Namibias Fronten verhärten sich

Parlamentsabstimmung um »Versöhnungsabkommen« mit Deutschland sorgt für heftigen Streit

  • Andreas Bohne
  • Lesedauer: 4 Min.

Es glich einem kleinen Paukenschlag: Eigentlich sollte das Parlament in Windhoek am Dienstag über das »Versöhnungsabkommen« zwischen der namibischen und der deutschen Regierung abstimmen. Am Nachmittag hieß es, die Abstimmung werde nicht stattfinden und stattdessen auf Mittwoch verschoben. Ein Grund: Die Abgeordneten hatten den Antrag noch nicht in den Händen.

Erst im Mai hatten beide Regierungen nach jahrelangen, oftmals intransparenten Verhandlungen ein Abkommen vereinbart. Darin erkennt Deutschland die Geschehnisse in der damaligen deutschen Kolonie zwischen 1904 und 1908 als Völkermord an und sagt als »Geste der Anerkennung« Zahlungen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro über einen Zeitraum von 30 Jahren zu – überwiegend für Entwicklungsprojekte. Verteidigungsminister Frans Kapofi brachte den Antrag zur Abstimmung ins Parlament ein. Seine Rede überraschte dahingehend, dass er gegenüber dem Entwurf des Abkommens immer wieder von Reparationen sprach, obwohl diese von der deutschen Regierung explizit ausgeschlossen wurden. Auch sieht das Abkommen – entgegen der Äußerung von Kapofi – keine rechtliche Anerkennung des Völkermordes vor. Der Politikwissenschaftler und Aktivist Henning Melber, der als Sohn deutscher Einwanderer 1974 der Swapo beitrat, bewertet die Rede gegenüber dem »nd« als den »Versuch zur Weichspülerei eines enttäuschenden Abkommens«. Sie verpackt dieses als Erfolg der namibischen Seite, statt als Eingeständnis der Schwäche.

Seit die Einigung zwischen namibischer und deutscher Regierung bekannt wurde, stehen sich die zwei Fronten noch verhärteter gegenüber als zuvor. Zum einen die jeweiligen Regierungen, die nicht müde werden zu betonen, dass das Abkommen zur Versöhnung und »Entwicklung« beitragen werde. Zum anderen die Kritiker*innen, die vor allem den Ausschluss der betroffenen Gemeinschaften an den Verhandlungen nicht akzeptieren können. Besonderen Ärger rief aufseiten der kritischen Stimmen hervor, dass Regierungsvertreter*innen in den vergangenen Wochen traditionelle Autoritäten der Nama und OvaHerero aufsuchten, um sie zur Annahme des mangelhaften Abkommens zu bewegen. Oftmals ohne Erfolg.

Die Oppositionspartei Landless People’s Movement (LPM) in erster Linie machte in den vergangenen Tagen mobil. Die Partei rief zu einer Demonstration auf, der sich weitere Oppositionsparteien und Verbände der Opfergruppen anschlossen. Ihr Vorsitzender Bernadus Swaartbooi nannte es ein »abscheuliches und skandalöses Abkommen«. In der aufgeheizten Stimmung überwanden viele Protestierende, neben Swaartbooi auch der Führer der größten Oppositionspartei Popular Democratic Movement (PDM), McHenry Venaani, die neu errichteten Zäune um das Parlamentsgebäude, wo die Demonstranten eine Petition an den Sprecher der Nationalversammlung, Peter Katjavivi, übergeben wollten.

An dem Protestzug nahm auch Esther Muinjangue teil. Diese Personalie ist deshalb von Interesse, weil Muinjangue zwar langjährig bekannte OvaHerero-Aktivistin ist, gleichzeitig aber als stellvertretende Gesundheitsministerin in der Swapo-Regierung sitzt. Sie ist Vorsitzende der Nudo-Partei. Ihre Teilnahme verdeutlicht, dass das Abkommen vor allem als ein Swapo-Abkommen angesehen wird. Henny Seibeb, stellvertretender Vorsitzender der LPM, sieht darin eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den Parteien, »um eine bessere Gesellschaft zu schaffen, indem wir die Exekutive zur Verantwortung ziehen«, wie er gegenüber dem »nd« betonte.

Die deutsche Bundesregierung dürfte diesen Vorgängen gelassen gegenüberstehen. Nicht nur, dass die wiederholten Behauptungen der namibischen Regierung, Nachverhandlungen einzufordern, schlicht jeglicher Grundlage entbehren und Deutschland nicht zum Handeln zwingen. Hinzu kommt, dass für die Bundesregierung die namibische Regierung einziger legitimer Verhandlungspartner ist und der Umgang mit den betroffenen Gemeinschaften der namibischen Seite überlassen wird.

Swaartbooi kritisiert die Haltung der deutschen Regierung auf der Grundlage zweier politischer Entscheidungen. So sei die namibische Regierung völlig von den Bedingungen des Antrags abgewichen, den der verstorbene OvaHerero-Chief Kuaima Riruako 2006 eingebracht hatte. Dieser sah vor, dass die Regierung nur eine von mehreren Institutionen in den Gesprächen mit der deutschen Regierung sein sollte. Und Namibia habe die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker ratifiziert. Darin heißt es, dass die Staaten die betroffenen indigenen Völker über ihre eigenen repräsentativen Institutionen in gutem Glauben konsultieren und mit ihnen zusammenarbeiten sollen. Das sei nie geschehen.

Mit der erwarteten Zustimmung des Parlaments würde das Abkommen eine wichtige Hürde nehmen, und eine offizielle Ratifizierung durch die Außenminister beider Staaten wäre wohl nur noch Formsache. Henning Melber ist sich sicher, dass die Vorgehensweise beider Regierungen nicht zur angestrebten Versöhnung beiträgt. Für ihn kommt die bewusste Marginalisierung der hauptsächlichen Vertretungen der Bevölkerungsgruppen, die vom damaligen Völkermord am meisten betroffen sind, einer Verhöhnung gleich. »Es wird damit kein Fundament einer gemeinsamen Zukunft im Lande für die Nachfahren der Täter und Opfer geschaffen«, urteilt er.

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