Abschiebungen ins Kriegsgebiet

Seit 2001 hat Sachsen 75 Afghanen abgeschoben. Bundestagsabgeordnete Lay kritisiert Behörden

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit dem Jahr 2001 haben sächsische Behörden 75 afghanische Staatsbürger abgeschoben. Dies geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine schriftliche Anfrage der sächsischen Bundestagsabgeordneten Caren Lay (Linke) hervor.

In der «nd» vorliegenden Antwort sind die angeordneten Abschiebungen auch nach den einzelnen Jahren aufgelistet. Demnach musste bis 2017 pro Jahr nur eine niedrige einstellige Anzahl von Afghanen das Land verlassen. 2018 kam es hingegen zu elf Abschiebungen, 2019 und 2020 waren es sogar je 18 sogenannte Rückführungen. Und allein vom Januar bis Juli dieses Jahres wurden 13 afghanische Staatsbürger aus Sachsen nach Kabul gebracht – trotz des eskalierenden Krieges und einer sich anbahnen Machtübernahme der Taliban in ihrem Heimatland.

Auch der Tod nach Afghanistan Abgeschobener und das Herannahen der Taliban habe die Verantwortlichen nicht dazu veranlasst, die Abschiebungen einzustellen«, sagte Lay gegenüber »nd«. Bis kurz vor der Machtübernahme der islamistischen Taliban habe man auch aus Sachsen »um jeden Preis« abgeschoben. »Wie kann eine sächsische Behörde noch in diesem Jahr Menschen nach Afghanistan ›rückführen‹, wie es euphemistisch im Amtsdeutsch heißt?«, fragt die Politikerin. Dieses Vorgehen grenze »an fahrlässige Tötung«. Den Abgeschobenen drohe nun die Verfolgung durch die Taliban, da diese sie als Verräter betrachteten.

»Die Luftbrücke muss jetzt für alle Menschen ermöglicht werden, die das Land verlassen wollen«, forderte Lay. Gespräche mit den neuen Machthabern im Land dürften nicht mit dem Ziel der Abschottung vor Einwanderung geführt werden, sondern zum Wohle gefährdeter Personen. »Deutschland muss aus der Katastrophe lernen, Abschiebungen grundsätzlich stoppen und darf sich an solchen Kriegseinsätzen nicht mehr beteiligen und«, erklärte die Politikerin. Das gebiete die »humanitäre Verantwortung«.

In den ersten drei Monaten dieses Jahres sind nach Angaben der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) in Afghanistan mindestens 573 Zivilisten getötet und 1210 verwundet worden. Trotz andauernder Kämpfe verfügte das Bundesinnenministerium erst am 11. August, fünf Tage vor der Einnahme Kabuls durch die Taliban, einen Abschiebestopp für Afghanistan.

Debatten um die Aufnahme gefährdeter Menschen aus dem vom Krieg zerrütteten Land laufen derweil auch in Sachsen weiter. Die mitregierenden Grünen haben im Landtag eine verstärkte Aufnahme Schutzsuchender aus Afghanistan angemahnt. In einem von der Landtagsfraktion verabschiedeten Positionspapier kritisierten sie jüngst die bestehenden Aufnahmeprogramme des Bundes und forderten vom Freistaat ein größeres Engagement. Ferner mahnten die Grünen bessere Integrationschancen und Bleibeperspektiven für in Sachsen lebende Frauen und Männer aus Afghanistan an. Zudem forderten sie einen Verzicht auf Abschiebungen.

»Die erschütternden Bilder nach dem Rückzug der internationalen Truppen aus Afghanistan sind mittlerweile wieder aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden, für die Menschen vor Ort aber immer noch real«, erklärte Petra Cagalj Sejdi, Sprecherin für Asyl und Migration der Grünen-Landtagsfraktion. Weiterhin müssten Menschen in dem Land um ihr Leben fürchten, weil sie aufgrund der prekären Sicherheitslage und ihres Engagements für den Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen in Gefahr seien. »Wir Bündnisgrüne wollen diese Menschen nicht allein lassen und auch in Sachsen unseren Beitrag zur Humanität leisten«, sagte Cagalj Sejdi. Zahlreiche Bundesländer hätten Bereitschaft signalisiert, weitere Schutzbedürftige aus Afghanistan aufzunehmen. »Auch die sächsische Staatsregierung sollte sich jetzt beim Bundesinnenministerium dafür einsetzen. Wir haben die Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Menschen bereits im Koalitionsvertrag vereinbart und sind dazu im Gespräch mit unseren Koalitionspartnerinnen.«

Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) will offenbar eher einen anderen Fokus setzen. Er plädierte jüngst dafür, auch an den umstrittenen nächtlichen Abschiebungen festzuhalten. »Wenn wir nachts nicht mehr abschieben, vom Arbeitsplatz oder wegen der Witterung, wie von den Grünen gefordert, dann gibt es keine Abschiebungen mehr«, sagte Wöller gegenüber Medien.

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