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Friedensprozess in Libyen steht auf der Kippe
Die für den 24. Dezember vorgesehenen Wahlen in Libyen sind durch neue Kämpfe zwischen Milizen in Gefahr
Der Friedensprozess im Bürgerkriegsland Libyen ist weiter in Gefahr. Im Streit um das Wahlgesetz hat das Oberhaus des libyschen Parlaments die Verschiebung der Präsidentschaftswahl im Dezember gefordert. Sie würde »zum jetzigen Zeitpunkt keine Stabilität in Libyen schaffen«, sagte der Vorsitzende des Hohen Staatsrats am Montag in Tripolis, Khalid al-Mischri. Die Wahl des Staatsoberhaupts solle deshalb um ein Jahr verschoben werden, die Parlamentswahl jedoch wie geplant am 24. Dezember stattfinden.
Bei Kämpfen in Südlibyen sind seit Anfang vergangener Woche mehr als 20 Soldaten sowie tschadische und sudanesische Söldner ums Leben gekommen. Einheiten der Libyschen Nationalarmee (LNA) von Khalifa Haftar hatten ein Lager der tschadischen Oppositionsbewegung Front für Wandel und Eintracht (FACT) angegriffen. Die FACT versucht seit Jahren, die Regierung des Tschad zu stürzen. Am 19. April war dessen Präsident Idriss Déby während eines Frontbesuchs unter ungeklärten Umständen gestorben. Nachdem französische Kampfjets seinem Adoptivsohn und Nachfolger Mahamat Déby zu Hilfe kamen, zogen sich die Rebellen wieder nach Libyen zurück.
Wie andere Söldnergruppen hatte die FACT-Bewegung in den letzten Jahren sowohl für regierungstreue Milizen aus Misrata als auch für deren Gegner Haftar gekämpft. Während der Belagerung von Tripolis bewachte sie die von der russischen Gruppe Wagner und Luftwaffenspezialisten genutzte Luftwaffenbasis Al-Jufra. Der an unbekanntem Ort in Libyen lebende FACT-Chef Mahamat Mahdi Ali sagte in einem Interview im Mai, dass sich seine Kämpfer allein auf den Sturz der Regierung in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena vorbereiten würden. »Aus dem politischen und militärischen Machtkampf in Libyen halten wir uns völlig raus«, so Mahdi per Satellitentelefon. In Presseerklärungen verurteilt die FACT den Angriff ihrer ehemaligen Verbündeten: »Die Allianz der libyschen Haftar-Miliz, sudanesischer Hilfstruppen und französischer Spezialkommandos wurde zurückgeschlagen.«
Seit 2012 waren immer wieder verdeckt französische Kommandos zusammen mit der LNA im Einsatz gegen radikale Gruppen in Libyen. Als im Sommer 2016 bei einem Helikopterabsturz drei französische Soldaten starben, musste der damalige französische Präsident François Hollande den geheimen Einsatz unter öffentlichem Druck zugeben.
Eine Woche nach Beginn der Kämpfe ist die Lage rund um die FACT-Lager an der libysch-tschadischen Grenze unklar. Die Zahl der im April aus N’Djamena zurückgekehrten FACT-Kämpfer schätzen libysche Militärexperten auf 1500. Der 57-jährige Mahamat Mahdi Ali hatte die FACT im französischen Exil gegründet, wo auch seine Familie lebt.
Von FACT und LNA veröffentlichte Videos und Fotos deuten auf Tote und Verwundete auf beiden Seiten hin. Die tschadischen Rebellen behaupten, ihre Stellungen und Kasernen nahe der Orte Tamsa und Tazerbo weiterhin zu halten. Doch Haftars in Ostlibyen stationierte Armeeallianz schafft neue Truppenverbände an die tschadische Grenze.
Mit dem ersten militärischen Angriff seit der Ausrufung des Waffenstillstandes versucht Khalifa Haftar, vor den im Dezember geplanten Wahlen die Kontrolle über die südlibysche Provinz Fezzan zurückzuerlangen. Der selbst ernannte Feldmarschall konkurriert in der Wüstenregion mit westlibyschen Milizen, die der Regierung in Tripolis folgen.
Die Einwohner der Provinzhauptstadt Sebha beklagen, dass Radikale und Schmuggler das Machtvakuum in Südlibyen für sich nutzen. Anfang Juni hatte ein Selbstmordattentäter des »Islamischen Staates« (IS) den Polizeichef von Sebha und drei seiner Kollegen mit einer Autobombe getötet.
Das Bürgerkriegsland ist fünfmal so groß wie Deutschland und wird sowohl von radikalen Milizen als auch von Oppositionsgruppen aus mehreren Ländern als Rückzugsgebiet genutzt, was den Friedensprozess gefährdet. Bei dem 14-monatigen Krieg um die libysche Hauptstadt Tripolis war mehr als ein Dutzend solcher Gruppen auf beiden Seiten für die libyschen Kontrahenten im Einsatz.
Zusammen mit der von Khalifa Haftar angeführten LNA versuchten sudanesische Rebellen, syrische Kämpfer aus regierungstreuen Regionen und Spezialisten der russischen Sicherheitsfirma Wagner Tripolis einzunehmen. Die libysche Regierung von Fayez Serradsch heuerte mehr als 10 000 syrische Rebellen aus der Region Idlib und türkische Militärberater an und konnte Haftar im März 2020 zurückschlagen.
Seitdem gilt ein von den Vereinten Nationen ausgehandelter Waffenstillstand, der die militärische Pattsituation zwischen den von Russland und der Türkei unterstützten Seiten widerspiegelt. Viele libysche Beobachter gehen davon aus, dass die Präsidenten Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan mit einem Geheimabkommen ihre Wirtschaftsinteressen in Afrikas ölreichstem Land miteinander geregelt haben.
Während der Warenverkehr zwischen der Türkei und dem Sieben-Millionen-Einwohner-Land Libyen in den letzten zwölf Monaten um 65 Prozent gestiegen ist, scheint Moskau die Stationierung seiner modernen Mig-29-Kampfflugzeuge und die Präsenz der Wagner-Söldner für Verträge mit Libyens Ölindustrie und größeren Einfluss in der rohstoffreichen Region zu nutzen. Da selbst libysche Milizionäre nach zehn Jahren nachrevolutionärem Chaos kriegsmüde sind, spielen die ausländischen Söldner bei dem Ringen um die libyschen Rohstoffe eine entscheidende Rolle.
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