Gazprom schweigt über Methanlecks

Der russische Umweltschützer Witalij Serwetnik zu Nord Stream 2 und Gasförderung im hohen Norden

  • Bernhard Clasen
  • Lesedauer: 5 Min.

Die inzwischen fertig gebaute Ostseepipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland ist ein internationales Streitthema. Wie stehen Sie zu diesem Projekt?

Nord Stream 2 ist leider sehr politisiert. Und dies führt dazu, dass man sich kaum Gedanken macht über die ökologischen und sozialen Aspekte dieses Projektes. Fangen wir mit der Streckenführung an: Schon im Vorfeld des Baus von Nord Stream 1 hatten Umweltgruppen dagegen protestiert, dass diese Pipeline durch die Karelische Landenge verlaufen soll. Das sei die beste Wegführung, argumentierte Gazprom damals. Bei Nord Stream 2 heißt es nun auf einmal von Gazprom, die optimale Streckenführung sei ganz woanders, mit der Südküste des Finnischen Meerbusens als Anlandestelle. Warum nur so eine überflüssige und teure Streckenführung? Ursprünglich hatte es eine Reservespur für eine zweite Pipeline gegeben, doch die, so sagt Gazprom, wurde zugebaut.

Witalij Serwetnik
Witalij Serwetnik ist seit fast 20 Jahren in Russlands Umweltbewegung aktiv. Zunächst war er im Gebiet Murmansk auf der Halbinsel Kola Sprecher einer Ökologieinitiative von Jugendlichen. Seit 2013 ist er Co-Vorsitzender der Russischen Sozial-Ökologischen Union, Mitgliedsorganisation von Friends of the Earth. Mit Serwetnik sprach Bernhard Clasen.

Nord Stream 2 führt durch das Naturschutzgebiet Kurgal.

Man hätte die Pipeline so verlegen können, dass sie nicht durch das Naturschutzgebiet führt. Stattdessen hat man im Gebiet Leningrad die Vorschriften so geändert, dass ein Streckenverlauf durch das Naturschutzgebiet Kurgal im Rahmen der Gesetze ist. Eine interessante Vorgehensweise: Wenn ein bestimmtes Verhalten nicht im Einklang mit Umweltbestimmungen steht, ändert man die Bestimmungen, nicht das Verhalten.

Wie sieht es in Russland mit der Einhaltung von Umweltstandards bei der Gasförderung aus?

Im hohen Norden, im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen auf der Halbinsel Jamal, werden die Permafrostböden zunehmend zerstört. Dort verfügt Gazprom über große Anlagen, und die tragen neben der globalen Klimaerwärmung mit zur Zerstörung der Permafrostböden bei (dadurch entweichen große Mengen Treibhausgase, d. Red.). Generell schreitet die Klimaveränderung in den Gebieten mit Permafrostböden doppelt so schnell voran wie in anderen Teilen der Welt. Verschärft wird dieser Prozess der Zerstörung der Permafrostböden und der Pflanzenwelt im hohen Norden Russlands durch die dort angesiedelte Industrie.

Auf der Arktik-Halbinsel Taimyr verseuchten Mitte letzten Jahres 20 000 Tonnen Diesel der Firma Nornickel die Flüsse. Es war aus einem Tank entwichen, der auf Permafrostboden gebaut war. Durch das Auftauen des Bodens hatten die Träger den Dieseltank nicht mehr stabil halten können. Das war eine Katastrophe, die auch durch die Klimaveränderungen verursacht worden ist. Und das könnte auch mit Anlagen von Gazprom im hohen Norden Russlands passieren.

Werden ökologische Standards wenigstens beim Transport von Gas aus dem Norden Russlands zu Nord Stream 2 eingehalten?

Für Nord Stream 2 wurde Infrastruktur gebaut, um das Gas von Jamal im Norden Russlands zum Finnischen Meerbusen im Westen zu transportieren. Im Ergebnis haben wir kaputte Straßen und gesetzwidrigen Kahlschlag von Wäldern. Vertuschen ließ sich das alles mit Korruption.

Wird die Umwelt auch durch den Transport von Gas Richtung EU geschädigt?

Dieser Transport ist sehr ineffektiv, weil dabei viel Gas verloren geht. Bis 2020 hat Gazprom bei Reparaturarbeiten immer wieder geplant Gas entweichen lassen. Von Jamal bis zum Finnischen Meerbusen sind es ungefähr 3000 Kilometer. Das Gas durch eine so lange Pipeline zu pumpen, erfordert sehr viel Energie. Das heißt, ein Teil des zu transportierenden Gases wird als Energieträger für das Pumpen durch die Pipeline benötigt. Immer wieder kommt es an den Gazprom-Pipelines zu größeren Explosionen. Pro Jahr können es fünf oder mehr derartiger Unfälle sein. Verursacht werden diese durch den Verschleiß und das hohe Alter der Rohre.

Gazprom wirbt damit, dass Gas weniger klimaschädlich sei als Kohle.

Das mag am Ende beim Verbrennen so sein. Wenn man aber den gesamten Zyklus betrachtet vom Abbau über den Transport bis hin zur Nutzung durch die Verbraucher, dann bin ich mir nicht so sicher, ob Gas wirklich umweltfreundlicher ist als Kohle. Ein weiteres Problem ist, dass Gazprom nicht anerkennt, dass das Entweichen von Methan beim Abbau und Transport von Gas ebenfalls das Klima belastet.

Wie viel Gas entweicht aus der Pipeline, bevor es in Deutschland angekommen ist?

Das kann Ihnen niemand genau sagen. Aber ein Teil entweicht aus dem Pipelinesystem, ein anderer Teil wird gestohlen. Bei Gazprom spricht man nicht über dieses Thema.

Hat Gazprom Konzepte zum Umstieg auf eine klimaneutrale Produktion?

Nein. Während sich viele Firmen überlegen, wie sie bis 2040 oder 2050 umsteigen können, gibt es bei Gazprom dazu keine Überlegungen.

Und wie sieht es mit Solar- oder Windenergie aus?

Auch hier gibt es keine Pläne.

Wird wenigstens das Thema Energiesparen großgeschrieben?

Gazprom ist Inhaber der Firma MOEK PAO. Die meisten Wohnungen in Moskau werden zentral von dieser beheizt. Gazprom hätte also die Möglichkeit, bei der Versorgung Moskaus Energie zu sparen. Damit könnte der Konzern zeigen, dass er ein Bewusstsein für das Klima und die Umwelt hat. Doch jeden Winter ärgern sich die Moskauer darüber, dass MOEK entweder zu viel oder zu wenig heizt. Das bedeutet auch eine große Energieverschwendung.

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