli betroffenen Region vom Rest der Republik unterscheidet, sind Wahlplakate. Nirgendwo hängen Olaf Scholz, Armin Laschet und Annalena Baerbock. Auch Christian Lindner verkündet hier nicht: »Nie gab es mehr zu tun.« Nirgendwo sind die sonst üblichen Versprechen für mehr Gerechtigkeit, Klimaschutz und Sicherheit zu sehen.

Die Menschen in Orten wie Bad Münstereifel haben gerade keinen Kopf für den klassischen Wahlkampf, das ist leicht zu ahnen, wenn man die Altstadt sieht. Die Erft schlängelt sich hier eigentlich als beschaulicher Fluss zwischen den Fachwerkhäusern entlang. Kleine, alte Brücken laden dazu ein, die Seiten zu wechseln. An beiden Flussufern gibt es gemütliche Cafés und Restaurants. Zumindest war es so vor der Flut. Auch zwei Monate nach dem Hochwasser stehen viele Brücken nur als Fragmente, die Geschäfte und Cafés sind zumeist im Rohbauzustand, und aus vielen Häusern ist das Brummen von Bautrocknern zu hören. Straßen sind aufgerissen; Strom- und Telefon- sowie Gas- und Wasserleitungen sollen möglichst zügig erneuert werden.

Ein junger Mann, der mit einer Schubkarre voll Schutt aus einem Geschäft an der Wertherstraße kommt und den Schutt in einen Container wuchtet, winkt auf den Wahlkampf angesprochen gleich ab. Er zündet sich eine Zigarette an und kommt doch ins Erzählen. Kurz nach der Flut seien alle da gewesen. Jetzt aber sei das Interesse nur noch gering. »Von Deinen Kollegen kommt auch keiner mehr«, sagt er und meint das nachgelassene Interesse an einer Berichterstattung aus den Hochwassergebieten. Auf Wahlplakate könne er gut verzichten. Auch dass keine Partei in der Stadt mit einem Infostand »im Weg steht« und Kugelschreiber verteilt, findet er gut. Aber wie sich die Parteien konkret für den Wiederaufbau einsetzen, was sie tun wollen, um die Auswirkungen »der nächsten Flut« zu verringern, das würde er gerne wissen. Dazu »sagen die zu wenig«, meint er. Ob er sich aktiv informiert? »Na ja«, entgegnet er. Auf Facebook habe er bei »zwei, drei Leuten, die infrage kommen«, mal geschaut. Überzeugt habe ihn das aber nicht. Seine Zigarette ist aufgeraucht. Er geht zurück an die Arbeit.

Die Stimmung in Bad Münstereifel ist eine andere als im Ahrtal, ein paar Kilometer weiter südlich. Dort sind viele Menschen wütend auf den CDU-Landrat Jürgen Pföhler, weil er am Flutabend die Leitung des Krisenstabs aufgegeben hatte. Auch dass er sich kürzlich dienstunfähig erklärt hat, kam nicht gut an. Ganz im Süden von Nordrhein-Westfalen dagegen, im Kreis Euskirchen, ist der Unmut auf die Politik nicht so deutlich zu spüren. Es gibt zwar eine Unzufriedenheit, aber keine Stimmung gegen die Führung der Städte und des Landkreises. Bei Bundestagswahlen hat die CDU den Wahlkreis bisher immer gewonnen, und nach einer Wechselstimmung sieht es auch jetzt nicht aus.

Dass es kein großes Interesse am Wahlkampf gibt, kann Stefan Söhngen verstehen. Der 24-Jährige aus Brühl tritt als Direktkandidat für Die Linke im Wahlkreis 92 an. Der umfasst den südlichen Rhein-Erft-Kreis und den gesamten Landkreis Euskirchen, wo bei der Flutkatastrophe 27 Menschen gestorben sind. Söhngen erzählt, viele Leute aus den stark betroffenen Gebieten seien skeptisch und hätten »keine Lust mehr auf Politik«, weil sie einfach enttäuscht seien. Viele verstünden in »ihrer Wut« nicht, dass die Linkspartei in der Opposition ist und »schon vor der Flutkatastrophe vieles gerne geändert hätte«. Söhngen kann diese Reaktion nachvollziehen. Das sei »normal, wenn man gerade alles verloren hat«. Er zieht einen Vergleich zur Hartz-IV-Beratung, die von der Partei auch gemacht wird. Wichtig sei es, zuzuhören und versuchen, den Leuten konkret zu helfen, etwa wenn sie mit einem Antragsformular Schwierigkeiten haben.

An einen normalen Wahlkampf sei gerade aber nicht zu denken, erzählt er. Es sei »unangemessen«, gerade in Orten wie Euskirchen oder Bad Münstereifel »klassischen Straßenwahlkampf« zu machen. Auf seine Partei seien in den vergangenen Wochen ohnehin Aufgaben in der Fluthilfe zugekommen. Die Geschäftsstelle des Kreisverbands in Erftstadt habe als Anlaufpunkt der Helfende gedient. »Wir haben da wochenlang täglich Essen für die Helfenden gekocht.« Diese direkte Unterstützung sei gut angekommen. Spenden seien gesammelt und verteilt worden, dabei sei man natürlich auch mit Menschen ins Gespräch gekommen. Aber offensiv als Partei aufzutreten hält er für »schwierig«.

Stefan Söhngen stört allerdings, dass mehrere Podiumsdiskussionen mit den Direktkandidaten in den letzten Wochen abgesagt worden sind. Er findet nämlich durchaus, dass die Flut politisiert werden sollte. Das sieht er als Aufgabe für die nächste Legislatur an. Er nennt zahlreiche Mängel beim Hochwasser- und Katastrophenschutz und sieht eine »extreme Unterfinanzierung« der Kommunen als eine zentrale Ursache für die derzeitigen Probleme.

Eine praktische Konsequenz der Linkspartei aus der Flut ist, dass sie Teile ihres Wahlkampfs aus dem Katastrophengebiet heraus in Städte wie Brühl und Wesseling verlagert hat. Für die Partei vielleicht gar nicht so schlecht, denn dort, in direkter Nähe zu Köln, sind typische linke Themen wie hohe Mieten und Armut präsenter als in den kleinen Orten in der Nordeifel. Wohnungsnot gehörte bisher nicht zu den großen Problemen in Bad Münstereifel. Durch das Hochwasser wurden allerdings Dutzende Häuser unbewohnbar, viele Menschen mussten bei Freunden oder Nachbarn unterkommen.

In einem Café in der Altstadt - eine Handvoll hat schon wieder geöffnet - sitzt eine ältere Dame. Eigentlich wohne sie im Ort, erzählt sie, aber gerade sei sie nur zu Besuch. Sie ist »bei den Kindern in Köln untergekommen« und wohnt im Zimmer ihres Enkels. In Bad Münstereifel bleibt sie aber gemeldet und will auch wieder zurückkehren. Jetzt hat sie zum ersten Mal per Brief gewählt. Wenn Sohn und Schwiegertochter am Haus arbeiten, kommt sie mit in den Eifelort und freut sich, Freunde und Bekannte zu sehen.

Was sie gewählt hat, will sie nicht verraten. Aber »Frau Doktor Merkel« habe ihr gut gefallen, als sie wenige Tage nach dem Hochwasser in Bad Münstereifel war. Die Kanzlerin tritt ja »leider« nicht wieder an, meint sie. Ob Scholz, Laschet oder Baerbock, überzeugt sei sie von niemandem. Egal wer das Rennen macht, die würden sich schon »steigern« im Amt. Bei der »Frau Bundeskanzlerin« hätten 2005 ja viele auch nicht geglaubt, dass sie dem Amt gewachsen sei. Was wünscht sich die Dame für Bad Münstereifel und für die Flutgebiete? »Wir brauchen Handwerker«, erklärt sie. Manches müsse jetzt sehr schnell gehen. Heizungen müssten bald wieder in Betrieb gehen, damit die Häuser nicht zerstört werden. Außerdem brauche die Erft mehr Platz, am besten vor der Stadt. Ob das jemand umsetzt, weiß sie aber nicht. Hier am Ort hätte sich die Stadtverwaltung aber trotz allem gut um alles »gekümmert«, erzählt sie zufrieden.

Kümmern steht auch für Thomas Keßeler derzeit im Vordergrund. Keßeler ist Ratsherr der Grünen in Euskirchen. Nächstes Jahr möchte er in den nordrhein-westfälischen Landtag einziehen. Er lebt in Wißkirchen, einem Vorort von Euskirchen mit 870 Einwohnern. Hier hat am 14. Juli der Veybach getobt. »Bei mir im Dorf sind 200 Wohnungen und Häuser von der Flut betroffen«, erzählt er. »Ich selbst auch, aber nicht so stark. Ich muss das Wohnzimmer rausmachen, aber der Schaden hält sich in Grenzen.« Die Katastrophe überlagere natürlich den Wahlkampf. »Wir machen so gut wie nix«, sagt er. Ein paar Flyer, die schon gedruckt waren, werden verteilt. Aber auch in geringerem Umfang als geplant.

Keßeler sagt, man wolle die Leute nicht belästigen, aber ohnehin fehle es an Kapazitäten wegen der Flut. Er selbst organisiert in seinem Dorf Aufräum- und Wiederaufbauaktionen. Das sei wichtiger, als Flugblätter zu verteilen, meint er. Über Politik werde bei den Hilfseinsätzen kaum geredet. Auch er sei zurückhaltend. Vielen Leuten sei durchaus bewusst, dass der Klimawandel einen Anteil an Ereignissen wie der Flutkatastrophe habe, meint er. Aber jetzt »hilft es ja nicht, darüber zu philosophieren«. Man müsse gerade ganz praktische Sachen organisieren, wie »den Boden rausstemmen und Handwerker organisieren«.

Im August waren Landes- und Bundespolitiker der Grünen zu Besuch in der Gegend, haben Gespräche geführt und sich angehört, welche Hilfen gebraucht werden. Keßeler glaubt, dass Punkte, die da vorgebracht wurden, durchaus Gehör gefunden hätten. Das jetzt politisch zu vermarkten mache aber keinen Sinn. Er rechnet damit, dass das Hochwasser im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf eine größere Rolle spielen wird. In einem Jahr werde es auch einfacher zu beurteilen sein, wie gut die Hilfen funktioniert haben.

Bis Ende August konnten Haushalte Soforthilfen von maximal 3500 Euro beantragen. Das hat gut und unbürokratisch funktioniert, war aber zu wenig, wie viele Menschen aus den Flutgebieten beklagen. Größere Renovierungen oder ein Auto lassen sich damit nicht finanzieren. Seit dem vergangenen Freitag können auch Wiederaufbauhilfen beantragt werden. Dafür macht der Bund bis zu 30 Milliarden Euro frei. Die Formulare stehen online. Für Menschen, die das überfordert, haben die Städte und Kreise im Flutgebiet Hotlines geschaltet und bieten auch vor Ort Beratung beim Ausfüllen an.

Dass viele Menschen die Hilfen nötig haben, sieht man auch in Euskirchen. Die Kreisstadt hat knapp 60 000 Einwohner und eine große Fußgängerzone, die aber eine Woche vor der Wahl wie ausgestorben wirkt. Die Geschäfte sind verrammelt, manche Fenster liegen noch immer in Scherben, überall sind Schlammspritzer zu sehen. Es macht wenig Sinn, hier Wahlkampfstände hinzustellen, das haben Stefan Söhngen und Thomas Keßeler übereinstimmend gesagt. Am Rand der Innenstadt ist dann aber doch ein bisschen was vom Wahlkampf zu sehen. Auf einem kurzen Straßenabschnitt hängen fünf Plakate. Drei von der MLPD, zwei von den Piraten. Große Stimmengewinne werden die den beiden Kleinparteien wohl nicht bringen.

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