Panik an den Zapfsäulen

In Großbritannien wird Benzin als indirekte Folge des Brexits knapp

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Jetzt auch noch das Benzin. Die Briten haben sich in den vergangenen Monaten bereits mit leeren Supermarktregalen, geschlossenen Fast-Food-Restaurants und bierlosen Pubs rumgeschlagen, seit Ende vergangener Woche ist ein Mangel an Treibstoff hinzugekommen. In Panik strömen dieser Tage Tausende Autofahrer zu den Zapfsäulen, um ihre Tanks mit Benzin zu füllen. Vor manchen Tankstellen sind die Schlangen mehrere Hundert Meter lang, andere haben bereits geschlossen, weil das Benzin ausgegangen ist. Am Montag ordnete die Regierung die Armee an, sich in Bereitschaft zu halten, um im Notfall »zusätzliche Kapazität« zu schaffen, wie Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng sagte.

Im Kern geht es um dasselbe Problem, das auch für die Engpässe in vielen anderen Sektoren verantwortlich ist: fehlende Lastwagenfahrer, die das Benzin zu den Tankstellen befördern. Laut Angaben von Branchenvertretern müssten auf den britischen Straßen 100.000 zusätzliche Lkw-Fahrer unterwegs sein, damit die Lieferungen in allen Sektoren abgewickelt werden können.

Der Ölkonzern BP machte den »landesweiten Mangel an Fahrern« dafür verantwortlich, dass er mehrere Dutzend seiner Tankstellen vorübergehend schließen musste. Der Branchenverband der Benzinverkäufer, die Petrol Retailers Association, meldete, dass 50 bis 90 Prozent seiner 5500 Mitglieder mit Benzinknappheit kämpfen. Der Benzinpreis ist auf den höchsten Stand seit acht Jahren gestiegen: Ein Liter kostet derzeit 1,37 Pfund, also etwa 1,6 Euro.

Für viele Autofahrer ist der fehlende Treibstoff schlicht ein Ärgernis, für andere hingegen ein ernstes Problem: Der Ärzteverband British Medical Association (BMA) warnte, dass Angestellte im Gesundheitsdienst im Extremfall ihren Job nicht machen können: »Notfalldienste und andere unentbehrliche Angestellte brauchen Benzin, um zur Arbeit zu fahren, oder für die Arbeit selbst«, sagte Chaand Nagpaul von der BMA. Er forderte die Regierung auf, den Gesundheitsangestellten beim Benzinkauf Priorität einzuräumen.

Der Mangel an Lkw-Fahrern ist teilweise der Pandemie geschuldet, aber auch dem Brexit: Viele Fahrer aus EU-Ländern sind im vergangenen Jahr zurück in ihre Heimatländer gereist - und die Grenzbürokratie, die seit dem EU-Austritt erforderlich ist, um erneut in Großbritannien zu arbeiten, hält viele davon ab, zurückzukehren.

Die Regierung indes versucht, den Brexit-Faktor so gut wie möglich herunterzuspielen. Transportminister Grant Shapps sagte am Wochenende, dass auch in anderen EU-Ländern die Fahrer fehlen; mehr noch: »Brexit war Teil der Lösung.« Er habe dank der britischen Eigenständigkeit anordnen können, dass mehr Lkw-Fahrertests absolviert werden. Rod McKenzie vom Branchenverband Road Haulage Association hat für solche Behauptungen nichts übrig: »Die Vorstellung, dass der Brexit uns in irgendeiner Weise geholfen hat, widerspricht jeder Logik.«

Die Regierung hat temporäre Visa für EU-Migranten angekündigt, um die Engpässe zu überbrücken: 5000 Lkw-Fahrer sollen drei Monate lang in Großbritannien arbeiten dürfen, um »der Transportbranche kurzfristige Entlastung zu bieten«, wie das Transportministerium am Wochenende verlauten ließ. Ob dies bei Fahrern aus der EU auf viel Enthusiasmus stoßen wird, ist zu bezweifeln. Tomasz Oryński, ein polnischer Journalist und Lastwagenfahrer, sagte im britischen Radiosender LBC: »Wieso sollen die Fahrer nach Großbritannien kommen, alle diese [bürokratischen] Hürden nehmen, nur um ein dreimonatiges Visum zu bekommen, und dann nach Weihnachten aus dem Land geschmissen zu werden?« Schließlich seien Lkw-Fahrer auch in anderen EU-Ländern derzeit sehr gefragt, und dort können sie ohne Weiteres arbeiten. Auf jeden Fall fänden seine Kollegen den britischen Vorschlag »sehr amüsant«.

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