Erster bisexueller CSD Deutschlands – »ein historischer Moment«

Am Samstag zog die erste »Bi+ Pride« durch die Hamburger Innenstadt

  • Paula Balov
  • Lesedauer: 4 Min.

Am diesem Wochenede zog die erste »Bi+ Pride« durch die Hamburger Innenstadt. Es war der erste bi-spezifische CSD Deutschlands. Das übergeordnete Ziel war Sichtbarkeit für Identitäten des »Bi-Regenschirms« zu schaffen: Dazu zählen alle Menschen, die sich sexuell oder romantisch zu mehreren Geschlechtern hingezogen fühlen und sich zum Beispiel als bi- oder pansexuell bezeichnen. Die Diskriminierung bisexueller Menschen wird selten thematisiert und geht auch in der LGBTIQ-Community oft unter. Sie ist geprägt von Unsichtbarkeit, Negierung sowie Hypersexualisierung bisexueller Frauen. Ihre Auswirkungen zeigen sich vor allem in Bereich der Gesundheit: Bisexuelle Menschen outen sich seltener als Schwule und Lesben und haben ein höheres Risiko psychisch zu erkranken.

Der Initiator Frank Thies begrüßte am Mittag die rund 100 Menschen, die sich im Sankt Georg Bezirk versammelten – bunt beflaggt und in guter Stimmung. Für ihn war der 25. September ein besonderer Tag, wie er in seiner Eröffnungsrede betonte. Die »Bi+ Pride« solle nicht nur die Belange der Bi+ Community sichtbar machen, sondern auch ihre Geschichte: Frank Thies ging auf Vorreiter*innen des Bi-Aktivismus wie Brenda Howard ein, die nach den Stonewall-Riots den ersten CSD organisierte und deshalb den Titel »Mother of Pride« trägt. Auch auf trans Aktivist*innen wie Sylvia Rivera und Marsha P. Johnson kam er zu sprechen, deren Bisexualität oft unerwähnt bleibt. »Die trans Community hat eine enge Verbindung mit der Bi+ Community«, betonte er.

Die Demo-Route verlief vom Sankt Georg Bezirk durch die Hamburger Innenstadt und endete am Rathausmarkt. Begleitet wurde sie von zahlreichen Redebeiträgen und Musik. Die Einzigartigkeit des Events spiegelte sich auch bei den Teilnehmenden wider: Es herrschte eine Stimmung des Aufbruchs, der Freiheit und Euphorie. Im Laufe des Nachmittags stieg die Anzahl der Teilnehmenden auf circa 500 Menschen. Melina Seiler, eine der Organisator*innen der »Bi+ Pride«, war sehr erfreut, dass »tatsächlich so viele gekommen sind.« Da es die erste Demonstration dieser Art war, rechnete das Orga-Team mit nur maximal 500 Demonstrierenden – diese Erwartung hatte sich erfüllt.

Die Forderungen der »Bi+ Pride« decken sich in weiten Teilen mit denen der LGBTIQ-Community allgemein, zum Beispiel in Bezug auf die Abschaffung des Transsexuellengesetzes oder der Ergänzung von sexueller und geschlechtlicher Identität im Grundgesetz Artikel 3. Darüber hinaus wollen die Aktivist*innen der »Bi+ Pride« das Bewusstsein für bi-spezifische Gesundheits- und Gesellschaftsprobleme stärken, fordern Aufklärung über Bisexualität und sexuelle Vielfalt in der Schule sowie bisexuelle Interessenvertretungen in Ausschüssen.

Verschiedene Redner*innen kamen während der Demonstration auf queer- und bifeindliche Diskriminierung zu sprechen. Die zweite Bürgermeisterin der Stadt Hamburg, Katharina Fegebank, erzählte, wie sie durch die Initiative von Frank Thies und seine »charmante Hartnäckigkeit« für bisexuelle Belange sensibilisiert wurde. Die Aktion sei für sie ein »starkes Signal« der Solidarität. Besonders betonte sie das Thema Blutspendeverbot für schwule und bisexuelle Männer. Sie hofft, dass »diese Diskriminierung endlich ein Ende hat« und blickte damit auch auf die Bundestagswahl. Weitere Beiträge kamen unter anderem vom Grünen-Politiker Farid Müller und der Organisatorin Melina Seiler. In mehreren persönlichen Reden sprachen Bi-Aktivist*innen von ihren Erfahrungen mit Unsichtbarmachung und Vorurteilen im queeren und heteronormativen Umfeld. Die Aktivist*in Ingrid führte in einer emotionalen Rede aus, wie sich die Verschränkung von Rassismus mit Misogynie (Frauenhass) und Bifeindlichkeit auf ihr Leben auswirkte.

Die Demonstration am Samstag war das Highlight der »Bi+ Pride«. Die Aktion startete jedoch schon am 23. September, dem internationalen Tag der bisexuellen Sichtbarkeit. Zu diesem Anlass wurden an zahlreichen Orten in Hamburg und ganz Deutschland die bisexuelle Pride-Flagge in den Farben Pink, Lila und Blau gehisst. Begleitet wurde die Aktion von einer Fahrradtour zu den elf Standorten in Hamburg, wo ebenfalls Flaggenhissungen stattfanden, darunter Rathaus Altona, das Bezirksamt Nord oder die Uni Hamburg. Im Laufe der vergangenen Woche fanden online und offline Workshops statt, zu Themen wie Empowerment für Migrant*innen und People of Color oder LGBTIQ-Rechte weltweit. Beim Flyer-Workshop am Freitag analysierten Bi+ Aktivist*innen Aufklärungsbroschüren über sexuelle Orientierung, im Hinblick auf Sensibilität für Bi-Themen.

Die Idee für die Demonstration entstand nach dem Vorbild aus West Hollywood: Hier fand 2018 erstmals eine Bi-Pride statt. Frank Thies schloss sich mit weiteren Menschen zusammen, um ein solches Event auch in Deutschland umzusetzen. Das Ziel ist es die Demo von nun an jährlich stattfinden zu lassen. Für die Organisator*innen war die erste »Bi+Pride« Deutschlands ein »historischer Moment« und voller Erfolg.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -