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Die Talente springen ab

Weibliche Radprofis machen sich für eine weitere Nachwuchskategorie stark, um jungen Fahrerinnen den Übergang zur Elite zu erleichtern

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.

Wer fordert, erhält auch etwas. Das zeigen gerade die Weltmeisterschaften im Straßenradsport in Belgien. Wenige Tage vor den Titelkämpfen hatten einige Frauen noch die Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen angeprangert und dabei besonders auf die fehlende U23-Kategorie bei den Frauen hingewiesen. Während der WM rang sich David Lappartient immerhin zu einem Kompromiss durch. Es werde bei der nächsten Austragung in Australien 2022 zumindest eine U23-Weltmeisterin im Straßenrennen geben, versprach der Präsident des Weltverbands UCI dem Branchendienst cyclingnews. Zwar werde kein eigenes Rennen des weiblichen Nachwuchses angeboten, schränkte er ein, aber die beste Fahrerin unter 23 Jahren im Rennen der Elite wird als Weltmeisterin gekrönt werden. »Das ist ein erster Schritt. Es wird ein Rennen, aber zwei Medaillensätze geben«, meinte Lappartient.

Tatsächlich ist es zumindest ein Anfang. Ob Nationalteams ihren jungen Teilnehmerinnen jedoch überhaupt die Möglichkeit eröffnen werden, ein eigenes Rennen in ihrer Alterskategorie inmitten der Weltmeisterschaft der Elite auszutragen, muss noch abgewartet werden. Schließlich müsste dafür wohl eine andere Elitefahrerin aus dem eigenen Aufgebot gestrichen werden.

Immerhin stellt sich die UCI jetzt dem Problem. Und um ein Problem handelt es sich. »Im Moment ist es fast unmöglich, als 18-Jährige von der Juniorenkategorie in den Elitebereich aufzusteigen und dort mitzuhalten. Der Schritt fällt leichter, wenn man noch ein paar Jahre der Entwicklung unter Altersgenossinnen hat«, meint etwa Lotte Kopecky zu »nd«. Die Belgierin, 25 Jahre alt und eine Mitfavoritin im Straßenrennen der Frauen an diesem Samstag vor eigener Kulisse, erhielt als großes Talent zwar schon vor fünf Jahren einen Profivertrag. Erst in den letzten beiden stieß sie jedoch in die Weltspitze vor.

Kopecky musste sich jahrelang durchbeißen. Andere Talente kehren dem Sport da lieber den Rücken, beobachtet Anna van der Breggen. »Das ist ein großes Problem im Frauenradsport. Das Niveau im Elitefeld ist sehr hoch. Kaum eine Juniorin kann da sofort mithalten. Und wenn sie 21, 22 oder 23 Jahre alt sind, haben sie den Sport schon wieder verlassen. Nicht, weil sie nicht genug Talent mitbringen würden, sondern weil der Schritt einfach zu groß ist«, meint die zweifache Weltmeisterin und Titelverteidigerin bei dieser WM. Die 31-jährige Niederländerin will für den Nachwuchs auch mehr als nur ein Rennen bei einer WM. »Es sollte einen vollen U23-Rennkalender über die gesamte Saison geben«, fordert van der Breggen.

Genug Fahrerinnen dafür gibt es schon jetzt. Das bestätigt ein einfacher Blick in die Weltbestenliste der UCI dieser Saison. Dort kommen von insgesamt 1128 Frauen, die Punkte im internationalen Wettkampfkalender geholt haben, 392 aus der Altersgruppe unter 23 Jahren, acht zählen sogar noch zu den Juniorinnen. Es ist die zahlenmäßig am stärksten vertretene Altersgruppe im ganzen Peloton, analysierte cyclingnews. Dahinter folgen die 23- bis 26-Jährigen mit gerade einmal 250 Sportlerinnen; zu ihnen gehört auch Belgiens Star Kopecky. Mit steigendem Alter werden es dann immer weniger Fahrerinnen.

Blickt man aber auf die Anzahl der erreichten Punkte in der Rangliste, dann ist erwartungsgemäß die Alterskohorte der Endzwanzigerinnen (26 891) am erfolgreichsten. Dahinter liegen, nur knapp voneinander getrennt, die 23- bis 26-jährigen (24 730 Punkte) und die 31- bis 34-jährigen Fahrerinnen (24 510). Addiert man die Ergebnisse aller Profis über 30 - Seriensiegerin Annemiek van Vleuten zählt mittlerweile 38 Lenze - kommen fast 40 000 Punkte zusammen. Daraus lässt sich eines ableiten: Die jungen Frauen werden zahlreich als »Arbeitstiere« im Peloton eingesetzt, im Rampenlicht der Siegerinnenpodien stehen dann aber die älteren.

Das dürfte auch bei diesen Weltmeisterschaften so sein. Die Favoritinnen fürs Straßenrennen sind die Niederländerin Marianne Vos (34), Lokalmatadorin Kopecky (25), die Italienerin Marta Bastianelli (ebenfalls 34), Deutschlands Kapitänin Lisa Brennauer (33), die US-Amerikanerin Coryn Rivera (29) und die Britin Lizzie Deignan (32).

Nun lässt sich trefflich darüber streiten, ob es für junge Talente nicht auch hilfreich sein kann, so früh wie möglich den Vergleich mit den Stars zu haben. Für manche mag das sogar stimmen. Doch bislang fehlt ihnen im Gegensatz zu den männlichen Kollegen schlicht die Wahl, ob sie gleich den Sprung in die Elite wagen oder den langsameren Weg über die U23 gehen wollen.

Dafür bräuchte es dann aber nicht nur ein WM-Rennen, sondern viele Wettkämpfe über die gesamte Saison hinweg, wie Weltmeisterin van der Breggen zu Recht anmerkt. Und es braucht auch die Teams dafür. »Es gibt jetzt viele Profirennställe im Frauenradsport, auch weil die der Männer vermehrt Frauenteams gegründet haben. Das ist gut. Jetzt benötigen wir aber die Entwicklungsteams«, sagt die Schweizerin Marlen Reusser gegenüber »nd«. »Der Nachwuchs drückt nach, wir haben die Fahrerinnen, die Talente. Jetzt brauchen wir die Teams, in denen sie sich entwickeln können«, betonte die 30-jährige Europameisterin und Vizeweltmeisterin im Zeitfahren.

Bei aller Kritik am Mangel muss man freilich auch konstatieren, dass die fehlende U23-Kategorie erst wegen des jüngsten Aufwärtstrends im Frauenradsport als Manko auffällt. »Als ich noch U23 war, war die Leistungsdichte und die Anzahl der Fahrerinnen gar nicht groß genug, um so etwas zu installieren«, erinnert sich Lisa Brennauer an ihre Anfänge. Der Frauenradsport wächst also in Breite, Spitze und Tiefe. Jetzt müssen die Strukturen nachwachsen.

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